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»Du wirst verfolgt?«, fragte ich entsetzt und eine Spur zu laut. »Sei nicht beunruhigt!«, ermahnte sie mich. »Bald wirst du alles erfahren. Wir müssen allerdings noch vorsichtiger sein als zuvor. Gedulde dich.«

Tatsächlich sah ich bald die Dienerin, wie sie wieder zum Portal hineinkam. Sie ging mit gesenktem Haupt an uns vorbei, doch nickte sie ihrer Herrin zu, zumindest deutete ich eine Kopfbewegung so. »Gut«, flüsterte Klara. »Wir können es wagen: Magdalena wird dich zum Haus eines reichen Wollhändlers in der Rue Darnetal führen. Ihre Schwester ist dort Dienerin. Ich werde in ihrer Stube auf dich warten. Alles ist abgesprochen, fürchte dich nicht. Ich werde nun dorthin eilen. Du wirst bis zum Ende der Messe bleiben, dann folgst du Magdalena unauffällig. Sie wird dir den Weg weisen. Ich erwarte dich sehnlichst!«

Mit diesen Worten verschwand sie und ließ mich verwirrt zurück. Wer mochte der Verfolger sein, vor dem sich Klara ängstigte? Mochte er auch mir nachstellen? Ich betete, dass ihr nichts geschehen möge. Ich bezwang meine Ungeduld und Unruhe und harrte bis zum Ende der Messe in Notre-Dame aus. Das Licht, das durch die prachtvollen Rosetten fiel und mir doch sonst wie eine Offenbarung GOTTES dünkte, schien mir nun ein teuflischer Zauber zu sein. Ich sah gelb, rot und blau leuchtende Kreise, Punkte, Dreiecke, die auf den Pfeilern und über den Köpfen der demütig betenden Gläubigen tanzten - und erkannte in ihnen doch nur die unruhigen Seelen der Toten und der Dämonen, die uns der Herr der Finsternis schickt, um uns zu quälen. Die Pfeiler, die mir doch sonst gen Himmel strebend vorkamen, als trügen sie irgendwo weit oben, im Halbdunkel des Kirchenschiffes, das Paradies versteckt, erschienen mir nun wie wuchtige, drohende Balken eines gigantischen Galgens, errichtet, um Hunderte Menschen in seinen Schlingen zu tragen. Die heiligen Worte der Messe und die Hymnen, welche doch sonst mein Herz erfreuten und meine Seele leicht machten, klangen auf einmal hohl und lügnerisch. Oh, wie sehnte ich den letzten Segen herbei, um aus Notre-Dame eilen zu können!

Als es endlich so weit war, gewahrte ich im Gedränge an der Pforte vor der Kathedrale die Dienerin Magdalena. Ich folgte ihr in gehörigem Abstand. Sie führte mich auf die andere Seite der Stadt und mehrere Straßen entlang, die ich nie zuvor gegangen war. So versuchte ich, mir den Weg zu merken, auf dass ich ihn später ohne Schwierigkeiten würde zurückgehen können.

So schritten wir an der Kirche Saint-Sauveur vorbei und kamen unmittelbar danach an ein prachtvolles, helles Bürgerhaus beim Brunnen Fontaine de la Reine. Das Haus war wohlgepflegt, doch still. Kein Laden war an den Fenstern im Obergeschoss geöffnet, die massive Türe war verschlossen, kein Schatten regte sich hinter den Fenstern aus hellem Glas im Erdgeschoss.

Die Dienerin ging zur rechten Seite des Hauses, wo eine kleine Treppe zu einer etwas höher gelegenen Pforte hinaufführte. Es war dies wohl der Eingang für das Gesinde und für Lieferanten, die Waren für die Küche des Hausherren bringen mochten.

Magdalena schlüpfte hinein und ließ die Pforte einen Spalt weit offen. Ich verstand — und blieb draußen auf der Straße stehen. Es war mein Schicksal, dass ich mich durch Hintereingänge in Häuser schleichen musste wie ein Dieb — ein Sünder, der sich nahm, was ihm nicht zustand. Eine Weile sah ich mich um und als ich glaubte, dass niemand meiner achtete, eilte ich mit wenigen großen Sprüngen die Treppe hoch und verschwand im Innern des Hauses.

Ich hatte richtig geraten, denn ich fand mich in einer großen, wohlgepflegten Küche wieder. Allerdings sah es dort so aus, als habe schon seit Tagen niemand mehr gekocht, zumindest nicht für eine größere Gruppe von Menschen. Alles war sauber, ordentlich und aufgeräumt. Niemand war zu sehen, auch Magdalena nicht mehr. Ich eilte durch die Küche, kam auf einen Gang und erspähte, dass von den vielen Türen, die dort zu beiden Seiten die Wände durchbrachen, nur eine geöffnet war: Einen Augenblick später lag Klara in einer winzigen Stube in meinen Armen.

