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„Nun“, meinte Khadgar, während sein Blick zu dem blauen Drachen hinüberwanderte, „dann sollten wir wohl dafür sorgen, dass er nie fern von Eurer Seite ist. Ihr habt uns bereits viel über Euch verraten, indem Ihr uns die Fokussierende Iris anvertraut habt, Kalecgos. Würdet Ihr vielleicht selbst gern ein Mitglied der Kirin Tor werden? Es klingt, als hätte Eure Gegenwart einen guten Einfluss auf die Erzmagierin Prachtmeer. Vorausgesetzt natürlich, sie nimmt unser Angebot an.“

Und schon hatten die Kirin Tor einen zweiten Drachen in ihren Reihen – und eine noch immer völlig verwunderte Jaina Prachtmeer als neues Oberhaupt.

Kaum dass sie die offizielle Einweisung hinter sich gebracht hatte, war die neue Erzmagierin und Führerin der Kirin Tor nach Theramore zurückgekehrt. Varian hatte Wort gehalten und ein Schiff von der Nordwacht geschickt, dessen Besatzung sich um die Leichen der Gefallenen und sogar um den violetten Staub gekümmert hatte. Vor den Toren der Stadt befand sich nun ein Massengrab, schockierend und deprimierend in seiner Größe. Für Jaina war es schwer gewesen, sich diesem Anblick zu stellen, aber nicht so schwer, wie sie befürchtet hatte; immerhin hatte sie bereits von ihren Freunden Abschied genommen, gemeinsam mit Kalecgos.

Nun nahm sie an einer Zeremonie teil, von der sie sich mit ganzem Herzen wünschte, dass sie nicht stattfinden müsste. Es war ein wunderschöner Sonnenuntergang in Dalaran; der Himmel füllte sich noch einmal mit Farbe, bevor er der Dunkelheit Platz machen musste. Und in gewisser Weise spiegelte das auch die gramvolle Natur des Rituals wider.

Heute nahmen sie Abschied von Rhonin.

Seine Kinder waren da, eines auf jeder Seite seiner Ehefrau, eineiige Zwillinge mit dem feuerroten Haar ihres Vaters und den Augen und dem schlanken Wuchs ihrer Mutter. Jaina hatte erfahren, dass sie erst vor Kurzem Geburtstag gehabt hatten, und sie war froh, dass Rhonin zumindest lange genug gelebt hatte, um diesen Tag noch gemeinsam mit ihnen zu feiern. Giramar war um ein paar Sekunden älter als sein Bruder, und er schien auch ein wenig gefasster zu sein als Galadin, dessen Unterlippe während der Zeremonie bebte. Nichtsdestotrotz standen beiden Jungen nicht vergossene Tränen in den Augen. Sie trugen verzierte Roben, wie sie für ein solches Ritual angemessen waren. Doch im Gegensatz zu ihrem Aussehen gab es in ihrer Kleidung Unterschiede; Giramars Robe war indigoblau, mit silbernen Borten, während Galadin einen dunkelgrünen Stoff mit goldener Verzierung gewählt hatte.

Ihre Mutter trug nicht die Rüstung, in der Jaina sie so oft gesehen hatte, sondern ein Kleid. Einige der Anwesenden schienen irritiert, dass es weder schwarz noch sonderlich zurückhaltend war. Doch Vereesa Windläufer war eine stolze und wunderschöne Frau, und ihre Ehe mit dem ebenso temperamentvollen wie gutmütigen Erzmagier war von Leidenschaft und Hingabe erfüllt gewesen. Darum hatte sie sich für dieses fließende rote Kleid entschieden, das man eher bei einem Ballabend als auf einer Beerdigung erwartet hätte; sie wollte das wundervolle Leben mit Rhonin feiern, nicht dessen Ende betrauern. Vereesas Augen waren trocken; sie hatte all ihre Tränen schon zuvor vergossen. Jaina empfand tiefstes Mitgefühl mit ihr, aber auch die größte Bewunderung. Rhonins Söhne hatten nun keinen Vater mehr, aber dafür eine Mutter, die sie gut erziehen würde.

Es war erstaunlich, wie viele Trauergäste sich vor der Violetten Zitadelle eingefunden hatten. Jaina schätzte, dass beinahe jedes Mitglied der Kirin Tor, das nicht dringend andernorts gebraucht wurde, in die schwebende Stadt gekommen war. Und warum auch nicht? Rhonin hatte es verdient, dass man ihm den letzten Respekt zollte.

