Dann wurde sie wieder ernst. »Nun, trotz all der auserlesenen Speisen, trotz der leisen Musik, die einige Flöten- und Lautenspieler im Nebenraum erklingen ließen, trotz Kerzenlicht und damastenen Tischdecken, trotz all der salbungsvollen Worte des Bischofs kam es mir bald vor, als müssten mein Gatte und ich einem Inquisitor Frage und Antwort stehen.«
Ich dachte daran, wie Meister Philippe den Vaganten verhört hatte, doch verzichtete ich auf eine Erwiderung.
»Höflich und in langen, verschlungenen Sätzen zwar, doch letztlich hartnäckig wie ein Jäger fragte Magister Courtecuisse meinen Gatten nach dem Wann und Wohin der ›Kreuz der Trave‹. Mir schien es, dass der Bischof sehr wohl wusste, dass wir beabsichtigen, in nächster Zeit abzulegen — doch dass er weder das Datum noch das Ziel unserer Reise kannte.
Aus irgendeinem Grund jedoch wagte er auch nicht, meinen Gatten frank und frei danach zu fragen. Er schien auch nicht die Macht zu haben, uns diese Auskünfte einfach zu befehlen — oder unsere Kogge im Hafen festzuhalten, wenn es ihm denn so beliebte. Es war mehr, als wäre Magister Courtecuisse nicht der oberste Seelenhirte von Paris, sondern ein anderer Reeder, der neugierig einen Konkurrenten auszuhorchen versuchte. Neugierig und«, Klara zögerte kurz, »irgendwie auch voller Furcht.«
»Und was antwortete ihm dein Gatte?«
»Oh«, sie lachte, »der Bischof nötigte ihn, ein Glas Burgunder nach dem anderen zu leeren. Das hätte wohl für manches Abendmahl gereicht!«
Als sie meinen entsetzten Blick bemerkte, küsste sie mich und flüsterte. »Verzeih mir, ich vergesse immer wieder, dass du ein keuscher Mann des HERRN bist.«
Dann blickte Klara nach oben zur Decke. Es war, als würden sich die Geschehnisse der letzten Nacht nun vor ihrem Geiste noch einmal zutragen. »Mein Gatte hielt sich achtbar — ob aus Geschick oder aus schierer Not, das vermag ich allerdings nicht zu sagen. Den Tag der Abreise verriet er jedenfalls nicht. Auch das Ziel der Fahrt wusste er geschickt bis zum Ende jener denkwürdigen Einladung zu verschweigen. Hier jedoch vermute ich, dass es ihm leichter fiel als mit dem Datum, denn so sehr der Bischof auch nachfragte und so sehr mein Gatte darüber ins Schwitzen geriet: Ich glaube, dass Magister Courtecuisse nichts von ihm erfahren konnte, weil mein Mann das Ziel selbst nicht kennt.
Ich glaube ferner, dass der Bischof dies irgendwann erkannt haben muss. Denn urplötzlich schien er alles Interesse an uns verloren zu haben. Nach einigen Sätzen, welche die Höflichkeit erforderte, entließ er uns aus seiner Gunst. Es war allerdings auch schon spät — doch die Nacht war da noch längst nicht vorüber.
Wir ließen uns in einer Trage nach Hause bringen, umringt von Dienern und Fackelträgern. Es war zu jenen Stunden, da das Gewitter mit Macht einsetzte. Es regnete, als hätten sich die Schleusen des Himmels geöffnet. Es donnerte und blitzte, dass selbst ich mich fürchtete. Viele Fackeln unserer Diener erloschen im Regen oder in plötzlichen, heftigen Böen. Auch konnte ich aus der Trage heraus kaum etwas erkennen. Und doch: Fast bin ich sicher, dass uns ein Schatten gefolgt ist, von der Residenz des Bischofs bis zum ›Haus zum Hahn‹.« Mich durchfuhr ein Schauder. »Konntest du ihn erkennen?«, fragte ich und wusste doch zugleich, wie überflüssig diese Frage war. Klara schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin ja nicht einmal sicher, dass uns wahrhaftig jemand gefolgt ist. Vielleicht war es auch eine Einbildung meiner überreizten Sinne. Mein Gatte jedenfalls, ermüdet vom vielen Wein und der hartnäckigen Befragung durch den Bischof, schlummerte auf dem Weg ein und bemerkte sicherlich nichts und niemanden.
Zum seligen Schlaf allerdings sollte er noch lange nicht finden. Kaum waren wir im ›Haus zum Hahn‹ angelangt — wir hatten uns noch nicht einmal unserer nassen Obergewänder entledigt —, da klopfte es laut an die Tür. Ich erschrak und mein Gatte wohl ebenso. Trotzdem hieß er einem Diener nachzusehen, wer uns zu dieser späten Stunde zu stören wagte. Es war ein Mönch.«
Ich glaubte, dass sich der Boden unter mir öffnete und ich in den tiefsten Schlund der Hölle fallen würde.
