Ich beneidete ihn nicht um sein Los. Es ist nicht einfach, mit siebzehn Jahren zum römischen Imperator ausgerufen zu werden und, ständig von einer eifersüchtigen und machtlüsternen Mutter bedrängt, über die Welt zu herrschen. Ich glaube, nur seine innige Liebe zu Acte bewahrte ihn davor, Agrippinas Einfluß zu unterliegen. Daß sie ihn auch von seiner Mutter entfernte, bereitete ihm Kummer, aber er konnte ihre gehässigen Worte über Acte nicht ertragen, und er hätte gewiß eine schlechtere Wahl treffen können, denn Acte mischte sich nicht in die Politik ein und verlangte nicht einmal Geschenke von ihm, wenngleich sie sich über die freute, die sie bekam.
Allmählich und ohne daß er es merkte, gelang es Acte auch, in Nero die Wildheit der Domitier zu zügeln. Sie verehrte Seneca, und Seneca begünstigte daher insgeheim auch diese Liebschaft. Er war der Meinung, daß es für Nero viel gefährlicher wäre, wenn er sich in eine vornehme, geburtsstolze römische Jungfrau oder junge Matrone verliebte. Neros Ehe mit Octavia war eine reine Formsache. Er hatte Octavia noch nicht beigewohnt, da sie noch zu kindlich war. Außerdem verabscheute er sie darum, daß sie die Schwester des Britannicus war, und ich muß selbst sagen, daß Octavia nicht viel Einnehmendes an sich hatte. Sie war ein verschlossenes hochmütiges Mädchen, mit dem man kaum ein vernünftiges Wort reden konnte, und hatte leider nichts von der Schönheit und dem Zauber ihrer Mutter Messalina geerbt.
Agrippina war zu klug, um nicht letzten Endes einzusehen, daß ihre Vorwürfe und Zornausbrüche Nero nur abstießen. Sie wurde wieder die zärtliche Mutter, streichelte und küßte ihn und bot ihm an, ihr Schlafgemach zu teilen, damit sie seine engste Vertraute werden könne. Auf Grund all dessen plagte ihn nun ständig das Gewissen. Einmal, als er aus dem Kleider- und Schmuckvorrat des Palatiums ein Geschenk für Acte auswählte, legte er, von seinem schlechten Gewissen getrieben, in aller Unschuld das schönste Kleid und einen Juwelenschmuck für Agrippina zur Seite, aber Agrippina geriet darüber in maßlosen Zorn und schrie, daß alle Kostbarkeiten des Palastes ohnehin ihr gehörten, da sie sie nach Claudius geerbt hatte, und daß Nero nur dank ihrem stillschweigenden Einverständnis darüber verfügen durfte.
Auch ich zog mir den Zorn Agrippinas zu, weil ich ihr nach ihrer Meinung nicht aufrichtig genug berichtete, was Nero und seine Freunde anstellten und welche politischen Ansichten sie hegten. Es war, als hätte diese durch ihre Erfahrungen bitter gewordene Frau plötzlich jeden Halt verloren, als sie zu begreifen begann, daß sie nicht durch ihren Sohn über Rom herrschen konnte. Ihre Züge verkrampften sich zu abstoßender Häßlichkeit, ihre Augen starrten wie die der Medusa, und ihre Sprache wurde so grob und unflätig, daß es einem schwerfiel, ihr zuzuhören. Ich dachte nicht mehr gut von ihr.
Ich glaube, der eigentliche Grund dafür, daß Nero sich mit seiner Mutter nicht vertrug, war der, daß er sie zu sehr liebte, mehr liebte, als ein Sohn seine Mutter lieben soll, und daran war Agrippina selbst schuld. Er fühlte sich zugleich zu ihr hingezogen und von ihr abgestoßen und flüchtete deshalb in Actes Arme oder tobte sich bei nächtlichen Schlägereien in den Gassen Roms aus. Andrerseits verhielt es sich wohl so, daß Senecas Tugendlehre seinem innersten Wesen Zwang auferlegte und Nero sich wenigstens nach außen hin als ein würdiger Schüler zu erweisen versuchte. Agrippina aber beging in ihrer rasenden Eifersucht den Fehler, die Beherrschung zu verlieren.
Ihre einzige, dafür aber um so kräftigere Stütze war der griechische Freigelassene Pallas, der von sich behauptete, er stamme von den sagenhaften arkadischen Königen ab, und der, nachdem er dem Staat unter drei Kaisern gedient hatte, so schlau und vorsichtig geworden war, daß er niemals mit seinen Sklaven sprach, damit ihm keiner seine Worte verdrehe, sondern alle Befehle schriftlich gab. Ich für mein Teil glaube, daß er selbst das Gerücht ausstreute, Agrippina habe ein Verhältnis mit ihm. Jedenfalls war es Pallas gewesen, der Claudius als erster geraten hatte, sich mit ihr zu vermählen, und es war verständlich, daß die Freundschaft, die sie ihm, dem ehemaligen Sklaven, öffentlich erwies, ihm schmeichelte.
