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ICH: Es ist Tradition, Herr. Ihre Tradition.

DER HERR: Reden Sie sich doch nicht immer auf mich aus, wenn ich bitten darf. In einer Zeit, in der die Menschen auf den Mond fliegen, beharren Sie darauf, daß sie am Sabbath nicht fahren dürfen. Oder nehmen Sie Ihre Hochzeitszeremo­nie. Die wird noch immer auf aramäisch abgehalten, in einer Sprache, die nicht einmal ich verstehe. Was soll das alles? Ich habe nichts gegen die Orthodoxen, solange sie mich nicht zwingen, ebenso zu denken wie sie. Aber gleich ausspucken, wenn jemand nach einem ändern Ritus betet? Wie läßt sich das mit der Tatsache vereinbaren, daß es schließlich in jedem Ritus um mich geht? Habe ich euch dazu euern Staat gründen lassen? Was werden sich die Zodiac-Anbeter auf dem Mars denken?

ICH: Das klingt beinahe, Herr, als ob Sie ein Ungläubiger geworden wären.

DER HERR (energisch): Bin ich nicht! In keiner Weise! Bit­te machen Sie das Ihren Lesern eindeutig klar! Ich versuche nur, den Fanatikern gegenüber meine Position zu wahren. Sie sollen mir doch nicht länger unterstellen, daß ich nach wie vor die strikte Einhaltung aller 613 Gebote und Verbote erwarte, als wäre in der Zwischenzeit nichts passiert. Damit mache ich mich ja in den Augen jedes denkenden Menschen einfach lä­cherlich. Versuchen Sie die Dinge doch einmal von meinem Standpunkt aus zu sehen, um Gottes willen...

ICH: Dann gehören Sie also der Reformbewegung an?

DER HERR (vorsichtig): Ich möchte mich nicht festlegen. Sagen wir, daß ich mit den Reformern sympathisiere. Haupt­sache bleibt, daß ich Jude bin.

ICH: Mit allem Respekt, Herr: wie wollen Sie das beweisen?

DER HERR (überrascht): Da haben Sie recht. Es gibt keine gesetzliche Definition des jüdischen Gottes... Ich bin Jude, weil ich Jude bin... (Mit wärmerer Stimme): Ich liebe euch alle. Ich bin des guten Willens voll. Aber auch Sie müssen Konzessionen machen. Treiben Sie keinen Keil zwischen mich und meine Religion. Geben Sie mir die Möglichkeit, mein Amt auch in kommenden Zeiten und für kommende Genera­tionen zu versehen.

ICH: Herr, ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Darf ich meinen Lesern sagen, daß Sie uns noch immer für das auser­wählte Volk halten?

DER HERR (herzlich): Gewiß. Ich mag euch mehr als alle anderen Völker.

ICH: Warum?

DER HERR: Ihr seid so komisch.  

Kleine Geschenke erhalten Vater und Sohn

Amir, mein zweitgeborener und, wie man weiß, rothaariger Sohn, hatte ziemlich mühelos das Alter von dreizehn Jahren und damit nach jüdischem Gesetz seine offizielle Mannbarkeit erreicht. Dies äußerte sich u. a. darin, daß er - am ersten Sab­bath nach seinem Geburtstag - in der Synagoge zur Vorlesung des fälligen Thoraabschnitts an die Bundeslade gerufen wurde. Es äußerte sich ferner in einer abendlichen Feier, die wir nach alter Elternsitte für ihn veranstalteten und zu der wir zahlrei­che Freunde sowie, vor allem, wohlhabende Bekannte einlu­den.

Kurz vor Beginn des Empfangs trat ich an meinen zum Man-ne gewordenen Sohn heran, um ihm die Gewichtigkeit dieses Anlasses klarzumachen:

»Generationen deiner Vorfahren, mein Junge, blicken heute stolz auf dich nieder. Du übernimmst mit dem heutigen Tag die Verantwortung eines volljährigen Bürgers dieses Landes, das nach zweitausend Jahren endlich wieder -«

»Apropos zweitausend«, unterbrach mich mein verantwor­tungsbewußter Nachfahre. »Glaubst du, daß wir so viel zu­sammenbekommen?«

»Wer spricht von Geld?« wies ich ihn zurecht. »Wer spricht von Schecks und von Geschenken? Was zählt, ist das Ereignis als solches, ist sein spiritueller Gehalt, ist-«

»Ich werde ein Bankkonto auf meinen Namen eröffnen«, vollendete Amir laut und deutlich seinen Gedankengang. Den­noch zeigte er sich ein wenig unsicher und verlegen, als die ersten Gäste erschienen. Er wußte nicht recht, wo sein Platz war, er begann zu schwitzen und fragte mich immer wieder, was er sagen sollte.

