Sobald der Tiergarten sauber war und die Tiere richtig gefüttert wurden und tüchtige, aufmerksame Wärter hatten, mußten wir uns die Programmnummern für die große Vorführung ausdenken, denn der Tag der Eröffnung des Amphitheaters rückte rasch näher.
Ich hatte gerade so viele Tierkämpfe gesehen, daß ich wußte, wie man die Jagden in der Arena so leitete, daß sie für die Jäger ungefährlich waren und dabei doch für die Zuschauer atemberaubend wirkten. Schwieriger war es, zu bestimmen, welche Tiere gegeneinander gehetzt werden sollten, denn die Zuschauer waren die merkwürdigsten Zusammenstellungen gewohnt. Am meisten versprach ich mir von den Kunststücken der gezähmten Tiere, und da sich mir wirklich ständig kundige Tierbändiger aus allen Ländern antrugen, hatte ich Erstaunliches zu bieten.
Es war jedoch nicht leicht, diese Dressurakte bis zum Fest geheimzuhalten, denn der Tiergarten war von Besuchern überlaufen. Zuletzt verfiel ich darauf, eine Eintrittsgebühr zu verlangen. Das Geld, das auf diese Weise zusammenkam, verwendete ich zum Nutzen des Tiergartens, obgleich ich es ruhig hätte für mich behalten dürfen, denn ich selbst war ja auf diesen Gedanken gekommen. Kinder und Sklaven hatten übrigens freien Zutritt, wenn der Andrang nicht zu groß war.
Eine Woche vor dem Eröffnungstag besuchte mich ein hinkender, bärtiger Mann. Erst als er mich anredete, erkannte ich in ihm Simon den Zauberer wieder. Das Verbot der Sterndeuterei war noch immer in Kraft, daher durfte er seinen prächtigen chaldäischen Mantel mit den Sternbildern darauf nicht tragen. Er wirkte heruntergekommen, sein Blick irrte unruhig hin und her, und er brachte ein so sonderbares Begehren vor, daß ich annehmen mußte, er habe den Verstand verloren. Er wollte im Amphitheater seine Flugkünste zeigen, um seinen alten Ruf wiederzuerlangen!
Ich entnahm seiner verworrenen Erzählung, daß seine Heilkräfte im Schwinden waren und daß er keinen Zulauf mehr hatte. Seine Tochter war, wie er behauptete, durch die Ränke feindselig gesinnter Zauberer ums Leben gekommen. Vor allem aber verfolgten ihn die Christen in Rom mit solchem Haß, daß er vollends zu verarmen drohte und nicht mehr wußte, wovon er im Alter leben sollte. Daher wollte er nun vor allem Volk seine göttlichen Kräfte beweisen.
»Ich weiß, daß ich fliegen kann«, sagte er. »Ich bin vor Jahren geflogen und vor den Augen der Menge aus einer Wolke aufgetaucht, aber dann kamen die Christen mit ihren Beschwörungen, und ich stürzte auf das Forum nieder und zerschlug mir die Kniescheibe. Ich will den anderen und mir selbst beweisen, daß ich noch fliegen kann. In einer der letzten Nächte habe ich mich vom Turm auf dem Aventin in einen brausenden Sturm geworfen und meinen Mantel als Schwingen ausgebreitet. Ich bin geflogen und unbeschadet wieder auf die Füße zu stehen gekommen.«
»Ich glaube, du bist nie wirklich geflogen«, sagte ich mißtrauisch. »Du blendest mit deiner Macht den Leuten die Augen, so daß sie glauben, sie sähen dich fliegen.« Simon der Zauberer rang die Hände, raufte sich den Bart und sagte: »Mag sein, daß ich den Leuten die Augen blendete, aber ich dachte mit solcher Kraft, daß ich fliege, daß ich noch immer glaube, wirklich geflogen zu sein. Doch ich strebe nicht mehr nach den Wolken. Es genügt mir, wenn es mir gelingt, ein- oder zweimal um das Amphitheater zu fliegen. Dann glaube ich wieder an meine Macht und daran, daß mich meine Engel in der Luft unter den Armen halten.«
Er hatte nur noch diesen einen Gedanken im Kopf, zu fliegen. Schließlich fragte ich ihn, wie er es anstellen wollte. Er meinte, man könnte mitten im Amphitheater einen hohen Mast errichten und ihn in einem Korb hinaufhissen, so daß er genug Luft unter sich bekam. Vom Boden könne er sich nicht erheben, wenn hunderttausend Menschen zusahen, sagte er. Er starrte mich mit seinem stechenden Blick an und sprach so überzeugend, daß mir schwindelte, und ich dachte mir, dergleichen sei jedenfalls noch nie in einem Theater gezeigt worden. Wenn er sich unbedingt den Hals brechen wollte, so war das schließlich seine Sache; und wer weiß, vielleicht glückte ihm der kühne Versuch wirklich.
