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»Meinen Segen - und zwei Livres Belohnung für dich, mein Sohn!«, rief der Inquisitor keuchend, als er uns ein paar Augenblicke später erreicht hatte. Wir alle standen außer Atem um den Vaganten. Der Sergeant beeilte sich, das todbringende Messer an sich zu nehmen. »Fesselt ihn, dann holt Verstärkung«, befahl Meister Philippe. »Wir wollen ihn fortschaffen.«

»Wohin?«, fragte der Sergeant.

»Ins Kloster Saint-Martin-des-Champs«, kam die Antwort. »Zum Kerker der Inquisition.«

Da bekreuzigten sich die beiden Bewaffneten und sprachen fortan kein Wort mehr.

»Esto consentiens adversario tuo cito dum es in via cum eo ne forte tradat te adversarius iudici et iudex tradat te ministro et in carcerem mittaris. Amen dico tibi non exies inde donec reddas novissimum quadrantem«, sagte Meister Philippe zu mir und klopfte sich den Staub aus der Kutte.

»Was geschieht nun?«, fragte ich und mühte mich, wieder zu Atem zu kommen. Mein Herz raste - und das nicht nur wegen der Verfolgungsjagd.

»Wir werden zum Kloster Saint-Martin-des-Champs gehen, wie es Mönchen geziemt«, antwortete der Inquisitor, »würdig, langsam und im stillen Lobpreis GOTTES.

Der Sergeant und der junge Torwächter, dessen Schaden dieses Abenteuer nicht sein soll, werden sich um den Vaganten kümmern und ihn gebunden dorthin führen. In Saint-Martin-des-Champs werden wir dann die Zeit finden, uns ausführlich mit Pierre de Grande-Rue zu unterhalten.«

Er lächelte dünn. »Ich danke IHM fürwahr für SEINE Gnade, dass er uns endlich jenen Mann in die Hand gegeben hat. Vielleicht, wer weiß, gelingt es uns gar, die gute Stadt Paris doch noch vor SEINEM Zorn zu schützen - jenem Zorn, der schon ganz Frankreich, ja das ganze Abendland, so hört man, verheert hat.«

Ich schlug das Kreuz und folgte dem Inquisitor. Es war ein langer Weg, für den wir wohl zwei Stunden oder mehr brauchten. Zunächst gingen wir bis zur Porte Saint-Honore zurück, doch betraten wir nicht die Stadt, sondern hielten uns außerhalb der Mauer an einen staubigen Weg, der in einem großen Bogen links von der Seine wegführte. So wanderten wir durch Felder und Obstgärten. Weiß und rosafarben blühten noch manche Apfel- und Birnbäume, in den meisten reiften schon rote und gelbe Früchte zwischen den Blättern. Mich hungerte und dürstete, doch wagte ich es selbstverständlich nicht, mir eine dieser Köstlichkeiten zu pflücken.

Der Inquisitor, der meinen Blick deuten konnte, lächelte mir aufmunternd zu. »Gedulde dich, Bruder Ranulf«, sprach er. »Saint-Martin-des-Champs ist weit mehr als nur ein Gefängnis der Kirche. Es ist ein Kloster außerhalb der Stadtmauern - und es untersteht der Abtei von Cluny, der reichsten des Landes. Die Brüder dort werden sich unserer annehmen. Wir werden ausgeruht und gestärkt das Verhör des Vaganten beginnen.«

So folgte ich ihm denn durch die Hitze und durch den Staub. Selten nur erblickten wir einen Bauern auf den Feldern, kaum je einen Boten oder Händler auf einer der nach Paris führenden Straßen, die wir kreuzten.

Zwei Hunde sah ich, die tot und mit aufgeblähtem Bauch im Graben lagen, umschwirrt von schwarzen Wolken aus Schmeißfliegen. Mir dünkten sie ein böses Omen und wieder schlug ich das Kreuz - wiewohl hastig, damit mich der Inquisitor nicht dabei ertappte und vielleicht über meinen Aberglauben spottete.

Endlich gelangten wir auf die große Rue Saint-Nicolas, die genau nordwärts aus Paris führte. Hier lag das ummauerte Kloster Saint-Martin-des-Champs wohl einige Hundert Schritte jenseits der Wälle der Stadt.

