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Pallas antwortete darauf nur: »Du erlaubst doch wohl, daß ich, bevor ich gehe, den Reinigungseid im Kapitol ablege, wie es mir in meiner Stellung zukommt.«

Nero erwiderte, daß er sein Versprechen halten und einem so treuen, zuverlässigen Diener des Staates einen solchen Eid nicht abverlangen wolle. Wenn aber Pallas, um sein Gewissen zu erleichtern, darauf bestände, so habe er, Nero, nichts dagegen einzuwenden; im Gegenteiclass="underline" der Eid würde den Gerüchten ein Ende machen, die über die Habgier des Pallas im Umlauf seien.

Wir drückten alle durch eifriges Klatschen, Gelächter und Zurufe unseren Beifall aus. Nero reckte sich in seinem purpurnen Imperatorenmantel wie ein Hahn und lächelte zufrieden vor sich hin. Pallas begnügte sich damit, uns der Reihe nach kalt in die Augen zu blicken, und ich werde diesen Blick nie vergessen, so voll eisiger Verachtung für uns, die besten Freunde Neros, war er. Später gestand ich mir beschämt, daß ein Vermögen von dreihundert Millionen Sesterze keine übermäßig reichliche Entschädigung für die ordentliche Verwaltung der ungeheuren Finanzen des römischen Reiches durch volle fünfundzwanzig Jahre war. Seneca hatte, als Wiedergutmachung für seine Verbannung ebensoviel in nur fünf Jahren eingestrichen, und ich schweige von meinem eigenen Vermögen, dessen Umfang Du, mein Sohn Julius, nach meinem Tode anhand des Nachlaßverzeichnisses ermitteln wirst. Ich selbst habe mir seit Jahren nicht mehr die Mühe genommen, es auch nur annähernd abzuschätzen.

Das Ausrücken der Prätorianer brachte ganz Rom auf die Beine, und das Volk versammelte sich auf dem Forum und den anderen Plätzen. Die Nachricht, daß Pallas in Ungnade gefallen war, löste allgemeine Freude aus, denn was verschafft der Masse größere Genugtuung als der Sturz eines vermögenden und allzu einflußreichen Mannes! Bald äfften umherziehende Gaukler die großartigen Gebärden des Pallas an allen Straßenecken nach und dichteten Spottlieder auf ihn.

Als aber Pallas mit einem Gefolge von achthundert Freigelassenen und Helfern vom Palatin herabgeschritten kam, verstummte der Volkshaufe und machte seinem feierlichen Zuge ehrerbietig Platz. Pallas verließ sein Amt wie ein orientalischer König. Sein Gefolge funkelte vor kostbaren Stoffen, Silber und Juwelen. Niemand treibt mehr Aufwand mit seiner Kleidung als ein ehemaliger Sklave, und Pallas hatte allen befohlen, in ihren besten Gewändern zu erscheinen.

Selbst trug er nur einen einfachen weißen Mantel, als er den Kapitolinischen Hügel hinaufstieg, zuerst zur Münze im Tempel der Juno Moneta und von dort zur Staatskasse im Saturntempel. Vor den Götterbildern in beiden Tempeln legte er den Reinigungseid ab, den er danach im Jupitertempel noch einmal bekräftigte.

Um Verwirrung zu stiften, nahm Pallas alle seine Freigelassenen mit, die er im Lauf der Jahre für die verschiedenen Aufgaben ausgebildet hatte. Vermutlich hoffte er, Nero werde gezwungen sein, ihn nach wenigen Tagen zurückzurufen. Seneca hatte diesen Fall jedoch vorausgesehen. Fünfhundert geschickte Sklaven, die von den Bankiers zur Verfügung gestellt worden waren, besetzten unverzüglich das Amtsgebäude des Pallas auf dem Palatin, und mehrere Untergebene des Pallas kehrten bereitwillig zu ihren früheren Beschäftigungen zurück, sobald dieser die Stadt verlassen hatte. Seneca behielt sich selbst die höchste Verfügungsgewalt vor und gründete eine Art Staatsbank, die auf seine Rechnung große Summen an Ägypten und die britischen Stammeskönige auslieh. Auf diese Weise arbeitete das Geld und trug Seneca Zinsen ein.

Nero wagte mehrere Tage nicht vor seine Mutter zu treten. Agrippina fühlte sich tödlich beleidigt, schloß sich in ihren Gemächern im Palatium ein und rief Britanniens mit seinem Gefolge und seinen Lehrern zu sich, um zu zeigen, an wen sie sich hinfort zu halten gedachte. Zum Gefolge des Britannicus gehörte Vespasians Sohn Titus und eine Zeitlang auch Annaeus Lucanus, dessen Vater ein Vetter Senecas war und der selbst viel zu gute Verse machte, um Nero gefallen zu können. Denn Nero umgab sich zwar gern mit Dichtern und Künstlern und ordnete ab und zu sogar einen Wettstreit unter den Dichtern an, aber er mochte nie zugeben, daß ein anderer ihm überlegen sei.

