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Der Regen schlug mir ins Gesicht und durchnässte meine Kutte, sodass mir die Kälte bald unerträglich dünkte. Ich überlegte schon, ob ich nicht einem Wahngebilde aufgesessen sei und es nicht besser wäre, in meine trockene Zelle zurückzukehren, bevor ich mir in Nässe und Kälte ein womöglich tödliches Leiden zuzöge, da gewahrte ich an einem Ende des Kreuzgangs eine lange Reihe schweigender Schatten. Dort stand wohl ein Dutzend oder mehr Mönche mit hochgeschlagenen Kapuzen.

Mir stockte der Atem. Keine der Gestalten hatte eine Kerze oder Fackel entzündet. Lautlos bewegten sie sich in Richtung des Lesesaals der Bibliothek. Wer mochten sie sein? Warum versammelten sie sich zu nächtlicher Stunde?

Ich wäre gerne näher herangeschlichen, doch wagte ich dies nicht, denn der Brunnen, hinter dem ich mich versteckt hielt, erhob sich in der Mitte des Kreuzganges. Wo auch immer ich mich hätte hinwenden mögen: Stets hätte ich ein Stück weit über eine freie Fläche kriechen müssen, bevor ich in die Dunkelheit der pfeilergeschmückten Gänge hätte eintauchen können.

Also rührte ich mich nicht, spähte nur vorsichtig über den Brunnenrand und hoffte, noch einen Blick auf die Schatten zu erhaschen. Und wahrlich, GOTT erhörte mein Flehen. Denn gerade, als die Mönche die Pforte öffneten, welche den Gang zum Lesesaal verschloss, zerriss ein fürchterlicher Blitz den Nachthimmel. Es waren gleißend gelbe Feuerzacken, die von West nach Ost das Gewölbe über der Welt zu sprengen schienen. Irgendwo in Paris fuhr dieser Blitz nieder. Ein gewaltiges Donnern rollte durch die Straßen, ein Grollen und Krachen. Es stank nach Schwefel.

Doch jener Blitz erhellte die Dunkelheit für einen Augenblick. Alles tauchte er in ein unwirtliches, grelles Licht, das keinen Schatten mehr ließ. Die Mönche allerdings hatten ihre Häupter furchtsam gesenkt oder abgewandt, sodass ich ihre Gesichter trotz der plötzlichen Helligkeit nicht erkennen konnte.

Nur einer, der Erste, der an der Pforte stand, hielt sein Haupt erhoben und zuckte nicht einmal, da der Blitz die Nacht erschütterte. Deutlich konnte ich die Züge unter der Kutte ausmachen. Einen Augenblick zwar nur, doch brannte sich mir das Bild in die Augen und in die Seele. Dort stand Meister Philippe.

*

Ich wartete zitternd und zagend, bis die Mönche lautlos im Lesesaal verschwunden waren. Nun, da ich wusste, wer zu ihnen gehörte, wagte ich es nicht mehr, ihnen näher zu kommen. So schlich ich mich denn bei der erstbesten Gelegenheit zurück in meine Zelle. Erschöpft warf ich mich auf meine Pritsche. Die Kälte war mir in die Knochen gefahren - und doch war es nicht die Kälte des Regens, die mich erschauern ließ.

Wer waren die Mönche, mit denen sich der Inquisitor nächtens traf? Andere Inquisitoren? Was hatten sie zu bereden? Warum diese Heimlichkeit? Hatten diese Zusammenkünfte etwas mit den Toten zu tun, deren Schicksal Meister Philippe und mich aneinander gekettet hatte? Oder fanden sie gänzlich unabhängig davon statt? Gab es sie vielleicht schon seit Jahren? Wussten die meisten Mönche im Kloster Saint-Jacques vielleicht sogar davon? War nur ich nicht eingeweiht? Oder — im Gegenteil - war ich der Einzige, der ihnen auf die Schliche gekommen war? Was sollte ich nun tun? Hatte ich dadurch nicht noch einen Grund mehr, Meister Philippe zu misstrauen? Mit diesen Gedanken verbrachte ich den Rest der Nacht. Einer Nacht, die in ganz Paris wohl für Unruhe sorgte, denn das Gewitter blieb Stunde um Stunde über der Stadt, als wollte der Himmel selbst zornig auf die Dächer einschlagen.

Als allerdings der Morgen heraufdämmerte, lösten sich die Wolken auf, als hätte es sie nie gegeben. Blau war der Himmel, strahlend und klar und wie rein gewaschen die Luft. Schon nach der Prim wärmte uns die Sonne, nach der Terz stand sie bereits hoch und brannte heiß.

Meister Philippe sang bei den Gottesdiensten im Chor der Mönche, als wäre nichts geschehen. Er sah erfrischt aus und ruhig wie immer.

