Nach dem Tod Simons des Zauberers verlor Tante Laelia in kürzester Zeit ihren Lebenswillen und das Restchen Verstand, das ihr noch geblieben war. Sie war zwar schon lange eine alte Frau mit allen Eigenheiten einer solchen gewesen, aber während sie bisher immer noch versucht hatte, es durch Kleider, Perücken und Schminke zu verbergen, ließ sie sich nun gehen und versteckte sich die meiste Zeit in meinem Haus, murmelte vor sich hin und erzählte von längst vergangenen Zeiten, an die sie sich besser erinnerte als an alles, was zuletzt geschehen war.
Als ich bemerkte, daß sie nicht einmal mehr zu sagen vermochte, wer Kaiser war, und mich mit meinem Vater verwechselte, hielt ich es für angebracht, so oft wie möglich in meinem alten Haus auf dem Aventin zu übernachten. Sabina hatte nichts dagegen einzuwenden. Im Gegenteil, es schien ihre Herrschsucht zu befriedigen, daß sie im Tiergarten schalten und walten durfte, wie sie wollte.
Sabina verstand sich ausgezeichnet mit den Tierbändigern, obwohl diese trotz ihrer gewiß achtenswerten beruflichen Geschicklichkeit zumeist ungebildete Menschen waren und über nichts anderes zu reden wußten als über ihre Tiere. Sabina überwachte auch das Ausladen der Tiere von den Schiffen und verstand es viel besser als ich, die Preise herunterzuhandeln. Vor allem aber hielt sie unter den Angestellten des Tiergartens unerbittlich Zucht und Ordnung.
Ich mußte mir bald eingestehen, daß ich eigentlich nicht mehr viel zu tun hatte und Sabina nur die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen brauchte. Die Zuwendungen aus der kaiserlichen Kasse reichten bei weitem nicht für den Unterhalt und die Neuanschaffungen. Deswegen hatte man mir ja auch zu verstehen gegeben, daß die Leitung des Tiergartens ein Ehrenamt sei, das beträchtliche eigene Mittel voraussetze.
Ich hatte Einkünfte aus dem Seifenhandel meines gallischen Freigelassenen, einer meiner ägyptischen Freigelassenen stellte teure Hautsalben für Frauen her, und Hierax sandte mir reiche Geschenke aus Korinth. Meine Freigelassenen steckten ihre Gewinne gern in neue Unternehmungen. Der Seifensieder hatte seine Verbindungen in allen großen Städten des Reiches, und Hierax betrieb in Korinth Grundstückspekulationen. Nur der Tiergarten brachte mir nichts ein.
Um die Wohnraumnot zu lindern, ließ ich auf einem durch Brand zerstörten Grundstück, das ich dank meinem Schwiegervater billig erwerben konnte, einige siebenstöckige Mietshäuser errichten. Ein wenig verdiente ich auch dadurch, daß ich Fangexpeditionen nach Thessalien, Armenien und Afrika ausrüstete und überschüssige Tiere in Provinzstädte verkaufte. Die besten behielt ich natürlich selbst.
Bald verdiente ich auch das erste Geld an den Schiffen, die vom Roten Meer nach Indien segelten und an denen ich – um seltene Tiere aus Indien herbeischaffen zu können – Anteile hatte erwerben dürfen. Die Waren wurden über Alexandria nach Rom befördert. Es war die Zeit, in der handwerkliche Erzeugnisse aus Gallien und kampanische Weine nach Indien ausgeführt wurden.
Dank einem Übereinkommen mit den arabischen Fürsten erhielt Rom einen Stützpunkt mit einer ständigen Garnison am südlichen Ende des Roten Meeres. Das war notwendig, weil die Nachfrage nach Luxuswaren mit dem steigenden Wohlstand des Reiches immer größer wurde und die Parther die römischen Karawanen nicht durch ihr Gebiet ziehen lassen, sondern selbst als Zwischenhändler an den Waren verdienen wollten.
Alexandria gewann durch die neue Ordnung, aber große Handelsstädte wie Antiochia und Jerusalem erlitten Verluste, weil die Preise der Waren aus Indien sanken. Daher ließen die mächtigen syrischen Handelsherren durch Mittelsmänner in Rom die Auffassung verbreiten, ein Krieg gegen Parthien sei früher oder später unerläßlich, um dem Handel einen Landweg nach Indien zu eröffnen.
