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Durant de Brie schrie auf, doch eine der beiden Wachen schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, dass ihm Blut aus seiner aufgeplatzten Oberlippe tropfte. Dann wimmerte er nur noch und ließ sich aus seinem Haus zerren.

Mit einem Nicken verabschiedete sich der Prévôt von uns. »Harte Zeiten verlangen nach harten Maßnahmen!«, rief er, dann folgte er den Sergeanten und seinem Gefangenen.

Ich war sprachlos vor Empörung. Der Färber mochte ein wenig vertrauenswürdiger Mann sein, doch diese Ungerechtigkeit, glaubte ich, hatte er nicht verdient.

»Wollt Ihr das wirklich zulassen?«, fragte ich Meister Philippe, als der Prévôt außer Hörweite war und wir noch in der Stube des Färbers standen.

Der Inquisitor blickte mich an. Plötzlich sah er sehr müde aus. »Bruder Ranulf«, antwortete er. »Ich glaube so wenig wie du, dass der elende Färber etwas mit dieser Untat zu tun hat. Oder dass er uns unter der Folter noch mehr sagen könnte, als er uns jetzt bereits berichtet hat.

Doch in einem gebe ich dem Prévôt, wenn auch höchst widerwillig, Recht: Ich glaube nicht, dass Satan selbst die arme Schönfrau geholt hat — wiewohl ich nicht ausschließen mag, dass sie nun in seinem Reich schmachtet. Wenn Ambroise de Lore den Färber hätte gehen lassen, dann hätte dieser überall herumerzählt, er habe den Teufel gesehen. Das ist nun, da jedermann sich vor der Seuche und vor bösen Omen fürchtet, geradezu ein Verbrechen. Fast könnte man meinen, jeder, der so etwas tut, könnte auch gleich zur Revolte gegen den Prévôt und jede Obrigkeit aufrufen.

Bedenke, wie viele Menschen wohl zu Schaden kämen, würde sich das Volk von Paris tatsächlich erheben und in blinder Wut auf jeden losgehen, in dem es den Schuldigen an seiner erbärmlichen Lage zu erblicken glaubt!«

Ich dachte an den jungen Juden, der auf der Place Maubert beinahe erschlagen worden wäre. Und ich dachte an Leas Worte und ihre Angst. Laut sagte ich: »Wir opfern also einen Menschen, obwohl wir wissen, dass er unschuldig ist. Um so das Leben vieler anderer Unschuldiger zu retten.« Der Inquisitor nickte. »So ist es.«

Dann legte er mir die Hand auf die Schulter. »Doch es mag sein, dass die Wut des Prévôt verraucht, bis er zu seinem Palast zurückgekehrt ist. Dann wird er den armen Färber zwar eine Zeit lang einsperren, damit dieser seine Geschichte vom Teufel nicht weitererzählen kann, doch er wird kaum einen Folterknecht mit seinem Gefangenen beschäftigen.«

*

Schweigend legten wir den Weg zum Kloster zurück, denn es gab am Baudets-Tor nichts mehr für uns zu tun. Das Gewitter hatte keine Erleichterung gebracht, im Gegenteiclass="underline" Die Luft war heiß und drückend wie zuvor. Vom regenglänzenden Straßenpflaster und aus den schlammigen Gassen stiegen weißliche Nebel auf, die schwer über die Haut meines Gesichts strichen wie die erschlafften Blätter verwelkter Blumen. Das Atmen wurde zur Qual, jede Bewegung trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Mücken, Schmeißfliegen und allerlei anderes Getier schwirrte durch die schwere Luft - stets darauf lauernd, uns Menschen das Blut auszusaugen.

Und doch war ich dankbar für die bedrückenden Nebel, denn eine ungewöhnliche Stille hatte sich über Paris gelegt. Es waren kaum Menschen auf den Straßen zu sehen, da jeder, der konnte, in dieser Hitze im Innern eines kühlen Hauses ruhte. Die feuchten Schleier verbargen zudem mein Gesicht. So konnte ich mich nicht durch eine unbedachte Regung verraten.

Trauer nagte in mir wie eine schreckliche Krankheit. Immer wieder glaubte ich, in den Nebeln das Gesicht von Jacquette aufleuchten zu sehen. Ich hätte gerne eine Messe zu ihrem Andenken lesen lassen, doch selbst dies war mir verwehrt. Weder hatte ich Geld, um eine Messe — und sei es eine stumme — in Auftrag zu geben, noch hätte ich Meister Philippe oder dem Prior zu enthüllen gewagt, warum ich überhaupt für eine sündige Schönfrau etwas Derartiges erbeten wollte.

Ich war der einzige Mensch auf GOTTES Welt, der um Jacquette trauerte. Und da selbst ich nicht einmal hoffen durfte, ihrer Beerdigung beizuwohnen, wusste ich nicht, wo ihr Grab zu finden sein mochte. Nichts mehr würde an die junge, unglückliche Frau erinnern, nur die Bilder in meinem Herzen.

