Ich glaube, Agrippina wäre stillschweigend über meine Frage hinweggegangen, wenn der Zorn sie nicht völlig um die Beherrschung gebracht hätte. »Frag im Flottenbordell in Misenum nach ihr!« antwortete sie höhnisch. »Ich habe dir ja versprochen, deine Claudia in ein geschlossenes Haus zu schicken, um ihre Erziehung zu vollenden. Ein Bordell ist gerade der richtige Ort für einen Bankert.«
Sie starrte mich an wie die Medusa und fügte hinzu: »Du bist der leichtgläubigste Dummkopf, der mir je begegnet ist. Du hast mich mit offenem Munde angestarrt und alle falschen Beweise für ihre angebliche Hurerei geschluckt. Aber mir genügte es, daß sie es ohne Erlaubnis gewagt hatte, sich mit einem römischen Ritter einzulassen. Hätte ich gewußt, wie undankbar du bist, ich würde mir nicht die Mühe gemacht haben, dich daran zu hindern, in dein eigenes Verderben zu rennen!«
Antonia lachte laut auf und fragte: »Hast du Claudia wirklich in ein Bordell gesteckt, liebe Stiefmutter? Ich habe mich darüber gewundert, daß sie auf einmal verschwunden war und mich nicht mehr damit belästigte, daß ich sie als meine Schwester anerkennen solle.« Antonias Nasenflügel zitterten. Sie fuhr sich mit der Hand über ihren zarten Hals, wie um etwas wegzuwischen. Ihre ganze schlanke Gestalt strahlte in diesen Augenblicken eine eigentümliche Schönheit aus.
Ich war unfähig, ein Wort zu sagen. Erschrocken bis ins Herz hinein, starrte ich diese beiden Ungeheuer an. Und plötzlich sah ich alles wie von einem Blitz erhellt vor mir und glaubte all das Böse, das ich je über Agrippina gehört hatte.
Ja, ich erkannte nun auch, daß Poppaea Sabina meine Freundschaft rücksichtslos ausgenutzt hatte, um ihre eigenen Pläne zu verwirklichen. Es überkam mich in einem Augenblick wie eine Offenbarung, und mir war, als wäre ich plötzlich um Jahre gealtert und hart, sehr hart geworden. Vielleicht war ich dieser Verwandlung unbewußt seit langem entgegengereift. Ein Käfig wurde niedergerissen, und ich stand als freier Mann unter freiem Himmel. So empfand ich es.
Es war die größte Dummheit meines Lebens gewesen, mit Agrippina über Claudia zu sprechen. Nein, es war mehr als eine Dummheit. Es war ein Verbrechen an Claudia, und dieses Verbrechen mußte gesühnt werden. Ich mußte in meine Vergangenheit zurückkehren und mein Leben von dem Tage an neu beginnen, da Agrippina mir das Gift einträufelte und meine Liebe zu Claudia zerstört hatte.
Ich mußte vorsichtig sein und reiste unter dem Vorwand nach Misenum, zu untersuchen, ob es nicht möglich wäre, mit Schiffen der Kriegsflotte Tiere aus Afrika herüberzuholen. Der Befehlshaber der Flotte war Anicetus, ein ehemaliger Barbier und der erste Lehrer Neros. Es ist eine ganz eigene Sache mit der Flotte. Kein römischer Ritter mag auf See dienen. Während ich dies schreibe, hat den Oberbefehl ein Verfasser von Nachschlagewerken inne, ein gewisser Plinius, der die Kriegsschiffe dazu verwendet, seltene Pflanzen und Steine aus fernen Ländern zu holen, was freilich nicht die schlechteste Art ist, die Seeleute zu beschäftigen. Sie kommen in der Welt herum und können Barbarenvölker mit Wolfsblut veredeln.
Der Emporkömmling Anicetus empfing mich achtungsvoll. Ich war von guter Herkunft, Ritter und Sohn eines Senators. Außerdem hatten die Klienten meines Vaters mit den Docks zu tun, und Anicetus erhielt von ihnen ansehnliche Bestechungsgelder. Nachdem er eine Weile mit seiner griechischen Bildung, seinen Gemälden und Kunstgegenständen geprahlt hatte, bekam er einen Rausch und begann unanständige Geschichten zu erzählen, wobei er mir seine eigene Lasterhaftigkeit offen eingestand.
