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»Ich werde mein Bestes tun«, versicherte ich ihm, schaltete das Telefon aus und machte mich auf die Suche nach einem Reim auf Jonas. Es war zu dumm. Hätten die Leute ihren über­flüssigen Sprößling nicht anders nennen können? Zum Bei­spiel Gideon, mit dem eingebauten Reim auf Sohn? Ganz zu schweigen von Ephraim, ein vorbildlicher Name, der sich wie von selbst auf Jeruscholajim reimt, und das paßt immer. Aber nein, Jonas muß er heißen.

Endlich hatte ich ihn erwischt:

Euch, Eltern, gilt mein kindlich Sehnen,

Euch gelten meine Dankestränen.

Schon machen sie mein Mikrophon naß –

Es schluchzt vor Rührung euer Jonas.

Darüber war es Nachmittag geworden und Zeit für die An­kunft eines Telegramms: »Mehr Gefühl mehr Tempo bitte um Fertigstellung bis sieben Uhr.«

Allmählich begannen sich bei mir gewisse Ermüdungser­scheinungen bemerkbar zu machen. Nach der vierzehnten Strophe ging ich unter die Dusche, wo ich es bis zur achtzehn­ten brachte, dann dichtete ich in der Badewanne weiter, aber ein geeigneter Schluß wollte sich auch am Schreibtisch nicht einstellen und fehlte selbst dann noch, als um halb sieben der Bote des abgöttisch geliebten Elternpaares eintraf, um das Manuskript abzuholen. Er pflanzte sich dicht hinter meinem Schreibtisch auf und ließ mich wissen, daß er den Motor sei­nes Wagens nicht abgestellt hätte.

Unter dem Druck dieser Inspiration warf ich die abschließen­de Strophe aufs Papier:

So laßt mich, teure Eltern, enden –

Mein Schicksal liegt in euern Händen.

Dort bleibt es liegen allezeit,

In Freud und Leid und Dankbarkeit.

Der Bote riß das Papier an sich und verschwand. Ich durfte mir sagen, daß ich die einseitig festgesetzte Stunde der Ablie­ferung genau eingehalten hatte. Dann fiel ich in tiefen, traum­losen Schlummer.

Wochen vergingen, ohne daß ich von meiner Bank etwas über den Eingang eines Honorars oder von meinem Auftrag­geber ein diesbezügliches Sterbenswörtlein gehört hätte.

Ich griff zum Telefon und fragte ihn, ob die Sache damals in Ordnung gewesen sei.

»Welche Sache?« fragte er zurück. »Wann?«

Nicht ohne Stolz gab ich mich als Verfasser der kunstvoll gereimten Rede zu erkennen, die Jung-Jonas zur Feier seiner Bar-Mizwah gehalten hatte.

»Ach so«, klang es mir ans Ohr. »Richtig. Ich erinnere mich. Leider habe ich noch keine Zeit gehabt, ihr Manuskript zu lesen. Rufen Sie mich doch noch einmal an.«

»Morgen früh? Um acht?«

»Es eilt nicht. Vielleicht gegen Mittag. Oder nächste Wo­che.«  

Ein nicht ganz orthodoxes Gespräch

Bei jeder »Bar-Mizwah«-Feier stellt sich die Frage, nach welchem Ritus die Wandlung des Jünglings zum Manne voll­zogen werden soll. Das Streitgespräch über diesen Punkt fin­det nicht etwa zwischen den jeweils beteiligten Eltern und Söhnen statt, sondern zwischen den verschiedenen rabbini­schen Gremien. Und es geht dabei schon deshalb so hitzig zu, weil der Mensch seinem Mitmenschen alles verzeihen kann bis auf eines: daß er nach einem anderen Ritus zu seinem Schöpfer betet. Im Lande Israel tobt der Disput am leiden­schaftlichsten zwischen jenen, welche die von Moses erlasse­nen Gesetze bis zum kleinsten Buchstaben genauso beobach­ten, wie sie damals auf der Generalversammlung am Berg Sinai protokolliert wurden - und einer Reformbewegung, die darauf Rücksicht nimmt, daß sich seither einiges auf Erden ge­ändert hat und daß die Menschheit mit Computern, Vitaminta­bletten, Che Guevara und der Ehe ohne Trauschein gesegnet wurde.

Daß ich in diese Diskussion geriet, habe ich mir selbst zuzu­schreiben.

Es war ein stürmischer Abend, stürmisch wie der im Parla­ment erfolgte Angriff der Nationalreligiösen Fraktion auf das Reformjudentum, als mir plötzlich der Gedanke kam, den ei­gentlich und unmittelbar Betroffenen um Seine Meinung zu fragen. Es würde schon in Anbetracht des delikaten Themas kein leichtes Interview werden, das war mir klar. Aber es in­teressierte mich, den offiziellen Standpunkt zu unserem offen­bar unvermeidlichen Kulturkampf kennenzulernen.

