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Aus der Nähe ist es ein Haufen Sand, auf dem sich allerlei Geschöpfe verschiedenster Herkunft tummeln, schwitzend und schimpfend, ständig am Rand eines Nervenzusammenbruchs, mit unordentlichen Lebensgewohnheiten und mühsam be­herrscht von einem bürokratischen Durcheinander, das sich als Regierung bezeichnet.

Aus der Ferne sieht man einen Glanzpunkt des 20. Jahr­hunderts, einen Staat, dessen Einwohnerschaft nicht einmal halb so groß ist wie die von London, New York oder Tokio, ein Volk, das trotzdem inmitten von Nichts eine musterhafte Demokratie aufgebaut hat, ein blühendes Land, das sich unter ständiger Kriegsdrohung und unendlichen Schwierigkeiten trotzdem immer weiter entwickelt, ein Land voll Schönheit und Geschichte, von tödlicher Lähmung bedroht und trotzdem voll Leben.

Schauen wir es uns trotzdem einmal aus der Nähe an.

Der typische Bewohner des Landes Trotzdemia ist dadurch charakterisiert, daß er um 15.30 Uhr in Haifa erwartet wird und zu spät kommt. Genau genommen kommt er nicht zu spät, sondern gar nicht. Man findet ihn, wenn überhaupt, hinter einer Türe mit der Aufschrift »Kein Eintritt«.

Wo immer er auftaucht, greift er sofort alles an, um festzu­stellen, ob es echt ist. Sieht er ein Sandwich, so beißt er hinein, sieht er einen Lichtschalter, so dreht er ihn an. Er steckt seine Nase in fremde Taschen, fremde Schubladen, fremde Schach­partien. Wenn nichts da ist, wo er sie hineinstecken kann, bohrt er in ihr.

Nicht minder typisch für ihn ist die Flasche zu seinen Füßen. Wenn irgendwo auf der Welt in einem Kino oder Konzertsaal das störende Geräusch einer davonrollenden Flasche hörbar wird, darf man sicher sein, daß dort ein Trotzdemianer sitzt.

Zu seinen weiteren Kennzeichen gehören die Schlüssel, die er bei sich trägt. Es sind mindestens 21, von denen er 12 nicht identifizieren kann. Wenn er nach Hause kommt und die Türe aufsperren will, muß er 8 Schlüssel ausprobieren, bevor er auf den richtigen stößt. Dieser quälenden Prozedur entgeht er da­durch, daß er alle 21 verliert. Überhaupt liebt er es, Dinge zu verlieren. Ein Beamter der trotzdeminanischen Regierung begab sich vor kurzem mit einer Anzahl wichtiger Geheimdo­kumente nach Istanbul. Angekommen, öffnete er seinen Di­plomatenkoffer und mußte feststellen, daß es der Schminkkof­fer seiner Gattin Selma geb. Friedmann war. Daraufhin be­hauptete er, mit dem Transport von Kosmetikartikeln beauf­tragt zu sein, über deren geheimen Zweck man ihn nicht unter­richtet hatte. Er wurde entlassen und betätigt sich seither als Versicherungsagent.

Ein hervorstechendes Merkmal des Trotzdemianers ist seine Abneigung gegen Gebrauchsanweisungen und Instruktionen jeglicher Art. Eine Kiste mit der Aufschrift »Oben« stellt er grundsätzlich so auf, daß das »Oben« nach unten zeigt. Pakete mit dem in roter Farbe angebrachten Vermerk »Achtung, zer­brechlich!« wirft er in die Luft, steckt die Finger in die Ohren und tritt zur Seite. Die Anweisung »Kalt und trocken aufbe­wahren« veranlaßt ihn, die betreffende Schachtel auf dem Boiler seines Badezimmers zu deponieren - was keine weite­ren Folgen hat, da der Boiler nicht heizt. Dies wiederum ver­anlaßt ihn, den Boiler zu übermalen. Er übermalt leidenschaft­lich gerne. Wenn etwas schmutzig ist, übermalt er es. Wenn es rostig ist, legt er noch eine zweite Farbschicht auf. Für Repara­turen, die elektrische Schweißarbeiten erfordern, verwendet er Klebstoff, die nötigen Schrauben ersetzt er durch Heftpflaster. Es hält.

Der Trotzdemianer ißt laut, spricht laut, geht laut und beklagt sich über den Lärm. Wenn sein Radio wie ein Teekessel pfeift, wartet er ein Jahr, bevor er den Mechaniker holt. Dieser emp­fiehlt ihm, den Apparat links ein wenig anzuheben. Er hebt ihn an, und da der Lärm tatsächlich aufhört, legt er eine Zündholz­schachtel unter die linke Seite. Wenn der Lärm wieder be­ginnt, wechselt er die Zündholzschachtel, oder er versetzt dem Kasten einen leichten Schlag mit der Hand. Auch mit dem Plattenspieler verfährt er ebenso, und ebenso erfolgreich (ein­schließlich Stereo). Bei größeren Maschinen arbeitet er mit Fußtritten. Seine Zentralheizung funktioniert überhaupt nur noch nach einen Tritt in den Thermostat. Jeden Morgen geht er in den Keller, um zu treten. Schließlich bricht er sich die große Zehe. Daraufhin ruft er den Installateur Stucks, der aber nicht kommen kann, weil er um 15.30 Uhr in Haifa zu tun hat. Dar­aufhin kauft der Trotzdemianer sechs kleine Petroleumöfen, von denen sich nur zwei in Betrieb setzen lassen. Heimisches Erzeugnis.