Nero befand sich im Amphitheater, um einigen griechischen Jünglingen zuzusehen, die einen Schwerttanz übten. Es war ein glühendheißer Herbsttag. Nero trug nur ein schweißgetränktes Untergewand. Er feuerte die Griechen an und lobte sie und nahm ab und zu selbst an dem Tanz teil, um ihnen ein Beispiel zu geben. Als ich ihm von dem Vorschlag Simons des Zauberers berichtete, war er entzückt, meinte jedoch: »Das Fliegen ist an sich merkwürdig genug, aber wir müssen einen künstlerischen Rahmen finden, um eine wirklich sehenswerte Nummer daraus zu machen. Er könnte Ikarus darstellen, und wir sollten auch Dädalus und sein Meisterwerk haben, und warum nicht auch Pasiphae?«
Seine Einbildung begann so lebhaft zu arbeiten, daß ich froh war, als ich ihm endlich wieder entkam. Wir waren übereingekommen, daß Simon der Zauberer sich den Bart scheren und als griechischer Jüngling verkleiden mußte. Auf dem Rücken sollte er goldschimmernde Hügel tragen.
Als ich Simon die Forderungen des Kaisers überbrachte, weigerte er sich zuerst, sich den Bart abzunehmen, und behauptete, er würde dadurch alle Kraft verlieren. Gegen die Hügel hatte er nichts einzuwenden. Ich erzählte ihm von Dädalus und der hölzernen Kuh, aber darauf berichtete er mir von einer jüdischen Sage, derzufolge ein gewisser Simson alle Kraft verlor, als ihm eine fremde Frau die Haare abschnitt. Erst als ich sagte, er glaube wohl selbst nicht an seine Kunst, ging er auf die Forderung ein. Ich fragte ihn, ob ich den Mast gleich aufstellen lassen solle, damit er üben könne, aber er antwortete mir, daß das Üben nur an seinen geheimen Kräften zehren würde. Er halte es für besser, zu fasten und in der Einsamkeit Beschwörungen zu sprechen und seine Kräfte für die Vorführung aufzusparen.
Nero hatte vorgeschrieben, daß die Vorführungen im Amphitheater die Zuschauer sowohl unterhalten als auch veredeln müßten. Zum erstenmal in geschichtlicher Zeit sollte eine so gewaltige Vorstellung stattfinden, ohne daß absichtlich Menschenblut vergossen wurde. Dafür mußte das Volk zwischen den aufregenden und künstlerisch wertvollen Nummern soviel wie möglich zu lachen haben, und in den unumgänglichen Pausen sollten Geschenke unter die Zuschauer geworfen werden: gebratene Vögel, Früchte, Backwerk und kleine Lostäfelchen aus Elfenbein, mit denen dann Getreide, Kleider, Silber, Gold, Zugochsen, Sklaven und sogar ganze Landgüter verlost werden sollten.
Nero wollte keine Berufsgladiatoren verwenden. Statt dessen befahl er, um den besonderen Wert seiner Vorstellung zu betonen, daß das Spiel durch einen Kampf zwischen vierhundert Senatoren und sechshundert Rittern eingeleitet werden sollte, und tatsächlich erheiterte es das Volk über alle Maßen, vornehme Männer von untadeligem Ruf mit stumpfen Lanzen und Holzschwertern aufeinander einhauen zu sehen. Zuletzt aber herrschte allgemeines Mißvergnügen darüber, daß niemand zu Schaden kam, und die Leute begannen laut zu murren. Die Wachsoldaten machten sich daran, zu tun, was ihre Pflicht war, aber Nero ließ kundmachen, daß die Soldaten sich zurückzuziehen hätten, denn das römische Volk müsse sich an die Freiheit gewöhnen.
Diese Worte weckten Beifall und allgemeines Entzücken. Die Unzufriedenen beherrschten sich, um sich des Vertrauens des Kaisers würdig zu erweisen. Ein Zweikampf mit Netz und Dreizack zwischen zwei feisten, kurzatmigen Senatoren war außerdem so komisch, daß die Leute in nicht enden wollendes Gelächter ausbrachen. Die beiden würdigen Männer wurden nämlich so böse aufeinander, daß sie einander sicherlich verwundet hätten, wenn die Dreizacke gespitzt oder die Netze mit den üblichen Bleikugeln bestückt gewesen wären.
Man entsetzte sich über drei Männer, die Riesenschlangen vorführten und sich von den Tieren ganz umschlingen ließen, aber Nero machte ein saures Gesicht, weil niemand ohne Erklärung verstand, daß die Männer Laokoon und seine Söhne darstellten. Die Jagd auf Löwen, Tiger und Auerochsen verlief zur großen Enttäuschung der Zuschauer ohne Unglücksfälle, wofür die jungen Ritter, die als Jäger auftraten, mir und den Schutztürmen, die an verschiedenen Stellen in der Arena errichtet worden waren, danken konnten. Mir selbst mißfiel diese Vorführung, denn ich hatte meine Tiere so liebgewonnen, daß ich sie nicht sterben sehen mochte.