ICH: Was ist Ihrer Meinung nach der wesentliche Unter­schied zwischen den beiden Haupttendenzen innerhalb der jüdischen Religion?

DER HERR (entschuldigend): Ich bin da leider nicht ganz auf dem laufenden, da mich in der letzten Zeit ein völlig an­ders geartetes Problem beschäftigt. Die Schwerkraft im Welt­raum nimmt ab, das Universum beginnt sich auszudehnen, und es besteht die Gefahr, daß es mit der sogenannten Unendlich­keit über kurz oder lang vorbei sein wird. Dann stehe ich da und kann von vorne anfangen. Wie weit seid ihr - ich meine die Erde - von der Sonne entfernt?

ICH: In jüdischen oder arabischen Ziffern?

DER HERR: Natürlich arabisch.

ICH: 153 000 000 km.

DER HERR: Dann werdet ihr also... dann werdet ihr in unge­fähr einer Billion Jahre mehr als zweihundert Millionen Kilo­meter von der Sonne entfernt sein... Wer weiß, was dann pas­siert... Bedenken Sie bitte, daß die Erde nur ein kleiner Planet im Sonnensystem ist und daß es in jeder Galaxie Millionen von Sonnensystemen gibt.

ICH: Als der Rabbiner des Orthodoxenviertels von Jerusalem einem Reformgottesdienst beiwohnte, spuckte er zweimal aus.

DER HERR: Da die erwähnten Millionen von Sonnensyste­men mir einiges zu schaffen geben, kann ich meine Aufmerk­samkeit nicht restlos auf den ehrwürdigen Rabbi konzentrie­ren.

(Ich stellte mit Vergnügen fest, daß der Herr sich als höfli­cher, urbaner, ja geradezu brillanter Gesprächspartner erwies. Er ist, wie man weiß, weltberühmt für die Erschaffung der Welt und hat ungefähr 3000 Jahre vor Christi Geburt der Erde ihre heutige Gestalt gegeben, einschließlich Bevölkerung, in insgesamt sechs Tagen. Das Gespräch wurde in idiomatischem Hebräisch geführt, dann und wann mit ungarischen Brocken dazwischen.)

ICH: Ich nehme an, Herr, daß Sie mehr als irgend jemand anderer auf die strikte Befolgung Ihrer Gebote Wert legen. Sind Sie religiös?

DER HERR (nach einigem Zögern): Nein. Ursprünglich stand ich auf Seiten der Orthodoxen, aber jetzt gehen sie mir auf die Nerven. (Scharf.) Euch dort unten ist jeder Vorwand recht, um eure politischen oder persönlichen Ziele zu fördern!

Ihr denkt an alles, nur nicht an mich. Überhaupt befinde ich mich in einer unmöglichen Situation. Ihr schreibt mir die Er­schaffung der Welt zu, ich gelte euch als ein überirdisches Wesen, dessen Werke das menschliche Fassungsvermögen weit übersteigen. Und trotzdem behandelt ihr mich wie einen Schmierenschauspieler, dem der Applaus über alles geht. Je­den Morgen muß ich mir die gleichen unterwürfigen Lobes­hymnen anhören (er zitiert aus einem aufgeschlagenen Buch): »Herrscher der Welt, unser Vater, König der Könige, dem nichts verborgen bleibt, wir preisen Dich in Ehrfurcht, All­mächtiger, der Du entscheidest über Leben und Tod und des­sen Augen alles sehen...« (Klappt das Buch zu.) Und so weiter und so fort. Ich muß schon sagen...

ICH: Herr, sie singen Ihren Preis aus Liebe.

DER HERR: Sie schmeicheln mir, das ist alles. Und sie be­leidigen meine Intelligenz. Als ob der Schöpfer der Welt auf solche Lobhudelei angewiesen wäre. Sie würden es niemals wagen, den Computer der Stadtverwaltung von Tel Aviv mit so etwas zu füttern. Glauben Sie mir, lieber Freund: es ist höchste Zeit, die Dinge ein wenig aufzulockern. Ein paar klei­ne Kürzungen und Änderungen werden niemandem weh tun. Warum sollen Männer und Frauen nicht zusammen beten? Und wo steht geschrieben, daß die Männer immer etwas auf dem Kopf tragen müssen, vielleicht gar eine mittelalterliche polnische Pelzmütze? Habe ich euch jemals befohlen, in lan­gen, schwarzen, schweren Mänteln herumzulaufen, auch im Sommer? Bin ich euer Feind? Auf diese Weise entfremdet ihr mir die Jugend!