„Es ist noch gar nicht so lange her“, begann Jaina ihre Ansprache, „da haben die Kirin Tor eine mutige Entscheidung getroffen, indem sie Rhonin zu ihrem Anführer wählten. Er war unorthodox und unverblümt, stürmisch und stur. Er hatte einen wundervollen Sinn für Humor und endlose Liebe für seine Freunde und seine Familie.“ Sie lächelte den Zwillingen zu, die zwar leise schnieften, aber mit bebenden Mundwinkeln die Geste erwiderten. Anschließend wandte sich Jaina den anderen Mitgliedern im Rat der Sechs zu und fuhr fort: „Er hat Dalaran eine neue Richtung gegeben und die Kirin Tor durch einen Krieg mit dem Aspekt geführt, der eigentlich dazu auserwählt war, die Magie in dieser Welt zu überwachen und zu kontrollieren. Er starb so, wie er lebte – während er anderen half und sie beschützte.“

Nun drohte ihre eigene Stimme zu zittern, und sie machte eine kurze Pause, um sich zu sammeln. „Mit seinem letzten Atemzug hat er mich durch ein Portal gestoßen – und damit mein Leben gerettet, obwohl er dadurch sein eigenes verlor. Er glaubte daran, dass ich die Zukunft der Kirin Tor sei, und weil Ihr derselben Meinung wart, stehe ich nun hier. Ich kann ihm nur nachfolgen; niemals werde ich ihn ersetzen können.“

Sie blickte über das Meer aus purpurnen Roben hinweg, und ihr Herz schmerzte noch ein wenig mehr, als sie in der Menge auch das Ehepaar Funkenleuchter entdeckte. „Der Wind der Veränderung weht dieser Tage stärker; Azeroth steht am Rande eines Krieges. Wir Kirin Tor können ruhig im Auge des Tornados stehen, falls wir das wollen. Wir können die Stimme der Vernunft sein, wenn die ganze Welt dem Wahnsinn anheimfällt. Wir können uns unserer eigenen Fähigkeiten und unseres Wissens entsinnen, doch auch der Fähigkeiten und des Wissens der anderen. Ich bin zurück in Dalaran, aber der Weg hierher war ein verschlungener und rätselhafter. Lange war ich fort, und nun bin ich froh, wieder hier zu sein und alles, was ich gelernt habe, sowohl durch Schmerz als auch durch Liebe, in diese Aufgabe mit einfließen zu lassen. Und auch wenn ich mein Verhalten in jüngster Vergangenheit bedaure, bedaure ich doch nicht, wie ich mich dadurch verändert habe. Ich werde Euch anführen, so gut ich es nur kann. Es ist Zeit, die schwebende Stadt zurück auf die Erde zu bringen. Ich werde das aber nicht allein tun, sondern stets Euren Rat einholen. Rhonin soll mir als Beispiel dienen. In seinen Fußstapfen will ich ehrenhaft herrschen. All das verspreche ich – aber ich werde auch weiterhin die Auffassung vertreten, die viele unter Euch bereits kennen: dass diese Welt nicht sicher sein kann, solange Garrosh Höllschrei Kriegshäuptling der Horde ist. Wie meine Pflichten und Überzeugungen sich versöhnen lassen, kann ich noch nicht sagen. Aber ich bin sicher, dass es eine Möglichkeit geben wird.“ Sie dachte an die Prophezeiung und musste schmunzeln. „Ein sehr weises Wesen schien jedenfalls davon überzeugt zu sein.“

Jaina streckte die Arme nach oben. „Nicht einmal Eure Asche können wir verstreuen, mein Freund. Aber Euer Geist lebt weiter. Im Herzen Eurer tapferen Frau und Eurer wundervollen Kinder und in der Weisheit der Kirin Tor.“

Nun begann sie ihre Finger in einer webenden Bewegung zu krümmen. Kalecgos und die anderen Mitglieder im Rat der Sechs, die neben ihr standen, taten es ihr gleich, ebenso wie alle anwesenden Magier. Jaina musste an eine ganz besondere Unterhaltung mit Kalec denken, die inzwischen schon so schrecklich lange zurückzuliegen schien, und noch einmal umspielte ein Lächeln ihre Lippen, als ein blasser lavendelfarbener Ball arkaner Energie in ihrer Hand entstand.

„Es gibt einen Rhythmus, einen Kreislauf – ein Muster.“ Sie schob ihre Finger in den Ball arkaner Magie, und er brach auseinander, aber nur, um sich wieder neu zusammenzusetzen – zu einer Kugel aus Zeichen, Symbolen und Zahlen. „Alles verändert sich, ob nun durch äußere Einflüsse oder von innen heraus. So ist die Magie. Und auch wir sind Magie.“

Sie streckte die Handfläche nach oben, und zwar so, dass die kleine Kugel in die Höhe schwebte. Andere Magiebälle folgten ihr, erst Dutzende, dann Hunderte, als auch die Bewohner von Dalaran, die auf dem Platz vor der Zitadelle keinen Platz mehr gefunden hatten, ihren Teil zu der Zeremonie beitrugen und sich dieser Abschiedsgeste anschlossen. Die Lichter trieben dem Himmel entgegen und hoben sich wie Glühwürmchen aus lavendelfarbener Magie vor dem dunkler werdenden Zwielicht ab. Trotz allem – trotz des tragischen Schicksals von Theramore und der Katastrophe, die sie um ein Haar ausgelöst hätte, ja, selbst trotz des Verlustes von Rhonin – spürte Jaina, wie ihr Herz mit diesen Kugeln in die Höhe flog.