Im Gewölbe schimmerte das Licht noch rötlicher, hier war die Luft noch stickiger, denn neben den Fackeln in eisernen Ringen strahlte ein großer Rost mit einem Berg glühender Kohlen Licht und Hitze aus.
Doch nicht deshalb stockte mir der Atem.
Mitten im Gewölbe stand ein großer Tisch aus dunklen Eichenbalken. Auf diesem lag, nackt und von einigen Hieben ein wenig zerschunden, Pierre de Grande-Rue.
Der mächtige Körper des Vaganten war immer noch Furcht einflößend, obwohl der Gefangene ausgestreckt war und sich nicht mehr rühren konnte. Seine Hand- und Fußgelenke umklammerten eiserne Zwingen, die wiederum mit schweren Ketten an Ringen befestigt waren, die tief im Eichentisch verschraubt waren.
Außer den unbedeutenden Wunden, die ihm bei seiner Gefangennahme zugefügt worden waren, schien mir Pierre de Grande-Rue unverletzt zu sein. Schweiß glänzte allerdings auf seiner Haut und ließ seine langen, roten Haupt- und Barthaare verkleben; sein Atem ging schwer. Er sog die Luft ein wie nach einem Hieb, als er den Inquisitor erblickte.
»Mein Sohn«, sagte Meister Philippe, »du wirst schwerer Verbrechen und großer Sünden bezichtigt. Es sind Taten, die du nicht mehr rückgängig machen kannst. Noch aber ist es nicht zu spät zu bereuen und zu gestehen. Wenn du ohne Falsch redest und uns ehrlichen Herzens alles sagst, was du getan hast, ohne auch nur eine Winzigkeit verbergen zu wollen, dann mag der HERR dir dies dereinst zu deinen Gunsten anrechnen. Und ich verspreche dir, dass auch ich es dir zu deinen Gunsten auslegen werde, wenn du uns Zeit und dir selbst unnötige Pein ersparst.«
Dann gebot mir Meister Philippe, mich an ein Pult zu stellen, das einige Schritte neben dem Tisch stand, auf dem der Gefangene lag. Auf diesem Pult fand ich eine Feder, ein Fass Tinte und etliche Bögen guten Pergaments.
»Bruder Ranulf, du wirst das Protokoll führen und alles getreulich aufzeichnen, was der Gefangene sagt.« Ich nickte gehorsam.
Schließlich wandte sich der Inquisitor in freundlichem, doch festem Ton wieder an Pierre de Grande-Rue. »Nun rede!«, forderte er ihn auf. Dann fragte er ihn, ob er Heinrich von Lübeck erstochen habe. Pierre de Grande-Rue hob den Kopf, so weit es ihm die eisernen Fesseln erlaubten. Alles Wilde war aus seinem Gesicht gewichen. Furchtsam blickte er zu uns auf, einem großen, verstörten Kind ähnlicher als dem Messer werfenden Berserker, der mir noch vor einigen Tagen im Schlachthof beinahe das Leben geraubt hatte.
Für einen Moment wollte mich Mitleid gegen ihn ankommen, doch dann dachte ich an Jacquette und dies wappnete mein Herz. Kalt blickte ich auf ihn hinab, nahm die Feder zur Hand und wartete darauf, was er uns zu sagen hatte.
»Gnade, Herr!«, hub der Vagant an. Seine Stimme war tief, doch hörte ich ein Zittern in ihr.
»Es liegt allein an dir, wie groß die Gnade der Inquisition ist«, erwiderte Meister Philippe. »Also befehle ich dir ein zweites Maclass="underline" Rede!«
»Ich habe den Mönch nicht getötet«, rief daraufhin der Vagant - und ich schrieb dies nieder, obgleich sich mir bei diesen Worten die Feder sträuben wollte.