Geduldig brachte ich es ihm bei.

»Sag: ich freue mich, daß Sie gekommen sind.«

»Und wenn man mir das Geschenk überreicht?«

»Dann sag: danke vielmals, aber das war wirklich nicht not­wendig.«

Solcherart instruiert, bezog Amir Posten nahe der Türe. Schon von weitem rief er jedem Neuankömmling entgegen: »Danke, das war nicht notwendig« und hielt ihm begehrlich die Hand hin. Als er den ersten Scheck bekam, lautend auf damals 50 Pfund, mußte ich ihn zurückhalten, sonst hätte er seinem Wohltäter die Hand geküßt. Über die erste Füllfeder geriet er beinahe in Ekstase, und beim Anblick eines Expan­ders brach er in Freudentränen aus.

»Ein empfindsames Kind«, bemerkte seine Mutter.

»Und so begeisterungsfähig!«

Die Sammelstelle für Geschenke wurde im Zimmer meiner jüngsten Tochter Renana eingerichtet, und mein ältester Sohn Raphael übernahm es, die Beute zu ordnen.

Eine Trübung der festlichen Atmosphäre ergab sich, als ein zur Prunksucht neigender Geschäftsmann sich mit einem Scheck in der exhibitionistischen Höhe von 250 Pfund einstellte. Neben solchen Großzügigkeiten verblaßten sämtliche Kompasse und Enzyklopädien. Immer nachlässiger murmelte von da an der junge Vollbürger sein »danke... nicht notwendig...«, und bald darauf beklagte er sich bei mir über zwei Gäste, von denen er nichts weiter bekommen hatte als einen Händedruck, was wirklich nicht notwendig war. Ich behielt die beiden schamlosen Geizkragen scharf im Auge und sah mit hilfloser Empörung, wie sie sich am Büffet gütlich taten.

»Nur Geduld«, tröstete ich meinen zornbebend neben mir stehenden Sohn. »Die kriegen wir noch. Geh auf deinen Kon­trollposten.«

Im allgemeinen durfte man jedoch mit den Geschenken zu­frieden sein, obwohl sie von wenig Phantasie zeugten und zahlreiche Duplikate aufwiesen. Es wimmelte von Feldfla­schen, Ferngläsern, Kompassen und Füllfedern, und die Ex­pander vermehrten sich wie Kaninchen. Wer hätte gedacht, daß diese Instrumente so billig sind.

Wir empfanden es geradezu als Erlösung, als die Seeligs mit dem Minimodell eines zusammenlegbaren Plastikbootes an­kamen. Amir vergaß sich und sagte statt des üblichen »Danke nicht nötig« mit anerkennendem Kopfnicken: »Nicht schlecht.«

Ich selbst schlüpfte von Zeit zu Zeit aus meiner Rolle als freundlicher Gastgeber, um Inventur zu machen. Die Bücher hatten sich mittlerweile zu Türmen hochgeschichtet: wohlfeile Ausgaben der Bibel, Reisebeschreibungen, Bildbände mit schlechten Reproduktionen und ein Bändchen mit dem zu­nächst rätselhaften Titel »Hinter dem Feigenblatt«, das sich als Anleitung zum Geschlechtsverkehr für Minderjährige entpuppte. Und irgendein Idiot hatte sich nicht entblödet, meinem Sohn ein »Lexikon des Humors« zu schenken, in dem der Name seines Vaters nicht erwähnt war. Ich gab Auftrag, dem Kerl keine Getränke anzubieten.

In einer Kampfpause versuchte ich mich an dem Expander und stellte befriedigt fest, daß ich ihn über zwei Stufen span­nen konnte. Außerdem beschlagnahmte ich eine Füllfeder. Es waren ihrer sowieso schon zu viele. Amir sollte sich nach der Feier eine aussuchen, meinetwegen sogar zwei, und den Rest würden wir umfunktionieren.

Im übrigen veränderte sich der Charakter meines rothaarigen Sohnes gewissermaßen unter meinen Augen. Er hatte längst aufgehört, die ankommenden Gäste zu begrüßen. Die stumme Gebärde, mit der er ihnen entgegensah, bedeutete unverkenn­bar: »Wo ist das Geschenk?«, und die Stimme, mit der er sich bedankte, klang je nach den gegebenen Umständen von herz­lich bis kühl. Auch sonst benahm er sich wie ein Erwachsener.

Bei meinem nächsten Besuch im Lagerraum stieß ich auf zwei Flakons Toilettenwasser, für die der Junge keine Ver­wendung hatte. Die Leute könnten wirklich ein wenig nach­denken, bevor sie Geschenke machen. Auch einen goldenen Kugelschreiber und eine Mundharmonika nahm ich an mich. Dann wurde ich in meinen Ordnungsbemühungen gestört.