Wahrhaftig, der Inquisitor hatte nicht übertrieben: Die Mauer um das Kloster wäre einer mittleren Stadt würdig gewesen, so hoch und mächtig war sie — dabei war sie jedoch weiß gekalkt und rein, sodass sie das Licht reflektierte, bis mir die Augen schmerzten. Ein junger Kluniazensermönch ließ uns ein. Meister Philippe zeigte ihm an, dass demnächst ein Gefangener der Inquisition zu erwarten sei, und bat ihn, alle nötigen Vorbereitungen zu treffen. Derweil sah ich mich um und staunte nicht schlecht. Die Gebäude des Klosters lagen inmitten großer, wohlgepflegter Kräutergärten, die betäubend dufteten. Das Gesumm unzähliger Bienen, welche um die Blüten aller Farben tanzten, erfüllte die Luft. Die Kirche war so groß, dass sie wohl an die tausend Mönche aufnehmen konnte. Eine große Rosette und viele fein gearbeitete Skulpturen zierten ihre Front; ein Glockenturm mit glänzendem, kupferbeschlagenem Dach ragte in den Himmel und selbst das Kreuz auf seiner Spitze war vergoldet. Zwei Novizen eilten uns durch die Gärten entgegen, grüßten ehrerbietig und geleiteten uns in ein kühles, helles Gästehaus. Dort wuschen sie uns die Füße und reichten uns anschließend Obst und weißes Brot, Käse und erquickendes, klares Brunnenwasser. Ich schloss die Augen, hörte von irgendwoher das beruhigende Plätschern eines Springbrunnens, lauschte dem Gesumm der Bienen und dem Gesang der Vögel und dankte dem HERRN, dass er mir diese kleine Rast gönnte.

Ich musste in Schlummer gefallen sein, denn irgendwann vernahm ich die Stimme von Meister Philippe: »Mach dich bereit, Bruder Ranulf! Wir haben lange genug geruht.«

Schuldbewusst blickte ich mich um und erhob mich. »Wohin gehen wir?«, fragte ich, noch schlaftrunken.

»Wir werden in den Kerker hinabsteigen. Der Vagant ist angekommen«, antwortete der Inquisitor.

Sein Gesichtsausdruck war derart, dass ich nicht mehr wagte, das Wort an ihn zu richten.

*

Kein Mönch geleitete uns. Es war nur zu deutlich, dass Meister Philippe den Weg kannte, den wir nun einzuschlagen hatten. Wir durchquerten den Garten, gingen um den weiten Kreuzgang von Saint-Martin-des-Champs und passierten schließlich wieder die Klosterkirche.

Hinter dem Hause GOTTES erhob sich ein wuchtiger Bau mit mächtigen Mauern und wenigen Fenstern in plumpen, runden Bögen. Mit einem Blick erkannte ich, dass dieses finstere Haus, das eher an eine Festung gemahnte, weit älter sein musste als die anderen, so kunstvollen und lichten Monumente des Klosters.

Meister Philippe schritt zum einzigen Portal, einer schweren, eichenen Tür. Dort erwarteten uns bereits zwei Bewaffnete. Ihre Gewänder zierten die Insignien der Heiligen Inquisition. Die beiden Hellebardenträger verneigten sich schweigend und während der eine am Tor zurückblieb, führte uns der andere hinein ins düstere Innere. Ich folgte ihm und meinem Meister durch einen langen, fensterlosen Gang. Dann öffnete sich ein gemauerter Bogen zu einer engen, gewundenen Treppe, die in die Tiefe führte. Dumpfe Luft und ein Gestank nach heißem Eisen und anderen Dingen, die ich zu jener Zeit noch nicht zu deuten wusste, schlugen uns entgegen. Ich zog den Saum meiner Kapuze über Mund und Nase, während der Wächter eine Fackel entzündete, bevor er weiter voranschritt. Tief ging es hinab, mir wollte es scheinen, als führte diese Treppe bis in die Hölle. Die mit schwarzem Schimmel überzogenen Wände schwitzten Wasser aus und mit jeder Stufe nahm die Hitze zu, roch die Luft modriger.

Endlich gelangten wir wieder auf einen Gang. Hier steckten im Abstand von jeweils mehreren Schritten Fackeln in eisernen Ringen an den Wänden und warfen ein unruhiges, rotes Licht auf den Boden, der mit fauligem Stroh bedeckt war. Ein Wesen, dunkel und wohl so lang wie mein Unterarm, huschte leise raschelnd davon: die größte Ratte, die ich je gesehen hatte. In unregelmäßigen Abständen waren zu beiden Seiten des Gangs Eichentüren in die Wände gelassen — so niedrig, dass ein erwachsener Mann bestenfalls tief gebeugt, eher nur auf Knien hindurchkommen mochte. Ich glaubte, während ich voranschritt, hinter mancher der verschlossenen Pforten Schmerzensstöhnen zu vernehmen, doch das mochte ich auch meinen überreizten Sinnen zuschreiben. Einen Menschen sah ich jedenfalls nicht — bis wir am anderen Ende des Ganges in ein überraschend hohes, von wohl einem Dutzend Pfeilern getragenes Gewölbe traten. Zwei kräftige, in kurze Ledergewänder gehüllte Männer verbeugten sich schweigend und traten respektvoll zurück, als Meister Philippe ihnen dies mit einem Wink gebot. Zu meiner Überraschung gewahrte ich im Hintergrund des hohen Raumes den Bader Nicolas Garmel, den der Inquisitor offensichtlich ebenfalls hierhin befohlen hatte. Auch er verneigte sich, doch gab er sich nicht würdevoll wie die beiden anderen Männer, sondern war blass und zitterte, als erwarte er jeden Augenblick seinen Tod.