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— Wofür ist das? fragte Robert.

Er bemühte sich, seiner Stimme einen möglichst bewegten Ton zu verleihen. Das war nicht leicht, aber die Konzentration auf die Vorbereitung, die kleinen Drehungen des Pinsels, der sich mit Farbe vollsog, half ihm dabei.

— Ein Notausgang, sagte der Labortechniker.

Das Braun der Stirn war exquisit, eine seltene Nuance. Sie nachzubilden, sie unter all den Möglichkeiten der Farbmischung auf der Palette aufzuspüren würde sicher die nächsten Minuten in Anspruch nehmen. Nachdem er mehrere Brauntöne ausprobiert hatte, bemerkte er, was er tat, und er blickte zu dem Techniker, der gelangweilt oder verloren oder mit sich zufrieden oder in Erwartung irgendeiner größeren Katastrophe auf dem Bürostuhl saß.

— Sie müssen nicht …, sagte Robert.

Und deutete, weil er die Reaktion seines Satzes nicht abschätzen konnte, auf die Leinwand.

Der Labortechniker neigte den Kopf zur Seite, als habe Robert etwas sehr Interessantes gesagt, über das er erst einmal nachdenken müsste.

— Er hat sich an uns gewöhnt, sagte der Techniker schließlich. Das ist ganz normal bei Primaten. Die sehen allgemein keinen großen Unterschied zwischen verwandten Arten. Haben Sie den Umzug gestern mitgekriegt?

Robert malte einen kleinen Farbtupfer auf seine linke Hand. Er betrachtete den Fleck und versuchte zu extrapolieren, welchen Eindruck die Farbe auf der Leinwand hinterlassen würde.

— Nein, sagte er, ohne den Techniker anzublicken. Hab ich nicht gesehen.

— Totaler Irrsinn. Herr …?

— Tätzel.

— Herr Tätzel. Ja, also totaler Irrsinn war das, ich meine, wir haben die Fenster zumachen müssen. Am schlimmsten waren diese Tröten. Wenn hundert Leute in so ein kleines Ding blasen, dann sprengt es einem das Trommelfell.

Robert entschied sich, seinen Blick auf den Techniker zu richten und ihn einfach anzustarren. Die Zeit dafür war gekommen.

Aber der Techniker hatte seine Stirn auf die Lehne des Stuhls gestützt, auf dem er verkehrt herum saß.

Sofort legte sich das Gefühl der Bedrohung. Robert malte einen Strich auf die Leinwand.

— Festumzüge, murmelte der Techniker in die Lehne des Bürostuhls. Weiß keiner, wofür die gut sein sollen. Und die Gesichter dieser Leute …

Er schüttelte den Kopf und schlug, obwohl die Wespentaille der Stuhllehne dazwischen war, die Beine übereinander. Robert fand es immer unerträglich, wenn er die Schuhsohlen eines Menschen präsentiert bekam. Meist geschah es genau auf diese Weise: Jemand baute aus dem oberen Bein eine Art Dach, ein Schienbeinpult. Dann hätte er denjenigen am liebsten erschlagen. Ein Glück, dass es in erster Linie Männer waren, die so saßen, aber der Teufel wollte es, dass er hie und da auch die Schuhsohlen einer Frau zu sehen bekam. Was für ein ekelhafter Anblick, das straßenbelagsgraue Profil und die festklebenden Stücke fremden Lebens, diese entsetzliche Dokumentation, wo überall man schon gewesen ist. Unerträglich, diese Leute. Wirklich feinfühlige Menschen hatten so etwas wie Schuhsohlen überhaupt nicht, sie zeigten sie genauso wenig freiwillig her, wie Männer die klebrige Unterseite ihres Penis herzeigen würden.

Er wischte einen kleinen Fehler aus dem Augenwinkel des skizzenhaft blassen Affengesichts vor ihm auf der Leinwand. We don’t make mistakes, we have happy accidents.

— Kennen Sie Bob Ross? fragte er den Techniker.

– Äh, den Maler?

— Ja.

— Ja, sagte der Techniker, das finde ich total beruhigend, diese Sendung. Ich hab einige Folgen im iSocket.

— Mich macht sie immer aggressiv, sagte Robert. Aber auf eine gute Weise.

— Und haben Sie auch Kunstgeschichte studiert? fragte der Techniker.

