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Jaina Prachtmeer

Gezeiten des Krieges

Von Christie Golden

Dieses Buch ist meinem geliebten Vater gewidmet:

James R. Golden

1920–2011

Ein wahrer Paladin ist ins Licht hinübergegangen.

Ich liebe dich, Dad.

Denn nicht Licht ist von Nöten, sondern Feuer; nicht sanfter Regen, sondern Donner. Wir brauchen das Unwetter, den Sturm und das Erdbeben.

– Frederick Douglass

1

Die Dämmerung stand kurz bevor, und die zumindest ansatzweise warmen Farben des Tages machten kälteren Blau- und Lilatönen Platz. Stechende, messerscharfe Schneeflocken wirbelten hoch über Kaltarra durch die Luft. Andere Wesen hätten hier gezittert und ihre Augen abgeschirmt, ihr Fell oder ihre Federn aufgeplustert oder ihre Mäntel enger um die Schultern geschlungen. Der große blaue Drache hingegen schenkte Schnee oder Wind keinerlei Beachtung, während er mit träge schlagenden Flügeln dahinglitt. Er war losgeflogen, um die scharfen Zähne der eisigen, schneegepeitschten Luft zu spüren, in der vergeblichen Hoffnung, sie möge seine Gedanken reinigen und seinen Geist beruhigen.

Obgleich noch jung – nach den Maßstäben seiner Art –, hatte Kalecgos bereits gewaltige Veränderungen innerhalb seines Volkes erlebt. Zudem war er der Auffassung, die blauen Drachen hätten schon unendlich viel ertragen müssen. Zweimal hatten sie ihren geliebten Aspekt, Malygos, verloren; erst für mehrere Jahrtausende an den Wahnsinn, dann schließlich an den Tod. Die blauen Drachen – die klügsten Wesen und Beschützer der arkanen Magie in der Welt Azeroth – waren der Schwarm, der am meisten nach Ordnung und Ruhe strebte, und es war ebenso ironisch wie tragisch, dass sie am wenigsten in der Lage zu sein schienen, mit einem solchen Chaos umzugehen.

Doch selbst inmitten dieses Umbruchs waren ihre Herzen rein geblieben, und so hatte der blaue Drachenschwarm nicht den kompromisslosen Pfad gewählt, den Malygos’ verstorbener Blutserbe, Arygos, repräsentierte, sondern den friedlicheren, lebensbejahenderen Weg, den Kalecgos ihnen gewiesen hatte. Diese Wahl hatte sich als die richtige erwiesen, denn Arygos hatte gar nicht vorgehabt, ein hingebungsvoller Verwalter des Schwarms zu sein, vielmehr hatte er sie alle betrogen. Er hatte versprochen, sein Volk dem finsteren – und ganz und gar wahnsinnigen – Drachen Todesschwinge auszuliefern, sobald es beschlossen hätte, ihm zu folgen. Stattdessen hatten sich die blauen Drachen mit den roten, grünen und bronzenen Schwärmen – und einem wahrlich einzigartigen Orc – zusammengetan, um dieses mächtige Monster zu besiegen.

Als Kalecgos nun am dunkler werdenden Himmel dahinflog und sich der Schnee lavendelfarben unter ihm tönte, musste er daran denken, dass die Schwärme durch diesen Sieg auf gewisse Weise auch sich selbst geopfert hatten. Es gab keine Aspekte mehr, auch wenn die Drachen, die dieses Amt früher innegehabt hatten, noch leben mochten. Der Kampf gegen Todesschwinge hatte ihnen alles abverlangt, und obwohl Alexstrasza, Nozdormu, Ysera und Kalecgos am Ende noch gestanden hatten, waren ihre Aspekt-Mächte doch verschwunden – aufgezehrt in jenen letzten Augenblicken der Schlacht. Die Aspekte waren nur für diesen einen Zweck erschaffen worden, und nun, da ihr Ziel erreicht war, hatten sie ihr Schicksal erfüllt.

Es gab allerdings auch noch eine andere, weniger deutliche Nebenwirkung: Die Schwärme waren sich ihrer Rolle in der Welt und ihrer Aufgaben stets völlig sicher gewesen. Aber nun, da der Moment, für den man sie erschaffen hatte, gekommen – und wieder verstrichen – war, welchen Sinn hatte ihre Existenz da noch? Viele blaue Drachen waren bereits davongeflogen; einige von ihnen hatten um seine Erlaubnis gebeten, bevor sie den Nexus verließen. Auch wenn er nicht länger die Mächte eines Aspekten besaß, war Kalecgos doch noch immer ihr Anführer. Sie hatten ihm erzählt, dass sie rastlos seien und herausfinden wollten, ob es einen anderen Ort auf dieser Welt gab, wo ihre Fähigkeiten und Talente willkommen wären. Die anderen waren einfach verschwunden – an einem Tag hier, am nächsten schon fort. Die Drachen, die noch auf Kaltarra geblieben waren, steigerten sich entweder immer mehr in eine Aufgewühltheit hinein oder ergaben sich der Niedergeschlagenheit, die sich wie eine Krankheit unter ihnen ausbreitete.