Sobald in Armenien Ruhe eingetreten war, hatte Rom Beziehungen zu den Hyrkanern angeknüpft, die das salzige Kaspische Meer nördlich des Partherreiches beherrschten. Auf diese Weise erhielt man unter Umgehung der Parther einen Handelsweg nach China und konnte Seide und andere Waren über das Schwarze Meer nach Rom bringen. Ich hatte davon, offen gestanden, recht unklare Vorstellungen, und wie mir erging es den anderen. Es wurde zum Beispiel behauptet, man brauche zwei Jahre, um die Waren auf Kamelrücken von China an die Küste des Schwarzen Meeres zu schaffen, aber die meisten vernünftigen Menschen glaubten nicht, daß irgendein Land so weit entfernt liegen könne, sondern meinten, die Behauptung sei eine reine Erfindung der Karawanenkaufleute, die ihre unverschämten Wucherpreise rechtfertigen wollten.
Wenn Sabina recht schlecht gelaunt war, forderte sie mich auf, selbst auf Reisen zu gehen und Tiere heimzubringen, Tiger aus Indien, Drachen, von denen die Sagen berichten, aus China oder Nashörner aus dem dunkelsten Nubien. In meiner Verbitterung hatte ich manchmal wirklich Lust, eine so lange Reise anzutreten, aber zuletzt siegte doch immer wieder die Vernunft, und ich sagte mir, daß erfahrenere Männer als ich besser dazu taugten, wilde Tiere einzufangen und die Mühen der Reisen zu bestehen.
Ich ließ daher alljährlich am Todestag meiner Mutter einen der Sklaven des Tiergartens frei und rüstete ihn für eine Reise aus. Einen meiner abenteuerlustigen griechischen Freigelassenen schickte ich nach Hyrkanien. Er sollte versuchen, nach China zu gelangen, und da er des Schreibens kundig war, hoffte ich, von ihm einen brauchbaren Reisebericht zu bekommen, aus dem ich ein neues Buch hätte machen können. Ich hörte jedoch nie mehr von ihm.
Nach dem Tod des Britannicus und meiner Vermählung war ich Nero mehr oder weniger aus dem Weg gegangen. Wenn ich heute darüber nachdenke, will mir scheinen, daß meine Ehe mit Sabina in gewissem Sinne eine Flucht aus dem Kreis um Nero war. Vielleicht habe ich mich deshalb so plötzlich und auf so vernünftige Weise in sie verliebt.
Als ich wieder mehr Zeit für mich selbst hatte, begann ich römische Schriftsteller in mein Haus einzuladen. Annaeus Lucanus, der Sohn eines Vetters Senecas, hielt sich gern in meiner Gesellschaft auf, weil ich seine dichterische Begabung ohne Hemmungen lobte. Petronius, der einige Jahre älter als ich war, fand Gefallen an dem kleinen Buch, das ich über die Räuber in Kilikien geschrieben hatte, vor allem wegen der absichtlich volkstümlichen Sprache.
Petronius war ein fein gebildeter Mann, der es – nächst der Erfüllung seiner politischen Pflichten – als sein Lebensziel ansah aus dem Leben selbst ein Kunstwerk zu machen. Er war insofern ein recht anstrengender Freund, als er gern tagsüber schlief und des Nachts wachte, weil ihn, wie er behauptete, der nächtliche Verkehrslärm Roms nicht schlafen ließ.
Ich begann ein Handbuch über wilde Tiere, ihren Fang, ihre Beförderung, Pflege und Dressur zu schreiben. Um es für die Zuhörer genießbar zu machen, berichtete ich von vielen merkwürdigen Ereignissen, die ich selbst mit angesehen oder von anderen gehört hatte, und machte fleißig Gebrauch von dem Recht eines jeden Schriftstellers, zu übertreiben, um das Interesse wachzuhalten. Petronius meinte, es könnte ein ausgezeichnetes Buch von bleibendem Wert werden, und entlehnte daraus für seine eigenen Schriften einige grobe Wendungen, wie sie in der Sprache des Amphitheaters üblich sind.
An den nächtlichen Streifzügen Neros in die verrufenen Viertel Roms nahm ich nicht mehr teil, da mein Schwiegervater der Stadtpräfekt war, und ich handelte klug, denn diese wilden Vergnügungen nahmen ein trauriges Ende.
Nero war nie böse, wenn er Prügel bekam. Er nahm das nur als ein Zeichen dafür, daß ehrlich gekämpft worden war. Eines Nachts versetzte ihm ein Senator, der die Ehre seiner Gattin verteidigte, einen kräftigen Hieb über den Schädel, und als er zu seinem Entsetzen erfuhr, wen er geschlagen hatte, schrieb er in seiner Dummheit Nero einen Brief, in dem er sich demütig entschuldigte. Darauf blieb Nero nichts anderes übrig, als sich darüber zu verwundern, daß ein Mann, der seinen Herrscher geschlagen hatte, noch am Leben war und sich obendrein in schamlosen Briefen mit seiner Missetat brüstete. Der Senator ließ sich von einem Arzt die Pulsadern öffnen.