*

Oh süße Lust, die uns alle Sorgen vergessen lässt! Auf dem Weg zum Haus des Wollhändlers hatte ich mich immer wieder umgesehen, aus Sorge um einen geheimnisvollen Verfolger. Ich hatte Angst um Klara.

Mein Geist war verwirrt vom Gesicht des Inquisitors im nächtlichen Licht des Blitzes und vom Anblick des gefolterten Vaganten, der für ein Verbrechen gestorben war, das er nicht begangen hatte. Ich fragte mich, wo sich die terra perioeci befinden mochte und wie ich, ohne Verdacht zu erregen, geografische Werke studieren konnte. Ich fühlte mit der Jüdin Lea, die sich um ihren Vater ängstigte. Ich fürchtete einen Mann, der mit der Linken zwei Männer GOTTES und eine schandbare, mir jedoch teure Frau erstochen hatte. Dann kam Klara und brannte mit ihrem ersten Kuss all die Bedrängnisse meiner Seele zu Asche. Ich seufzte auf und ergab mich ihren Liebkosungen, die ich so viele Tage entbehrt hatte. Erst nach einer langen Zeit kam ich wieder zu Sinnen. Ich lag auf einem schmalen, harten Bett, der nackte Körper meiner Geliebten schmiegte sich noch immer an den meinen. Ich blickte mich um. Das Zimmer der Dienerin war klein, die Wände glänzten kahl, das winzige Fenster ließ nur wenig Licht ins Innere.

Klara, die mich beobachtete, lächelte. »Mach dir keine Sorgen, Ranulf«, flüsterte sie. »Der Wollhändler ist schon im Frühling nach Brügge aufgebrochen. Längst sollte er zurückgekehrt sein, doch seit Wochen hat niemand mehr etwas von ihm gehört. Seine Gattin führt den Haushalt, doch sie verbringt ihre Tage bei einer verheirateten Tochter auf der anderen Seite des Flusses. Sie wird, wie stets, erst am Abend zurückkehren. Sollte sie doch wider Erwarten früher kommen, dann wird sie uns hier in dieser Stube des Gesindes nicht finden. Meine Dienerin Magdalena hat alles vorbereitet.« Ich dachte an die Bettler und Krüppel, welche die Augen der Inquisition waren. Wenn schon diese Elenden würdig waren, der Kirche zu dienen, dann könnten doch sicher auch Dienerinnen dazu auserkoren sein. »Ist Magdalena verschwiegen?«, fragte ich deshalb nicht ohne Unruhe.

Klara lachte. »Es ist ein bisschen spät, dass du dir darüber Sorgen machst, mein Geliebter!«, schalt sie mich neckisch. »Doch sei ohne Furcht: Magdalena ist in meinem Elternhaus groß geworden, folgte mir zu meinem Gatten und ist mir bedingungslos ergeben. Ihr allein traue ich - denn sonst traue ich niemandem mehr.«

Kälte durchfuhr meinen Körper. Ich richtete mich auf und blickte Klara an.

»Was ist vorgefallen?«, begehrte ich zu wissen.

Die Reedersgattin wurde ernst. Die Spottlust, die ich so an ihr liebte, war in ihren Augen erloschen. »Ranulf«, fragte sie mich, »ist es möglich, dass in wenigen Stunden Dinge geschehen mögen, die ein Leben, das doch schon so manches Jahr währt, von Grund auf verändern können?«

Ich lächelte schwach. »Die erste Liebesnacht, die du mir schenktest, währte wohl kaum mehr als eine Stunde — und machte doch zwei Jahrzehnte Keuschheit und Gehorsam zunichte«, erinnerte ich sie. »Und«, setzte ich rasch hinzu, um ihr Gewissen nicht zu belasten, »ich habe diese große Veränderung seither nicht einen Augenblick bereut.«

Klara blieb ernst. »Ich jedoch bereue die Veränderungen der letzten Stunden«, flüsterte sie und seufzte.

»Es begann alles mit der Einladung zum Bischof«, fuhr sie dann fort. »Magister Jean Courtecuisse war äußerst zuvorkommend, ja huldvoll gegen mich und meinen Gatten. Auch wenn — ich gestehe meine weibliche Eitelkeit — es mich schmerzte zu sehen, dass ihm die Reize einer Frau nichts bedeuteten, denn er achtete meiner während des ganzen Abends nicht mehr, als es die Höflichkeit gebot.«

»Ich bin froh zu hören, dass der Bischof von Paris nicht mein Rivale wird«, bemerkte ich da säuerlich.

Sie fand ihr altes Lachen wieder und gab mir einen neckischen Stoß in die Rippen. »Habe ich dir nicht soeben bewiesen, welchem Mann meine Gunst gehört?«, fragte sie mich.