»Jeder Mensch hat ein besonderes Laster«, sagte er. »Das ist natürlich und begreiflich, und es braucht sich dessen niemand zu schämen. Die Tugend ist nur Verstellung. Diese Wahrheit habe ich Nero beizeiten eingetrichtert. Ich hasse niemanden so sehr wie einen Menschen, der den Tugendhaften spielt. Was für eine hättest du denn gern: eine Dicke oder eine Magere, eine Schwarze oder eine Blonde? Oder soll’s ein Knabe sein? Ich kann dir besorgen, was du wünschst, ein junges, aber geschicktes Mädchen oder eine alte Vettel, einen Akrobaten oder eine unberührte Jungfrau. Möchtest du bei einer Geißelung zusehen, oder möchtest du selbst gegeißelt werden? Wenn du willst, lasse ich ein Dionysosmysterium nach allen Regeln feiern. Sag mir ein Wort, gib mir einen Wink, und ich befriedige um der Freundschaft willen deine geheimsten Wünsche. Wir sind hier in Misenum, und hier ist nicht viel los, verstehst du, aber es ist nicht weit nach Baiae, Puteoli und Neapolis, wo du alle Laster Alexandrias finden kannst. Auf Capri lebt in diesen Dingen noch der ganze Einfallsreichtum des Gottes Tiberius fort, und in Pompeji gibt es ein paar prächtige Bordelle. Sollen wir uns hinrudern lassen?«
Ich gab mich ein wenig befangen, sagte dann aber, um mich seines Vertrauens würdig zu erweisen: »Vor Jahren hat es mir das größte Vergnügen gemacht, mich zu verkleiden und mit deinem begabten Schüler Nero des Nachts durch Suburra zu streifen. Ich glaube, ich habe nirgends größere Wollust empfunden als in den elenden Hurenhäusern, die von den Sklaven aufgesucht werden. Du verstehst, was ich meine: man hat bisweilen die Leckereien satt und freut sich an grobem Brot und ranzigem Öl. Als ich dann heiratete, gab ich diese Gewohnheiten auf, aber jetzt hätte ich Lust, das Flottenbordell kennenzulernen, das du, wie man mir sagte, tadellos eingerichtet hast.«
Anicetus grinste liederlich, nickte verständnisvoll und erklärte: »Wir haben drei Häuser, das beste für die Dienstgrade, das zweite für die Mannschaft und das dritte für die Rudersklaven. Ob du mir’s glaubst oder nicht: ich bekomme manchmal Besuch von vornehmen Frauen aus Baiae, denen es anders keinen Spaß mehr macht und die eine Nacht in einem Bordell arbeiten wollen. Die älteren gehen am liebsten zu den Rudersklaven und übertreffen unsere erfahrensten Huren an Bereitwilligkeit. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit habe ich es so eingerichtet, daß die Neuen zuerst einmal die Dienstgrade bedienen, dann die Mannschaft und nach drei Jahren die Rudersklaven. Manche halten diesen anstrengenden Beruf zehn Jahre aus, aber ich möchte behaupten, daß im allgemeinen fünf Jahre reichen. Einige hängen sich natürlich schon vorher auf, ein gewisser Teil wird krank und untauglich, und andere fangen an zu saufen, daß sie zu nichts mehr zu gebrauchen sind. Wir bekommen aber ständig Nachschub aus Rom und anderen italienischen Städten. Die Flottenbordelle sind nämlich Strafanstalten für solche, die wegen unsittlichen Lebenswandels abgeurteilt werden, das heißt, weil sie einen Kunden bestohlen oder irgendeinem Grobian einen Weinkrug über den Schädel gehauen haben.«
»Was geschieht mit denen, die ihre Dienstzeit überleben?« fragte ich.
»Für die Ruderer ist so ein Weib noch lange gut genug«, antwortete Anicetus. »Sei unbesorgt. Keine verläßt meine Häuser lebend. Zuletzt finden sich immer gewisse Männer, die kein größeres Vergnügen kennen, als auf irgendeine viehische Art ein Weibsbild abzumurksen, und die können sich hier austoben. Meine Häuser haben ja unter anderem den Zweck, die anständigen Frauen und Mädchen der Umgebung vor den Seeleuten zu schützen. Ich habe da zum Beispiel einen Ehrenmann auf meiner Liste, der einmal im Monat Blut aus der Halsschlagader einer Frau saugen muß. Wegen dieser kleinen Schwäche ist er an die Ruderbank gekettet. Das spaßigste ist, daß er es hinterher immer bitter bereut und darum bittet, totgeschlagen zu werden.«
Ich glaubte nicht alles, was mir Anicetus erzählte. Er prahlte und wollte mich mit seiner Lasterhaftigkeit erschrecken, weil er im Innern ein schwacher, unzuverlässiger Mensch war. Außerdem1 hatte er von den Seeleuten das Flunkern gelernt.
Er führte mich zuerst zu einem kleinen runden Venustempel, von dem aus man das glitzernde Meer unter sich liegen sah und der, um alles unnötige Aufsehen zu vermeiden, durch einen unterirdischen Gang mit den Unterkünften der Seeleute verbunden war. Die ersten beiden Häuser, die mit einer Mauer umgeben waren, unterschieden sich in nichts von den sauberen, ordentlichen Lupanaren Roms. Sie hatten sogar fließendes Wasser. Das Haus für die Rudersklaven glich dagegen eher einem Gefängnis. Ich ertrug kaum den Anblick seiner Bewohnerinnen, so verkommen und vertiert waren sie.