Ich wagte nicht, ihn anzusprechen, aus Furcht, dass ich in einem unbedachten Moment etwas verraten mochte, das den Inquisitor auf die Spur meiner nächtlichen Suche gebracht hätte. Außerdem befürchtete ich, dass Meister Philippe mich fragen mochte, was ich an diesem Tage außerhalb des Klosters zu schaffen hatte.

Denn schon nach der Prim war ich auf die Rue Saint-Jacques getreten, doch zu meiner großen Enttäuschung gewahrte ich nirgendwo Klaras Dienerin. Nach der Terz eilte ich wieder hinaus - und mein Herz jubilierte, denn nun sah ich sie!

Wir verständigten uns nur durch einen Blick; keine Geste sollte uns verraten. Die Dienerin wandte sich die Straße hinab und ging Richtung Seine. Ich folgte ihr — doch wie erstaunt war ich, als ich nach einiger Zeit bemerkte, dass wir nicht zum »Haus zum Hahn« gingen. Stattdessen führte mich die Dienerin in die Kathedrale Notre-Dame. Mit einem Blick bedeutete sie mir, an einem der Pfeiler im Kirchenschiff zu warten. Dann zog sie sich zu einer Kapelle am Chor zurück und sank dort nieder zum Gebet. Ich blickte mich ratlos um, grübelnd, was dies zu bedeuten hatte.

In der Kirche drängte sich ungewöhnlich viel Volk für diese Stunde. Dann gewahrte ich mehrere Priester, die vor den Altar traten, um eine Messe zu lesen. Eine Totenmesse.

Neugierig und nicht wenig beunruhigt trat ich näher. Ich lauschte dem aufgeregten Gerede mehrerer Müllerinnen, die in der Nähe des Pfeilers beisammen standen, wo auch ich ausharren sollte. So erfuhr ich denn, dass in der Nacht zuvor jener Blitz, der mir das Gesicht des Inquisitors enthüllt hatte, tatsächlich in Paris eingeschlagen war: Er war hineingefahren in die kleine Kirche Notre-Dame-de-Liesse, wo sich Christenmenschen zur Mitternachtsmesse versammelt hatten.

Vier Menschen hatte der Blitz getötet, dreißig weitere hatte er ihrer Glieder oder ihres Verstandes beraubt. So gewaltig war die Kraft des Flammenstrahls, dass sogar steinerne Platten und Eisengitter, welche den Zugang zur Krypta verschlossen hielten, vom Boden hochgerissen und durch die Luft geschleudert worden waren.

Nun hielten vier Priester die Totenmesse in der größten Kirche von Paris, denn gar viele Angehörige, Freunde und Nachbarn hatten sich eingefunden und auch viele Bürger, obwohl sie keines der Opfer gekannt hatten.

Die Heiterkeit und Hoffnung, die einen jeden in den letzten Tagen beflügelt hatten, waren wie weggeflogen. Die Ängste, die bösen Gerüchte, die unheilvollen Vorzeichen, die ein jeder gesehen haben wollte, machten wieder in getuschelten Worten die Runde. So trauerte ich zwar ob der vier Opfer, schlug das Kreuz und murmelte die Gebete, doch noch mehr beunruhigte mich das Geschwätz der Lebenden als das Schicksal der Toten. Es war, als könnte ich die Furcht wieder spüren, wie sie umging in Notre-Dame und mich streifte, gleich einem kühlen Lufthauch aus einer Gruft. Deshalb zuckte ich eher erschrocken, denn erfreut zusammen, als ich plötzlich Klaras Stimme hinter mir vernahm.

»Dreh dich nicht um, mein Geliebter«, flüsterte sie. »Niemand soll uns bemerken.«

Mir klopfte das Herz im Halse. Oh, wie gerne hätte ich in jenem Augenblick die Gattin des Reeders in meine Arme genommen! Doch war ich vernünftig genug, meine Leidenschaft zu bezähmen. Nicht einmal aus den Augenwinkeln sah ich sie an, sondern starrte unverwandt nach vorne, wo einer der Priester gerade den Kelch hob. »Ich bin glücklich, dass du hier bist«, flüsterte ich. »Doch warum durfte ich nicht in dein Haus kommen?«

»Das ›Haus zum Hahn‹ gleicht einem Bienenkorb. Stündlich gehen Menschen ein und aus, nie bin ich allein. Es ist so viel geschehen in den letzten Tagen. Ich werde dir alles erzählen - aber nicht hier. Ich habe dich hierherkommen lassen, weil Notre-Dame ein großer, belebter und deshalb unauffälliger Ort für ein Treffen ist. Ich bin ungesehen hier angekommen. Meine Dienerin Magdalena wird nun sehen, ob auch du von niemandem verfolgt worden bist.« Erst da gewahrte ich, dass die Dienerin nicht länger in jener Seitenkapelle kniete, wo ich sie zuletzt gesehen hatte. Irgendwann musste sie unauffällig aus der Kathedrale geschlichen sein; ich jedenfalls konnte sie nirgends sehen.