Dann schweiften meine Gedanken zu den beiden anderen Frauen, die das Schicksal hier in Paris mit meinem Lebensweg verwoben hatte. Würde ich wenigstens Klara und Lea schützen können? Oder — ich wagte kaum, mir dies einzugestehen — war ich vielleicht gar derjenige, der ihnen das Unglück brachte? Würde Jacquette noch leben, hätte sie sich mir nicht offenbart? Bedrohten die Geheimnisse, die mir die Reedersgattin und die Tochter des Geldwechslers anvertraut hatten, nun auch deren Leben? Was sollte ich bloß tun, um ihnen beizustehen?

Verzweiflung wollte mich übermannen. Ich fühlte mich hilflos in einem Gespinst aus düsteren Geheimnissen und unlösbaren Rätseln. Wusste ich mehr über die terra perioeci als noch vor einigen Tagen? Nein. Hatte ich Pierre de Grande-Rue gestellt? Nein. Wusste ich, ob Nechenja ben Isaak etwas mit dem Vaganten zu schaffen hatte? Nein. Wusste ich, wer jener Schatten war, vor dem sich Jacquette so sehr fürchtete und dem sie schließlich erlag? Nein.

Ein Novize war ich in der heilbringenden, doch ungemein verwirrenden Arbeit der Inquisition. Es war mir nur ein schwacher Trost, dass auch ein Meister wie Philippe de Touloubre diese Geheimnisse bisher nicht entschleiern konnte.

Geheimnisse, zu denen sich mir nun ein neues gesellte: das des Baders Nicolas Garmel. Hatte ich mich nur getäuscht, als ich sein Gesicht für einen ungestört geglaubten Moment beobachtete? Oder hatte er tatsächlich etwas verschwiegen?

Ich fragte mich, was er an der toten Schönfrau gesehen hatte, das ich nicht wahrgenommen hatte.

13

DIE BEUTE DES VAGANTEN

Die nächsten sieben Tage wurden mir zur Quaclass="underline" sieben Tage, in denen ich jeden Morgen mit Meister Philippe zum Viertel rund um die Schlachthöfe ging, nun stets begleitet von einem Sergeanten. Wir suchten nach Pierre de Grande-Rue und befragten bis in die Stunden der Dunkelheit wohl drei Dutzend und mehr Schlachter, Träger, Färber und liederliche Frauenzimmer jeden Tag. Manche erinnerten sich an den Vaganten - und fast schien mir, als hätten sie alle Angst vor ihm -, doch niemand hatte ihn gesehen, seit er uns entflohen war.

Meister Philippe ließ auch elende und ehrlose Gestalten zu sich kommen, die mir zunächst eines Dominikaners und erst recht eines Inquisitors unwürdig schienen: Bettler, fahrende Messerschleifer, Lumpenhändler, ja Dungsammler und Leichenträger und sogar einen Henker. Viele von ihnen schien er, zu meinem nicht geringen Erstaunen, gut zu kennen. Er fand freundliche Worte für jeden. Dann schickte er sie wieder fort, zurück zu den Orten, wo sie ihren wenig erbaulichen Gewerben nachgingen. Jedem gab er den Auftrag mit: »Suche nach Pierre de Grande-Rue! Wenn du ihn siehst, so eile zum Dominikanerkloster und melde dich bei mir! Wie spät die Stunde auch sein möge, ja selbst während einer Messe — zögere nicht einen Augenblick, dich mir zu offenbaren! GOTTES Segen und mein Wohlwollen werden dir sicher sein.«

So entließ Meister Philippe die Elenden und Schmutzigen in die Gossen von Paris. Und langsam begriff ich, dass sie, auf die niemand ein Auge warf, ihrerseits die Augen der Inquisition waren. Ich bewunderte Meister Philippe dafür nur noch umso mehr - und fürchtete ihn doch auch zugleich. Denn ich erinnerte mich schamhaft meiner Abenteuer in der Stadt und fragte mich nun des Öfteren, ob nicht auch ich den tausend Augen der Inquisition schon aufgefallen war. Doch blieben diese Momente der Unsicherheit selten, denn zumeist trieb mich die Unrast eines gefangenen Tieres. Ich wollte nach dem Land der Periöken forschen — und durfte es doch nicht. Lea hatte sich nicht einmal vor dem Kloster blicken lassen. Vielleicht hatte sie noch nichts entdeckt. Gut möglich aber auch, dass sie gesehen hatte, wie ich täglich mit dem Inquisitor auf die Straße trat. Da mochte sie sich gefürchtet haben und hielt sich verborgen, um nicht Meister Philippes Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Kein Wort auch von Klara.