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Großen Beifall erhielt eine Löwenbändigerin, eine schlanke, biegsame Frau, die plötzlich aus einem dunklen Tor stürzte und, von drei Löwen verfolgt, quer durch die Arena lief. Ein Rauschen ging durch die Zuschauermenge, aber plötzlich drehte sich die Frau um und trieb die Löwen mit der Peitsche zurück. Die Tiere gehorchten ihren Befehlen, machten Männchen wie folgsame Hunde und sprangen durch große Reifen.

Das Gemurmel und der Beifall reizten jedoch die Löwen. Als die Frau ihr gewagtestes Kunststück vorführte und den Kopf in den offenen Rachen des größten Löwen steckte, klappte dieser plötzlich die Kiefer zusammen und biß ihr den Kopf ab. Diese unvorhergesehene Wendung weckte so gewaltigen Jubel und solche Beifallsstürme, daß ich Zeit hatte, die Löwen zu retten. Eine Kette von Sklaven, die mit Fackeln und rotglühenden Eisenstangen ausgerüstet waren, umkreiste sie und trieb sie durch die Pforte in ihre Käfige zurück. Sonst hätten nämlich die reitenden Bogenschützen sie getötet, und ich war um meine kostbaren gezähmten Löwen so besorgt, daß ich selbst unbewaffnet in die Arena sprang und den Sklaven meine Befehle erteilte.

Ich war so zornig, daß ich dem Löwen mit meinem eisenbeschlagenen Stiefel unter das Kinn trat, um ihn zu zwingen, den Kopf seiner Herrin auszuspucken. Er brüllte nur böse, war aber offenbar selbst so erschrocken über das, was er angerichtet hatte, daß er mich nicht angriff.

Nachdem ein Trupp bemalter Neger ein Nashorn gehetzt hatte, stellte man eine Kuh aus Holz mitten in die Arena, und der Pantomimiker Paris stellte die Geschichte von Dädalus und Pasiphae so lebendig dar, während ein riesiger Stier die hölzerne Kuh bestieg, daß die meisten Zuschauer glaubten, in der hohlen Kuh habe sich wirklich Pasiphae versteckt.

Simon der Zauberer mit seinen großen golden glänzenden Flügeln war eine Überraschung für alle. Paris versuchte ihn durch Gesten zu einigen Tanzschritten zu verlocken, aber Simon wies ihn mit einem Schlag der prächtigen Flügel stolz ab. Einige Seeleute hißten ihn im Handumdrehen zu einer Plattform auf der Spitze des schwindelnd hohen Mastes hinauf. Ein paar Juden in den obersten Reihen stießen Flüche und Verwünschungen aus, aber die anderen Zuschauer brachten sie zum Schweigen, und Simon der Zauberer wandte sich grüßend in alle Richtungen, als er da in der größten Stunde seines Lebens oben auf dem Mast stand. Ich glaube, er war bis zum letzten Augenblick überzeugt, daß er alle seine Widersacher besiegen werde.

Dann schlug er noch einmal mit den Flügeln und sprang, zur Loge des Kaisers gewandt, in die Luft. Er stürzte so kurz vor der Loge nieder, daß einige Blutstropfen bis zu Nero hinaufspritzten, und war auf der Stelle tot. Später stritt man sich darüber, ob er wirklich geflogen sei oder nicht. Einige behaupteten, gesehen zu haben, daß der linke Flügel beschädigt worden war, als man ihn im Korb zur Mastspitze hinaufzog. Andere wieder glaubten, die Verwünschungen der Juden hätten seinen Absturz bewirkt. Vielleicht wäre er geflogen, wenn er seinen Bart hätte behalten dürfen.

Die Vorstellung mußte weitergehen. Die Seeleute spannten nun ein mannsdickes Tau zwischen dem Fuß des Mastes und der untersten Reihe, und zur ungeheuren Überraschung und Verwunderung der Zuschauer schritt ein Elefant langsam und vorsichtig über dieses Tau. Auf seinem Nacken saß ein Ritter, der in ganz Rom für seine Dummdreistigkeit bekannt war. Natürlich hatte nicht er den Elefanten gelehrt, auf dem Tau zu gehen – das tat das Tier auch ohne Führer –, aber er heimste den Schlußbeifall für seine Vorstellung ein, wie man dergleichen bis dahin nicht gesehen hatte.

Ich glaube, das Volk war im großen ganzen recht zufrieden. Besonders der Todessprung Simons des Zauberers und der Tod der Löwenbändigerin waren Glanznummern gewesen, und das einzige, was man daran auszusetzen hatte, war, daß sie zu rasch ausgeführt worden waren. Die Senatoren und Ritter, die als Jäger auftreten mußten, waren zufrieden, weil kein Unglück geschehen war, und nur die altmodischsten Zuschauer klagten, daß kein Menschenblut zu Ehren der römischen Götter geflossen war, und gedachten wehmütig der grausamen Spiele, die Claudius geboten hatte.