Kalecgos raste dem Boden entgegen und drehte eine Schleife, sodass die kalte Luft seine Schuppen streichelte. Dann breitete er die Flügel aus und ließ sich von einem Aufwind wieder in die Höhe tragen. Doch seine Gedanken waren noch immer grüblerisch und traurig.

So viele Jahre, selbst während Malygos’ Wahnsinn, hatten die blauen Drachen eine Aufgabe gehabt, aber die Frage, was sie in einem Augenblick wie diesem tun sollten, war nur lautlos gedacht oder leise geflüstert worden. Kalecgos konnte nicht anders, als zu überlegen, ob er seinen Schwarm vielleicht enttäuscht hatte. Wäre es ihnen unter der Führung eines wahnsinnigen Aspekts besser ergangen? Die Antwort war „Natürlich nicht“, aber dennoch … dennoch.

Er schloss die Augen, allerdings nicht wegen des nadelspitzen Schnees, sondern allein aufgrund des Schmerzes.

Mit ihren Herzen haben sie darauf vertraut, dass ich sie anführen kann, und damals, glaube ich, habe ich sie würdig geführt. Aber … jetzt? Welchen Platz haben die blauen Drachen – haben irgendwelche Drachen überhaupt – in einer Welt, in der die Stunde des Zwielichts vereitelt wurde? Steht uns nur noch eine endlose Nacht bevor?

Er fühlte sich schrecklich einsam. Was die Führerschaft des blauen Drachenschwarms betraf, so hatte er sich selbst von Anfang an für die denkbar unwahrscheinlichste Wahl gehalten. Schließlich hatte er sich nie wirklich wie ein typischer blauer Drache gefühlt. Während er nun dahinflog, mutlos und von wachsenden Zweifeln geplagt, erinnerte er sich aber, dass es zumindest eine gab, die ihn besser als alle anderen verstehen konnte. Er legte sich auf die Seite und krümmte seinen gewaltigen Körper leicht, dann schlug er mit den Flügeln und sauste in Richtung des Nexus zurück.

Er wusste, wo er sie finden konnte.

Kirygosa, Tochter von Malygos und Schwester von Arygos, saß in ihrer menschlichen Gestalt auf einer der magischen, leuchtenden Plattformen, die um den Nexus herum in der Luft schwebten. Sie trug nur ein langes, weites Kleid, und ihr blauschwarzes Haar war nicht geflochten. Mit dem Rücken hatte sie sich an einen der schimmernden silberweißen Bäume gelehnt, die einige der Plattformen schmückten. Hoch über ihr zogen blaue Drachen ihre Kreise, ganz genau so, wie sie es schon seit Jahrhunderten getan hatten, eine endlose Patrouille, auch wenn es inzwischen keine Gefahr mehr für den Schwarm zu geben schien. Kirygosa schenkte ihnen keinerlei Aufmerksamkeit, ihr Blick war trübe und ziellos, so als hätte sie sich in Gedanken verloren. Doch was es war, das ihren Geist beschäftigte, vermochte Kalecgos nicht zu sagen.

Sie drehte sich zu ihm herum, als er näherkam, und sie lächelte schmal, als sie erkannte, dass er keiner der Wächter des Nexus war. Er landete auf der Plattform und nahm seine Halbelfengestalt an, und nun wuchs ihr Lächeln in die Breite, während sie ihm eine Hand entgegenstreckte. Er küsste sie liebevoll und setzte sich dann neben Kirygosa auf den Boden, seine langen Beine ausgestreckt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, darum bemüht, einen gelassenen Eindruck zu machen.

„Kalec“, sagte sie liebevoll. „Was führt dich an diesen Ort der Reflexion?“

„So etwas soll das hier also sein?“

„Für mich schon. Der Nexus ist mein Zuhause, und ich möchte mich nicht zu weit davon entfernen, aber es ist gar nicht so einfach, dort drinnen einen stillen Ort zu finden, wo man allein sein kann.“ Sie wandte sich ihm zu. „Darum ziehe ich mich hierhin zurück, wenn ich nachdenken möchte. Du scheinst aus einem ganz ähnlichen Grund gekommen zu sein.“

Kalec seufzte. Seine Freundin, von der er oft wie von einer Schwester dachte, war einfach zu scharfsichtig, als dass er seine Sorgen vor ihr verbergen könnte. „Ich bin geflogen“, sagte er.