»Welchem Orden gehörte er an?«, wollte ich wissen — und konnte mir die Antwort doch schon denken.
»Es war einer deiner Mitbrüder«, antwortete Klara und bedachte mich mit einem seltsamen Blick. »Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, denn er hatte die Kapuze übergeworfen und unser Haus wurde zu so später Stunde nur durch eine Kerze erhellt, deren flackerndes Licht nicht bis zu ihm reichte.«
»Was wollte der Dominikaner?«, fragte ich.
»Auch das weiß ich nicht. Denn sobald mein Gatte des Mönches ansichtig wurde, verfärbte sich sein Gesicht. Er wurde blass. Dann wies er mich aus dem Zimmer. Seine Worte mir gegenüber waren unhöflich, ja grob, doch hörte ich, wie seine Stimme dabei zitterte. Also schluckte ich die scharfe Erwiderung auf diese Ungehörigkeit, die mir schon auf der Zunge gelegen hatte, wieder hinunter und gehorchte schweigend. Zumindest tat ich so. Denn kaum hatte mein Gatte die Tür hinter mir geschlossen, da schlich ich zurück und versuchte, die beiden zu belauschen. Leider sind die Türen in unserem Haus aus dicken Eichenbrettern, sodass ich kein Wort verstehen konnte. Nur so viel glaube ich zu wissen: Es hörte sich an, als ob der Mönch meinem Gatten in bestimmendem Tonfall Befehle erteilt hätte, die dieser, wiewohl voller Furcht, doch demütig entgegennahm. Ich wagte auch, durchs Schlüsselloch zu spähen, und sah dabei, wie der Dominikaner meinem Gatten ein Buch übergab. Dann jedoch musste ich mich rasch verstecken, denn der Mönch und mein Gatte näherten sich der Tür.
Lautlos eilte ich in unser Schlafgemach, ging zu Bett und stellte mich tief schlummernd. Nach einiger Zeit kam mein Gatte und legte sich zu mir. Der Wein übermannte ihn sofort und er schlief rasch ein, doch seine Angst - ob durch den Besuch beim Bischof verstärkt, durch den Mönch oder beide Ereignisse — quälte ihn weiter. Außerdem erfüllten die zuckenden Blitze und der grollende Donner die Nacht, auf dass nicht einen Moment Ruhe einkehrte in unserem Haus. So warf er sich unruhig hin und her, sprach manches unverständliche Wort und wurde wohl auch von finsteren Albträumen heimgesucht. Ich wartete wohl eine halbe Stunde, ob mein Gatte wieder erwachen würde. Stets trieb er am Rand des Schlummers dahin, ohne jedoch die Augen aufzuschlagen. Deshalb wagte ich es irgendwann, mich vorsichtig und leise vom Bett zu erheben. Eine Kerze mochte ich nicht anzünden, denn ich fürchtete, dass dieses zusätzliche Licht meinen Mann wecken würde. Mir musste das flackernde Leuchten der Blitze genügen.
Zur großen Truhe schlich ich mich, auf die mein Gatte in seiner Müdigkeit achtlos sein Wams geworfen hatte. Dieser Ermattung schreibe ich es auch zu, dass er nicht mehr daran gedacht hat, jenes Buch besser zu verstecken, welches ihm der Mönch zuvor überreicht hatte. Es steckte noch in der Innentasche seines Gewandes. Es war ein alter Kodex, gebunden in brüchiges, braunes Leder.«
Mir schwante Unheimliches. »Um was handelte es sich bei diesem Werk?«, fragte ich - und fürchtete mich doch schon vor der Antwort.
Klara nickte. »Im Licht der Blitze war nur wenig zu erkennen. Ich hatte nur Zeit, es einmal aufzuschlagen. Dann rollte ein so heftiger Donner über den Himmel, dass mein Gatte sich erschrocken im Bett aufrichtete. Ich musste an seine Seite eilen, bevor er richtig erwachte. Danach wagte ich es nicht mehr, das Bett noch einmal zu verlassen. Am nächsten Morgen, ich musste irgendwann entschlummert sein, da waren alle seine Gewänder weggeräumt — und das Buch war verschwunden.«
»Was hast du in jenem kurzen Augenblick gesehen?« drängte ich ungeduldig.
»Landkarten«, verriet mir meine Geliebte. »Ich sah Karten von Ländern und Meeren, doch vermag ich nicht zu sagen, welche Region auf GOTTES Erde ich dort verzeichnet fand. Eines nur weiß ich: Der Name des Kartografen prangte in großen roten Lettern auf der Titelseite.«