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Nachdem ich eine Weile nachgedacht hatte, sagte ich: »Es ist wohl für uns beide das beste, über alles, was heute nacht geschehen ist, den Mund zu halten.«

Julius Pollio lachte und antwortete: »Ich habe nichts zu befürchten. Ein Soldat gehorcht ohne Widerspruch dem Befehl.«

Ich schlief schlecht in dieser Nacht und hatte Träume, die Schlimmeres voraussagten. Am Morgen hielt es mich nicht in Rom. Ich reiste auf das Landgut meines Vaters bei Caere und nahm nur Barbus mit. Es war eisigkalt und die dunkelste Zeit des Jahres, aber ich wollte in ländlicher Ruhe und Ungestörtheit versuchen, einen lang gehegten Plan auszuführen und ein Buch über meine Erlebnisse in Kilikien zu schreiben.

Zum Dichter taugte ich nicht, das hatte ich wohl bemerkt. Einen eigentlichen historischen Bericht über den Aufstand der Kliter konnte ich auch nicht schreiben, wenn ich den König in Kilikien und den Prokonsul in Syrien nicht in ein schlechtes Licht stellen wollte. Ich erinnerte mich der griechischen Abenteuergeschichten, die ich bei Silanus gelesen hatte, um mir die Zeit zu vertreiben, und beschloß, eine der üblichen derb-komischen Räubergeschichten zu schreiben. Ich wollte die lächerlichen Seiten meiner Gefangenschaft herausstreichen und meine Leiden mit ein paar Worten übergehen. Einige Tage lang vertiefte ich mich so eifrig in diese Arbeit, daß ich Zeit und Ort vergaß. Ich glaube, es gelang mir, mich von den bedrückenden Erlebnissen meiner Gefangenschaft zu befreien, indem ich mich scherzend über sie hinwegsetzte.

Als ich gerade die letzten Zeilen schrieb, daß die Tinte spritzte, erhielt ich aus Rom die überraschende Nachricht, daß Britannicus während eines Versöhnungsmahles im Kreise der kaiserlichen Familie einen schweren Anfall erlitten hatte. Man hatte ihn zu Bett gebracht, und dort hatte er kurz darauf den Geist aufgegeben. Niemand hatte auch nur ahnen können, daß es so weit mit ihm kommen würde, denn sonst hatte er sich immer rasch von seinen Anfällen erholt.

Mit dem Hinweis auf die Sitte der Väter, schmerzliche Geschehnisse zu verbergen, hatte Nero die Leiche des Britannicus noch in derselben Nacht im winterlichen Regen auf dem Marsfeld verbrennen und seine Gebeine ohne Lobrede oder öffentlichen Umzug in das Mausoleum des Gottes Augustus schaffen lassen. In seiner Rede an den Senat und das Volk erklärte er, seine einzige Hoffnung und Zukunft sei nun das Vaterland, nachdem er die Hilfe und den Beistand seines Bruders bei der Regierung des Reiches auf so unerwartete Weise verloren habe.

Der Mensch glaubt gern, was er hofft. Daher empfand ich zunächst nichts als eine ungeheure Erleichterung. Der plötzliche Tod des Britannicus löste meiner Meinung nach alle politischen Konflikte auf die für Nero und ganz Rom glücklichste Weise. Agrippina konnte nun nicht mehr auf Britannicus verweisen, wenn sie Nero wegen seines Undanks tadelte, und das Gespenst des Bürgerkriegs verblaßte.

Auf dem Grunde meiner Gedanken lauerte jedoch ein heimlicher Zweifel, wenn ich es mir auch nicht eingestehen wollte. Daher mochte ich nicht nach Rom zurückkehren und blieb in Caere, obwohl ich nur meine Zeit vergeudete. Ich hörte, daß Nero das große Vermögen, das er nach Britannicus erbte, unter seine Freunde und die einflußreichsten Senatoren aufteilte, und es hatte den Anschein, als werfe er mit Geschenken um sich, weil er sich die Gunst aller erkaufen wollte. Ich selbst mochte an dem Erbe nach Britannicus keinen Anteil haben.

Als ich zu Frühjahrsbeginn endlich nach Rom zurückkehrte, hatte Nero Agrippina die Ehrenwache genommen und ihr selbst befohlen, den Palast zu verlassen und in das verfallene Haus Antonias, der verstorbenen Mutter des Claudius, zu übersiedeln. Dort besuchte er sie ab und zu, aber nie ohne Zeugen, deren Gegenwart sie zwang, ihren Zorn zu meistern.

Agrippina hatte befohlen, dem Claudius auf dem Caelius einen Tempel zu errichten, und man hatte auch schon mit den Arbeiten begonnen. Nero ließ die Gerüste wieder niederreißen und sagte, er brauche den Baugrund für seine eigenen Zwecke. Er hatte große Pläne für die Erweiterung des Palastes. Auf diese Weise verlor Agrippinas Rang einer Claudiuspriesterin jede Bedeutung. Von Tante Laelia hörte ich, daß sie wieder ebenso einsam war wie während ihrer schwersten Zeit, als Messalina noch lebte.