Nero glaubte seine Rolle bei der Absetzung des Pallas sehr geschickt gespielt zu haben, aber sein Gewissen ließ ihm keine Ruhe, wenn er an seine Mutter dachte. Gleichsam zur Buße übte er nun unter der Anleitung des Terpnus seine Stimme mit Eifer und Ausdauer, fastete und lag stundenlang mit einer Bleiplatte auf der Brust auf dem Rücken. Seine Stimmbildungsübungen hörten sich kläglich an, und wir schämten uns, offen gestanden, für ihn und achteten darauf, daß nicht etwa ein alter Senator oder ein Gesandter, der sich gerade im Palatium aufhielt, ihn hörte.

Die guten Nachrichten, die zu dieser Zeit aus Armenien eintrafen, stärkten in gewissem Sinne sein Selbstbewußtsein. Auf Senecas und Burrus’ Rat hatte Nero Corbulo, den berühmtesten Feldherrn Roms, aus Germanien zurückberufen und nach Armenien geschickt, damit er dort die Unruhen niederschlage. Daß dieser Pufferstaat von den Parthern besetzt worden war, stellte nach römischer Überlieferung einen ausreichenden Kriegsgrund dar.

In gegenseitigem Wettstreit um den Oberbefehl hatten Corbulo und der Prokonsul in Syrien nach Eilmärschen das Ufer des Euphrat besetzt und so viel Entschlossenheit bewiesen, daß die Parther es für angezeigt hielten, Armenien zu räumen, ohne daß es zu regelrechten Kampfhandlungen gekommen wäre. Der Senat beschloß, in Rom ein Dankfest zu feiern, erteilte Nero das Triumphrecht und ließ sein Liktorenbündel mit Lorbeer umwinden.

Diese Geschehnisse waren ganz dazu angetan, die Öffentlichkeit wieder zu beruhigen. Viele hatten nämlich befürchtet, Neros Entschlossenheit könne zu einem Krieg mit den Parthern führen, und das Geschäftsleben Roms war durch die Kriegsgerüchte empfindlich gestört worden.

Die Saturnalien wurden in diesem Jahr vier Tage lang und ausgelassener denn je zuvor gefeiert. Einer versuchte den andern an kostbaren Geschenken zu überbieten, und man lachte über die geizigen Alten, die am überlieferten Brauch festhalten wollten und nur Tonfiguren und Festbrot austauschten. Im Palatium füllte sich ein ganzer großer Saal mit Geschenken für Nero, denn die Vornehmen und Reichen in den Provinzen hatten sich kostbare und ungewöhnliche Geschenke ausgedacht, und alle diese Geschenke, ihr Wert und ihre Spender mußten genau verzeichnet werden, da Nero es seiner Stellung schuldig zu sein glaubte, jede Gabe mit einer noch wertvolleren zu vergelten.

In den Straßen fanden Narrenumzüge statt, überall wurde auf der Zither gespielt, gesungen und gejohlt. Sklaven stolzierten in den Gewändern ihrer Herren einher, und diese bedienten gutmütig ihre Sklaven und führten ihre Befehle aus, denn in diesen Tagen hob Saturn den Unterschied zwischen Herren und Sklaven auf.

Nero lud wie üblich die vornehmsten jungen Männer Roms in den Palast. Bei der Auslosung wurde er der Saturnalienkönig, der die Macht hatte, von den anderen die ausgefallensten Tollheiten zu verlangen. Wir hatten bereits so viel Wein getrunken, daß die schwächeren schon die Wände anspien, als Nero auf den Gedanken verfiel, Britannicus müsse uns etwas vorsingen. Zweifellos sollte er gedemütigt werden, und Britannicus mußte dem Festkönig gehorchen, obwohl seine Lippen zitterten. Wir bereiteten uns auf ein großes Gelächter vor, aber zu unserer Überraschung ergriff Britannicus entschlossen die Zither und sang ergreifend das traurigste aller Klagelieder, das mit den Worten beginnt: »O Vater, o Land der Väter, o Priamos’ Reich …«

Wir lauschten aufmerksam und ohne einander anzusehen. Als Britannicus dieses Lied vom sterbenden Troja beendet hatte, herrschte eine beklemmende Stille im ganzen Saal. Wir konnten ihm nicht Beifall spenden, denn er hatte durch dieses Klagelied gezeigt, daß er sich als übergangen und widerrechtlich der Macht beraubt betrachtete. Wir konnten aber auch nicht lachen, denn zu tief war die Trauer, die sein Lied ausdrückte.