Die meisten verbargen jedoch ihre Enttäuschung recht tapfer, denn Nero hatte in den Pausen wirklich kostbare Geschenke verteilen lassen. Auch die Abberufung der Prätorianer gefiel dem Volk, das sich etwas auf seine ererbte Freiheit einbildete, und bei der Schlägerei um die Elfenbeinlose hatten keine hundert Zuschauer ernsthaftere Verletzungen erlitten.

Octavia, die Gemahlin des Kaisers, nahm es schweigend hin, daß Nero die schöne Acte der Vorstellung in der Kaiserloge beiwohnen ließ, wo sie allerdings hinter einer eigenen Wand mit einem Guckloch verborgen war. Agrippina hatte keinen Platz erhalten. Nero ließ verkünden, es gehe seiner Mutter nicht gut. Irgend jemand soll gerufen haben, ob Agrippina vielleicht gar Pilze gegessen habe. Ich selbst hörte diesen Ruf nicht, und Nero sagte, er sei glücklich, daß das Volk in seiner Gegenwart im Amphitheater von seiner Redefreiheit ohne Furcht Gebrauch mache.

Mein Tierbestand war auf betrübliche Weise verringert worden, aber ein gewisser Stamm war selbstverständlich übriggeblieben, und ich entwarf einen Plan, demzufolge der Tiergarten in Zukunft ständig mit wilden Tieren aus allen Ländern aufgefüllt werden sollte, so daß die Vorstellungen nicht mehr vom Zufall abhingen. Es mußte möglich sein, innerhalb kurzer Frist gute Vorführungen zustande zu bringen, wenn Nero es für notwendig erachtete, das Volk an irgendeinem Festtag zu unterhalten. Und da ich Neros Launen kannte, hielt ich es für klug, sich auf politische Ereignisse vorzubereiten, die es erforderlich machten, dem Volk Unterhaltung zu bieten, um es unangenehme Dinge vergessen zu lassen.

Die Fußballen der getöteten Nashörner hatten die ganze Nacht in Kochgruben nach afrikanischer Art geschmort und waren am nächsten Tag zu einer durchsichtigen, wabbelnden Masse erstarrt. Ich bereitete mich darauf vor, diesen seltenen Leckerbissen, der, soviel ich weiß, bis dahin Rom noch unbekannt gewesen war, auf den Tisch des Kaisers zu bringen. Wehmütig betrachtete ich die leeren Käfige, die Sklaven, die zu ihren täglichen Verrichtungen zurückgekehrt waren, und das bescheidene Haus, in dem Sabina und ich einen anstrengenden, aber, wie ich nun glaubte, glücklichen Lebensabschnitt verbracht hatten.

»Sabina!« rief ich dankbar. »Ohne deine Erfahrung im Umgang mit Tieren und deine unermüdliche Arbeitslust wäre es mir wohl nicht gelungen, mich dieses Auftrags ehrenvoll zu entledigen. Trotz allen Schwierigkeiten, die wir überwinden mußten, werden wir bestimmt gern an diese Zeit zurückdenken, wenn wir wieder ein gewöhnliches Leben fuhren.«

»Ein gewöhnliches Leben führen?« fragte Sabina schroff und blickte mich streng an. »Wie soll ich das verstehen?«

»Ich habe meinen Auftrag ausgeführt, und zwar, wie ich hoffe, zur Zufriedenheit deines Vaters und des Kaisers«, antwortete ich gut gelaunt. »Nun gehe ich mit diesem Gericht zu Nero, und unser Verwalter macht die Abrechnung mit der kaiserlichen Kasse. Nero versteht nichts von Geldangelegenheiten, und mir selbst ist unsere Buchführung, offen gestanden, auch viel zu schwierig. Ich hoffe aber, sie ist in Ordnung, und trauere dem verlorenen Geld nicht nach. Vielleicht gibt Nero mir auch eine Belohnung, aber mein schönster Lohn ist der Beifall des Volkes. Mehr als das begehre ich nicht, und im übrigen hätte ich diese ständigen Aufregungen auch nicht mehr lange ausgehalten.«

»Wer von uns beiden hat wohl am meisten aushalten müssen?« fragte Sabina lebhaft. »Ich traue meinen Ohren nicht! Du hast ja erst den ersten Schritt getan. Meinst du denn, du könntest die Löwen, die nun keine Wärterin mehr haben, einfach im Stich lassen, oder diese beinahe menschlichen Riesenaffen, von denen der eine so hustet, daß es einem ins Herz schneidet – von den anderen Tieren ganz zu schweigen? Nein, Minutus, ich will annehmen, daß du nur müde und schlecht gelaunt bist. Mein Vater hat versprochen, daß du deine jetzige Stelle unter meiner Aufsicht behalten darfst. Das erspart ihm viele Sorgen, weil er nicht mehr um die ohnehin knapp bemessenen Mittel zu streiten braucht, die der Senat dem Tiergarten bewilligt.«