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Da begriff Jaina. Sie lehnte sich auf den bequemen lilafarbenen Kissen zurück und griff nach dem Wein. Nach einem kleinen Schluck sagte sie: „Und ich bin sicher, sie würde Euch über jeden meiner Schritte Bericht erstatten.“

„Na, na, Lady Prachtmeer. Ihr könnt doch nicht erwarten, dass wir eine so mächtige und einflussreiche Magierin dort draußen in Theramore ganz allein lassen.“

„Im Ernst? Ich bin überrascht, dass Ihr mir nicht schon längst einen Aufpasser geschickt habt.“

Er schenkte ihr einen reuevollen Blick. „Im Augenblick herrscht viel Durcheinander“, erklärte er. „Es ist nicht so, als würden wir Euch nicht vertrauen. Wir müssen einfach nur … nun …“

„Ich verspreche, ich werde keine Dunklen Portale öffnen“, sagte Jaina und hob die Hand zu einem spöttischen Eid.

Das entlockte Rhonin ein Lachen, aber er wurde schnell wieder ernst und legte seine Hand auf die ihre, während er sich flüchtig zu ihr hinüberbeugte.

„Ihr versteht doch, nicht wahr?“

„Ja“, nickte sie. Und sie verstand wirklich. Zuvor hatte niemand Zeit für irgendetwas anderes als den bloßen Kampf ums Überleben gehabt, und jeder Magier, der sich Malygos nicht angeschlossen hatte, war von ihm als Bedrohung betrachtet worden. Nun war er zwar besiegt, aber ebenso wie die Welt waren auch die alten Bündnisse zersplittert – und Jaina galt sowohl als eine mächtige Magierin wie auch als eine allseits geschätzte Diplomatin.

Die Erinnerungen an Antonidas, der sie vor einer gefühlten Ewigkeit – und erst nach langem Bitten und Betteln – als Schülerin angenommen hatte, erfüllten ihren Geist. Er war ein weiser und guter Mann gewesen, mit einem ausgeprägten Verständnis von richtig und falsch, mit der Bereitschaft, andere zu beschützen – und er hatte sie inspiriert und geformt. Plötzlich spürte sie den Drang, der Welt zurückzugeben, was sie ihr geschenkt hatte. Sie war eine Magierin mit enormen Fähigkeiten, das wusste sie, und jetzt, da die Rede auf dieses Thema gekommen war, gefiel ihr der Gedanke immer besser, jemandem ihr Wissen zu vermitteln. So müsste sie sich außerdem nicht wieder den Kirin Tor anschließen, um anderen dabei zu helfen, die Magie zu verstehen und einzusetzen, ganz so, wie sie es seinerzeit gelernt hatte. Das Leben war unberechenbar, dieser Tage noch mehr als sonst. Zudem fehlten ihr die gelegentlichen Besuche von Anduin; vielleicht könnte eine junge Person ihr altes, dunkles Zuhause wieder mit neuem Leben erfüllen.

„Wisst Ihr“, meinte sie, „ich erinnere mich noch gut an eine gewisse schrecklich störrische junge Dame, die Antonidas keine Ruhe ließ, bis er sie als Schülerin nahm.“

„Und falls ich mich recht erinnere, hat sie sich prächtig entwickelt. Manche behaupten sogar, sie wäre die beste Magierin in ganz Azeroth.“

„Die Leute sagen viele Dinge.“

„Dann sagt Ihr mir bitte, dass Ihr sie ausbilden werdet“, bat Rhonin, während seine Stimme von nichts anderem als völliger Aufrichtigkeit erfüllt war.

„Ich glaube, es wäre eine gute Idee“, sagte sie fest.

„Sie wird Euch gefallen“, lächelte Rhonin, und ein schelmischer Ausdruck schlich sich in seine Züge. „Sie wird Euch wirklich fordern.“

Doch Kinndy hatte nicht nur sie gefordert, sondern auch die Leidende. Jaina musste ein Lächeln unterdrücken, als sie daran dachte, wie die Nachtelfin zunächst auf das Gnomenmädchen reagiert hatte. Die Leidende war eine Kriegerin, die an Jainas Seite geblieben war, seitdem man sie der Magierin bei der Schlacht am Berg Hyjal zugewiesen hatte. Sie diente ihr als unerschrockene Leibwächterin, ob Jaina nun eine brauchte oder nicht, und wich nur dann von ihrer Seite, wenn die Magierin sie auf eine geheime Mission schickte. Jaina hatte der Leidenden schon oft betont, dass sie jederzeit zu ihren Leuten zurückkehren könne. Die Nachtelfin hatte daraufhin aber meist nur mit den Schultern gezuckt und erklärt: „Lady Tyrande hat mich nicht offiziell von dieser Pflicht befreit“, und damit jede weitere Frage abgeblockt. Jaina verstand die Gründe für die Sturheit der Leidenden und ihre unerklärliche Ergebenheit zwar nicht, war aber nichtsdestotrotz dafür dankbar.