Nero behandelte er, als wäre er ein unvernünftiger Knabe, und er nutzte jede Gelegenheit, zu beweisen, wie unentbehrlich seine Erfahrungen dem Staate waren. Als Nero die Steuern senken wollte, um dem Volk und den Provinzen zu gefallen, stimmte ihm Pallas scheinbar bereitwillig zu, fragte dann aber spöttisch, wo der Herrscher die Einkünfte hernehmen wolle, die der Staat brauchte, und bewies mit eindeutigen Zahlen, daß dem Reich der Bankrott drohte, wenn die Steuern gesenkt würden. So begabt Nero in vielen anderen Dingen war: von Zahlen verstand er nichts, und im übrigen war er der Ansicht, daß das Rechnen eines Kaisers nicht würdig, sondern Sache der Sklaven sei.
Pallas war ein furchtloser Mann. Vor einem Vierteljahrhundert hatte er ohne Zögern sein Leben aufs Spiel gesetzt und war nach Capri geeilt, um die Verschwörung des Sejanus aufzudecken. Sein Vermögen war ungeheuer – man sprach von dreihundert Millionen Sesterze –, und ebenso groß war sein Einfluß. Britannicus und Octavia achtete er als Kinder des Claudius, und an Messalinas erbärmlichem Tod war er nicht unmittelbar mitschuldig. Als er sich seinerzeit bereit erklärte, die Staatsfinanzen zu übernehmen, hatte Claudius ihm versprechen müssen, daß er nie Rechenschaft von ihm fordern werde, und das gleiche Versprechen hatte Pallas auch Nero am Tag seines Machtantritts abverlangt, als er die Gelder, die Nero den Prätorianern versprochen hatte, aus der Staatskasse zahlte.
Er war jedoch ein alternder, müder Mann, und die Verwaltung der Staatsfinanzen hatte, wie man von allen Seiten hören konnte, mit der gewaltigen Entwicklung Roms nicht Schritt gehalten, sondern war in alten Traditionen erstarrt. Trotzdem betrachtete sich Pallas als unentbehrlich. Jedesmal wenn er mit Nero Streit hatte, drohte er, von seinem Amt zurückzutreten, was, wie er sagte, den unmittelbaren Zusammenbruch der Finanzen zur Folge haben würde, und spöttisch fügte er hinzu: »Frag nur deine Mutter, wenn du mir nicht glaubst.«
Seneca, der für seine eigene Stellung fürchtete, unternahm an Neros Stelle den entscheidenden Schritt. Mit Hilfe der geschicktesten Bankiers Roms arbeitete er in allen Einzelheiten einen Plan für die Verwaltung der Staatsfinanzen und eine gründliche Erneuerung des Steuerwesens zum Nutzen für den Staat und die Wirtschaft aus. Dann beriet er sich mit Burrus und ließ die Prätorianer das Palatium und das Forum bewachen. Zu Nero sagte er: »Bist du der Kaiser, oder bist du es nicht? Ruf Pallas zu dir und sag ihm, daß er zu gehen hat.«
Nero fürchtete und verehrte Pallas so sehr, daß er fragte: »Soll ich ihm nicht lieber einen schriftlichen Befehl schicken, wie er selbst es zu tun pflegt?«
Aber Seneca wollte Nero hart machen und verlangte, er müsse Pallas selbst gegenübertreten, so schwer es ihn auch ankomme. Pallas hatte natürlich schon von der Neuordnung gehört, aber er verachtete den Schulmeister und Philosophen Seneca zu sehr, um die Gerüchte ernst zu nehmen. Nero wollte seine Freunde um sich haben, um ihren Beifall einzuheimsen, wenn er als Herrscher auftrat, allerdings aber auch, weil er ihren Beistand nötig hatte, und so kam es, daß auch ich dieses unangenehme Ereignis mit eigenen Augen bezeugen mußte.
Als Pallas die Aufforderung erhielt, vor Nero zu erscheinen, stand er bereits unter Bewachung, so daß es ihm nicht mehr möglich war, Agrippina zu benachrichtigen. Er trat stolz und furchtlos vor Nero hin, und nicht eine Miene rührte sich in seinem von Sorge und Verantwortung gefurchten Gesicht, als dieser mit schönen Gebärden eine wohlklingende Rede zu seinen Ehren hielt, ohne die arkadischen Könige zu vergessen, und ihm gerührt für die Dienste dankte, die er dem Staat geleistet hatte.
»Ich kann es nicht länger ertragen, dich vor der Zeit altern und unter dem Gewicht der allzu großen Verantwortung, über die du selbst so oft geklagt hast, zusammenbrechen zu sehen«, schloß Nero. »Als besondere Gunst gestatte ich dir, dich unverzüglich auf dein Landgut zurückzuziehen, von dessen Pracht das Gerücht zu berichten weiß, um bis zum Ende deiner Tage die Reichtümer zu genießen, die du angesammelt hast, ohne daß das geringste Mißtrauen deinen Ruf befleckt.«