Heimische Erzeugnisse zeichnen sich überdies durch eine Vielfalt an Nebenprodukten aus. Im Brot sind Nüsse (oder Sägespäne). In der Milch: Abwaschwasser. Im Kuchen: Käfer. Im Koffer: doppelter Boden.

Die Trotzdemianer gelten als das Volk des Buches. Sie be­handeln ihre Bücher sehr behutsam und schneiden sie in den meisten Fällen gar nicht auf.

Wenn ein trotzdemianischer Wasserhahn nicht tropft, so liegt das daran, daß die Wasserzufuhr unterbrochen ist. Auch der elektrische Strom wird einmal am Tag abgestellt, denn die Turbinen des Elektrizitätswerks sind falsch installiert und müssen übermalt werden.

Der echte Trotzdemianer benützt zum Eindrehen von Schrauben seine Nagelfeile und zum Putzen seiner Nägel den Bleistift. Wichtige Telefonnummern notiert er auf einer ange­fangenen Zigarettenpackung, die er verliert. Bei Anfällen hochgradiger Nervosität wählt er eine Nummer des telefoni­schen Notrufs, weil ihn das Besetztzeichen beruhigt. Wenn kein Besetztzeichen ertönt, hat er eine falsche Nummer er­wischt und legt auf.

Der Trotzdemianer ist stolz und freiheitsliebend. Er reist viel, bestellt in vegetarischen Gasthäusern mit Vorliebe Beefsteak, kauft auf Raten und legt größten Wert auf Reinlichkeit und Hygiene. Zum Verpacken von Käse verwendet er kein beliebi­ges Zeitungspapier, sonder Illustrierte mit Mehrfarbendruck. Auch im Theater läßt er sich von den Grundsätzen des guten Benehmens leiten und wirft die Orangenschalen nicht auf die Bühne, sondern unter den Sitz. Die trotzdemianische Sprache ist reich an blumigen Wendungen und Hintergründigkeiten. »Seien Sie unbesorgt!« kündigt eine Katastrophe an, »Ver­trauen Sie mir!« einen verlorenen Rechtsfall. »Sofort!« bedeu­tet zwei Stunden, »Ein paar Tage« bedeutet ein Jahr, »Nach den Feiertagen« bedeutet nie.

Der Trotzdemianer gewinnt Kriege, wenn ihn der Sicher­heitsrat nicht daran hindert. Er lenkt seinen Panzerwagen ver­schlafen in eine falsche Richtung, nimmt den feindlichen Ge­neralstab gefangen und kehrt immer noch verschlafen als Sie­ger zurück. Außer für militärische Fragen interessiert er sich nur noch für Fußball und für die Bar Mizwah seines Sohnes Avigdor. Am liebsten würde er den ganzen Tag im Liegestuhl am Strand faulenzen, wenn der Liegestuhl nicht kaputt wäre. Er hat ihn schon wiederholt mit Klebestreifen repariert, aber die Beine halten nicht. Man wird sie übermalen müssen. Seien Sie unbesorgt.

Der Trotzdemianer ist ein netter Mensch. Er hat einen eige­nen Lebensstil entwickelt, an den man sich erst gewöhnen muß. Dann geht es ganz gut. Es ist vielleicht nicht der beste Lebensstil der Welt, aber für einen Humoristen ist er unge­mein ergiebig.  

Man ist so ah, wie man ist

Vor geraumer Zeit - genauer gesagt: Ungefähr zu jener Zeit, als ich das Buch abgeschlossen hatte - überkam mich der häß­liche Gedanke, daß ich vielleicht nicht mehr ganz so jung bin wie früher. Damit will ich nicht sagen, daß mich mein plötzli­cher Geburtstag in Panik versetzt hätte. In meinen Augen sind Geburtstage nichts Besonderes. Ich hatte schon welche, und sie haben mich nicht beeindruckt. Was ich verabscheue, ist die übertriebene, die sozusagen unrealistische Anzahl dieser Ge­burtstage, sind die Ziffern, mit denen sie bezeichnet werden. Was soll das heißen: Heute bin ich 50 Jahre alt? Ich war noch nie 50, ich war die ganze Zeit jünger. Da steckt irgendwo ein Fehler. Die Leute vom Matrikelamt sollten besser aufpassen. Nach meinem eigenen Dafürhalten, ich meine: Nach dem Ein­druck, den ich von mir selbst habe, bin ich noch nicht einmal über die Ziffer 30 hinaus. Es könnte sogar sein, daß ich imkommenden November erst 29 werde oder etwas Ähnliches. Was will man von mir?