Nun, einmal war Kinndy jedenfalls gerade dabei gewesen zu lernen, während Jaina die Reagenzien in ihrem Schränkchen methodisch durchging, um diejenigen neu zu beschriften, deren Schildchen nicht mehr zu entziffern waren, und jene auszusortieren, die ihre Wirkung verloren hatten, damit man sie später ordnungsgemäß entsorgen konnte. Die Stühle in Theramore waren für Menschen gemacht, weswegen Kinndys Füße den Boden nicht berührten, und so ließ das Gnomenmädchen geistesabwesend die Beine baumeln, während es an einer Tasse Tee nippte und einen Folianten studierte, der beinahe ebenso groß war wie sie selbst. Ganz in der Nähe hatte die Leidende ihr Schwert gereinigt, und aus den Augenwinkeln hatte Jaina bemerkt, wie ihr Blick immer wieder zu Kinndy hinübergewandert war – und jedes Mal hatte sie noch irritierter gewirkt.

Schließlich war es aus der Nachtelfin herausgeplatzt: „Kinndy? Macht es dir etwa Spaß, so fröhlich zu sein?“

Das Gnomenmädchen hatte das Buch geschlossen, den kleinen Finger zwischen die Seiten geklemmt, damit sie wusste, wo sie war, und dann eine ganze Weile über die Frage nachgedacht. Anschließend hatte sie erwidert: „Die Leute nehmen mich nicht ernst. Das verhindert oft, dass ich mich nützlich machen kann. Ich finde das eher frustrierend. Also: Nein, es macht mir keinen Spaß, fröhlich zu sein.“

Die Leidende hatte genickt, gesagt: „Ah, dann ist es ja gut“, und sich wieder ihrem Schwert gewidmet. Jaina hatte sich rasch entschuldigen müssen, um nicht vor ihren Augen laut loszulachen.

Doch abgesehen von ihrer unbeabsichtigten Fröhlichkeit hatte Kinndy auch sie gefordert. Das Gnomenmädchen hatte mehr Energie als sonst jemand, dem Jaina je begegnet war, und der Strom ihrer Fragen kannte kein Ende. Zunächst waren diese Fragen amüsant gewesen, dann nervtötend, und dann war Jaina eines Tages aufgewacht und hatte erkannt, dass sie nun wirklich und wahrhaftig eine Mentorin war. Eine Meisterin, zusammen mit einer Schülerin, die heranwachsen und sie stolz machen würde. Rhonin hatte nicht übertrieben – vermutlich hatte er ihr den besten Schüler gegeben, den die Kirin Tor zu bieten hatten.

Kinndy war besonders neugierig, was Jainas Rolle als weibliche Anführerin und Magierin anging, und nur zu gerne hätte sie dem Gnomenmädchen jetzt von ihrem geheimen Treffen mit Go’el erzählt – Kinndy schien die Art von Person zu sein, die Jainas Gedankengänge verstehen konnte. Doch natürlich ging das nicht. Sosehr sie die Kleine auch ins Herz geschlossen haben mochte, letzten Endes war Kinndy doch der Ehre halber verpflichtet, alles, was sie erfuhr, an die Kirin Tor weiterzugeben. Der Zwischenfall mit Anduin hatte Jaina gelehrt, besondere Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, und sie war sicher, dass Kinndy nicht von diesen Treffen wusste – zumindest noch nicht.

„Wie geht es Meister Rhonin?“, fragte Lady Prachtmeer.

„Oh, ihm geht es hervorragend. Ich soll Euch herzliche Grüße von ihm ausrichten“, antwortete Kinndy. „Er schien ein wenig abgelenkt“, fügte sie nachdenklich hinzu, dann hielt sie inne, um ein weiteres Mal von dem Plätzchen abzubeißen.

„Wir sind Magier, Kinndy“, bemerkte Jaina trocken. „Wir sind immer abgelenkt.“

„Das ist wohl wahr!“, sagte das Gnomenmädchen fröhlich und wischte ein paar Krümel fort. „Dennoch schien mein Besuch etwas gehetzt.“

„Konntest du denn wenigstens ein wenig Zeit mit deinen Eltern verbringen?“ Kinndys Vater Pakke war mit der ehrenhaften Aufgabe betraut worden, in der Abenddämmerung sämtliche Straßenlaternen in Dalaran zu entzünden. Und wenn man Kinndy Glauben schenken durfte, erfüllte ihn diese Arbeit mit solcher Freude, dass er sogar besondere Stäbe verkaufte, damit andere dieses Gefühl auch ein paarmal erleben konnten. Und ihre Mutter Jaxi die ihre Backwaren oft der Hochelfin Aimee zum Verkauf an ihrem Stand zur Verfügung stellte, war in der Stadt ebenso beliebt wie ihre rot-violetten Törtchen. Das war auch einer der Gründe, warum es Kinndy so verzweifeln ließ, dass ihre Backkünste – zumindest in ihren eigenen Augen – so unterdurchschnittlich waren.