Das auch störte Robert. Ja, er hatte es probiert. Zwei Semester. Und es hatte ihm nicht gefallen, okay? Was ging das diesen dahergelaufenen Idioten an? Er musste den Pinsel absetzen und sich eine Weile auf den Affen konzentrieren. Sein Herzschlag verlangsamte sich. A thin paint will stick to a thick paint, Robin.

— Wir haben ziemlich oft Zeichenklassen hier, sagte der Techniker. Die sind dann meist im Konferenzzimmer, so im Sitzkreis, drum herum … Aber die fragen eher selten nach Affen. Mehr nach den Mäusen.

— Mit dem Ohr auf dem Rücken?

— Was?

— Ach, ich hab nur, sagte Robert. Da war mal so ein Bericht in einer Zeitschrift, die mir mein Biologielehrer damals gegeben hat, über eine nackte Labormaus mit einem menschlichen Ohr auf dem Rücken.

— Ach so, sagte der Techniker. Die Maus von Vacanti. Das war kein menschliches Ohr, das ist ein Missverständnis. Das waren nur Knorpel, die sie da wachsen gelassen haben, und die haben sie einfach in diese spezielle Form gebracht, damit …

— Kunst, sagte Robert.

— Ja. Gewissermaßen.

— Wo ist die Maus wohl jetzt? fragte Robert.

Und er spürte einen kleinen Stich in seiner Brust. So früh.

— Die leben ja nicht lang, sagte der Techniker.

— Was glauben Sie, wo die Maus begraben ist?

Wieder ein kleiner Stich, diesmal höher, knapp unterm Adamsapfel. Eine Pause entstand. Der Techniker trommelte ein paar Mal mit den Fingern auf seine Knie.

— Und Sie machen eine ganze Serie davon? fragte er.

— Ja.

Malgeräusche, Pinsel auf Leinwand. Das sanfteste Schaben der Welt. Wie das Scharren krallenloser Pfoten an einer geschlossenen Tür.

— Hm, machte der Techniker. Ist es okay, wenn ich …

Robert schaute kurz auf, um zu sehen, worum es ging. Der Techniker hielt eine Zigarette hoch. Robert nickte. Erleichterte Feuerzeuggeräusche, Lungenzug, Stille. Warum ist der Geruch einer frisch angezündeten Zigarette so gut? Ganz anders bei Zigarren. Direktor Rudolph. Als würde man einen Fabrikkamin im Mund mit sich herumtragen.

— Ich hab nichts dagegen, sagte Robert.

— Danke.

Stille. Der Affe war eingeschlafen.

— Und Sie machen da wirklich eine ganz Serie davon, hm?

— Ja, sagte Robert.

— Wie wird die aussehen?

— Wie bitte?

— Ah, ich will Sie nicht stören. Aber ich frag mich nur, werden das alles Tiere sein?

— Hauptsächlich, ja.

— Krass.

— Finden Sie?

— Ach so, Entschuldigung, das hat jetzt schlimmer geklungen, als ich’s gemeint hab. Ehrlich. Sorry.

Robert mochte es, wenn Menschen ihre Arme hoben, als würden sie mit einer Schusswaffe bedroht. Die Geste half ihm, sich vorzustellen, wie es sein müsste, tatsächlich mit einem Gewehr auf sie zu feuern. Die Rauchwolke, der Rückstoß, der plötzlich aufplatzende Bauchraum, der Nachhall des Schusses.

— Sie machen doch nur Ihre Arbeit, sagte Robert in einem versöhnlichen Ton.

– Äh, also … Ja, ich schätze …

Robert musste sich zurückhalten. Ein kleines Fenster in der Aufmerksamkeit des Technikers hatte sich geöffnet. Er hätte jetzt mit ihm spielen können. Dieses Aufmerksamkeitsfenster, er kannte es, spürte den Luftzug, der von ihm kam. Nur noch ein, zwei wohlplatzierte Sätze, und der Typ würde vielleicht sogar weinen.

Vielleicht ein andermal.

— Finden Sie, dass es ihm ähnlich sieht?

— Was?

— Das Bild. Hier, sehen Sie.

Robert drehte die Leinwand etwas zur Seite, so dass der Techniker nur noch den Hals recken musste. Nur nicht zu viel zeigen, die Kontrolle bewahren. Das Fenster stand immer noch offen. Die Gesichtszüge des Technikers wirkten eingeschüchtert, wie bei einem Kind, das einen fremden Erwachsenen nach der Uhrzeit oder dem Heimweg fragt.