Titus, der Sohn Vespasians und Freund und ständige Begleiter des Britannicus, war krank seit dem verhängnisvollen Mahl, bei dem Britannicus den Anfall gehabt hatte, der zu seinem Tode führte. Ich beschloß, ihn zu besuchen, da ich seinen Vater gut kannte. Titus selbst war ich allerdings ausgewichen, seit ich mich dem Freundeskreis um Nero angeschlossen hatte.

Titus war noch sehr bleich und mager, und er betrachtete mich mißtrauisch, als ich so unerwartet mit Geschenken bei ihm erschien. Durch sein kantiges Gesicht, sein Kinn und seine Nase verriet er deutlicher als sein Vater die etruskische Abstammung der Flavier. Man brauchte ihn nur einen Augenblick mit einer etruskischen Grabskulptur zu vergleichen, und da ich gerade aus Caere kam, fiel mir die Ähnlichkeit besonders auf.

Ich sagte: »Ich habe mich seit den Saturnalien in Caere aufgehalten und eine Räubergeschichte geschrieben, aus der ich vielleicht ein Schauspiel machen werde. Ich weiß daher nicht, was in Rom geschehen ist, aber ich habe böse Gerüchte gehört. Sogar mein eigener Name soll mit dem plötzlichen Tod des Britannicus in Verbindung gebracht worden sein. Du kennst mich gut genug, um mir nichts Böses zuzutrauen. Sag mir die Wahrheit. Wie starb Britannicus?«

Titus erwiderte meinen Blick ohne Furcht und sagte: »Britannicus war mein bester und einziger Freund. Eines Tages werde ich ihm eine goldene Statue unter den kapitolinischen Göttern errichten, und sobald ich wieder gesund bin, reise ich zu meinem Vater nach Britannien.

Ich saß beim Mahl neben Britannicus. Nero erlaubte uns Knaben nicht, bei Tisch zu liegen. Es war ein kühler Abend, und wir nahmen heiße Getränke zu uns. Britannicus’ Mundschenk bot ihm einen so heißen Becher an, daß er selbst sich beim Vorkosten die Zunge verbrannte. Britannicus ließ sich ein wenig kaltes Wasser in den Becher gießen, trank und verlor auf der Stelle die Sprache und das Sehvermögen. Ich nahm seinen Becher und kostete, und im gleichen Augenblick packte mich ein heftiger Schwindel, und vor meinen Augen verschwamm alles. Zum Glück erbrach ich mich. Seither bin ich krank, aber ich wäre wahrscheinlich auch gestorben, wenn ich das Gift nicht wieder von mir gegeben hätte.«

Ich traute meinen Ohren nicht. »Du glaubst wirklich, daß er vergiftet wurde und daß du selbst von dem Gift gekostet hast?« fragte ich.

Titus sah mich ernst an und antwortete: »Ich glaube es nicht, ich weiß es. Frag mich nicht, wer der Schuldige ist. Agrippina war es nicht, denn sie entsetzte sich zu sehr, als es geschah.«

»Wenn das wahr wäre, könnte im auch glauben, daß sie Claudius vergiftete, wie das Gerücht noch immer hartnäckig behauptet.«

Seine Mandelaugen blickten mich mitleidig an. »Wußtest du nicht einmal das?« fragte er. »Sogar die Hunde Roms scharten sich um Agrippina und heulten Tod, als sie zum Forum niederstieg, nachdem die Prätorianer Nero zum Imperator ausgerufen hatten.«

»Dann ist die Macht gefährlicher, als ich je glaubte«, sagte ich.

»Die Macht ist zu schwer, um von einem einzigen Manne getragen zu werden, so klug auch seine Ratgeber sein mögen«, stimmte mir Titus bei. »Keiner der Herrscher Roms hat sie ertragen, ohne durch sie verdorben zu werden. Ich habe während meiner Krankheit Zeit genug gehabt, über diese Dinge nachzudenken, und doch denke ich immer noch eher gut als schlecht von den Menschen. Auch von dir will ich gut denken, da du zu mir gekommen bist, um mich offen nach der Wahrheit zu fragen. Ein Mann kann sich zwar verstellen, aber ich glaube nicht, daß du im Auftrag Neros gekommen bist, um mich auszuhorchen, was ich vom Tode meines besten Freundes denke. Ich kenne Nero. Er glaubt, er habe durch seine Bestechungsgeschenke alle seine Freunde dazu gebracht, zu vergessen, was geschehen ist, und er möchte selbst am liebsten vergessen. Ich habe ein Messer bereitgehalten für den Fall, daß du gekommen wärst, um mir zu schaden.«