»Den Mönch habe ich gesehen, das ja«, fuhr er fort, »doch da war er schon tot. Es war nachts, als ich an Notre-Dame vorbeischritt, die genaue Stunde vermag ich nicht zu sagen.«
»Was hattest du dort zu suchen«, unterbrach ihn Meister Philippe, »zu einer Stunde, die du nicht benennen magst oder kannst, die aber doch sicherlich schon ungewöhnlich spät war?«
Kurz zögerte der Vagant und ich sah, wie er in seinem Innern mit sich rang. Dann seufzte er vernehmlich. »Verzeiht mir, Herr, dass ich Eure Ohren mit einer Sünde beleidige. Ich wusste, wie jedermann es weiß, dass stets Schönfrauen im Schatten von Notre-Dame ausharren, auch in der Nacht. Ich hatte in einer Taverne Glück im Würfelspiel gehabt. Da wollte ich ein paar Sous von meinem gewonnenen Geld zu einer Dirne tragen und mir den Rest der Nacht versüßen.« Der Vagant schluckte schwer, da er diese Sünde gestand. Doch Meister Philippe blickte ihn bloß aufmerksam an, seine Gesichtszüge blieben undurchdringlich. Die beiden Folterknechte und der Wächter sahen starr vor sich hin und schienen, wenn überhaupt eine Regung in ihnen auszumachen war, ein wenig gelangweilt. Der Bader Nicolas Garmel hatte sich an einen Pfeiler gelehnt und wirkte so, als würde er am liebsten mit dem Stein verschmelzen, um sich unsichtbar zu machen. Ich kritzelte eifrig mit der Feder über das Pergament und ließ nur kurz mein Auge über die Runde schweifen. Statt erleichtert darüber zu sein, dass sich niemand über diese Sünde empörte, flackerte neue Angst auf in den Zügen des Vaganten. Vielleicht verstand er erst in jenem Moment, dass diese Sünde, so schrecklich sie war, uns lässlich schien angesichts jener Sünden, die wir gekommen waren zu hören.
Pierre de Grande-Rue räusperte sich. »Darf ich einen Schluck Wasser haben, Herr? Mich dürstet.«
Der Inquisitor nickte. Da trat einer der Folterknechte gleichmütig zu einem offenen Wasserfass, in dem eine Holzkelle schwamm. Mit der brachte er einen Schluck an die Lippen des Gefangenen, dann zog er sich wieder zurück.
»Ich wollte also zu nächtlicher Stunde die Kathedrale passieren«, setzte der Vagant seine Geschichte fort. »Da erblickte ich an deren Seite, vor jenem kleinen Portal, etwas Dunkles auf dem Boden. Ich hielt es zunächst für ein paar Lumpen, die jemand verloren hatte. Doch als ich näher kam, da gewahrte ich, dass es ein Mensch war, der dort ausgestreckt auf dem Boden lag. Ein Toter.«
»Heinrich von Lübeck?«, fragte der Inquisitor.
»Den Namen kenne ich nicht, Herr«, sagte der Gefangene eilfertig. »Ich weiß nur, dass es ein Mönch war, der dort die Seele ausgehaucht hatte.«
»Und du bemerktest sofort, dass er tot war?«
»Ja, er rührte sich nicht. Ich blickte mich um, als ich sah, dass er aus einer Messerwunde blutete, denn ich fürchtete in jenem Augenblick, dass auch ich von demjenigen angegriffen werden könnte, der diese Untat verübt hatte. Doch niemand zeigte sich mir, ich vernahm auch kein Geräusch.
Eine Zeit lang stand ich so unschlüssig da und wusste nicht, was ich tun sollte. Versteht Ihr, Herr?«, fragte er flehentlich, doch der Inquisitor starrte ihn nur an.
»Ich wusste doch nicht, wen ich hätte rufen sollen«, fuhr Pierre de Grande-Rue mit kläglicher Stimme fort. »Für einen Arzt war es zu spät. Das Kloster der Dominikaner war weit. Und wenn ein Vagant wie ich bei den Sergeanten einen niedergestochenen Mönch gemeldet hätte, ich wäre doch sofort in den Kerker geworfen worden!«
»In den Kerker des Prévôt royal wärest du gekommen«, erwiderte Meister Philippe daraufhin nüchtern. »Dafür schmachtest du nun im Kerker der Inquisition.«
Der Vagant schluckte schwer ob der unterschwelligen Drohung in diesen Worten. »Ich beging eine Sünde, oh verzeiht mir Herr!«, flehte er. »Als ich bei dem Toten stand und nicht wusste, wen ich rufen sollte, und sah, dass sich weit und breit niemand zeigte, da wollte ich sehen, ob ich bei dem Mönch nicht etwas holen konnte.«
»Du wolltest den toten Mönch bestehlen?«, hielt der Inquisitor fest. Pierre de Grande-Rue wandt sich, so weit es seine Fesseln erlaubten. »Ich dachte, dass er die Dinge dieser Welt nun sowieso nicht mehr brauchte. Er war ja schon ins Paradies eingegangen!« Da vernahm ich zum ersten Mal, dass einer der beiden Folterknechte leise murrte. Mir schien, dass er langsam die Geduld verlor. Meister Philippe jedoch zeigte sich unbeeindruckt. »Was hast du an dich genommen?«