Einer der Senatoren fragte, ob es unbedingt nötig gewesen sei, daß siebzigtausend römische Bürger und Bundesgenossen ermordet und zwei blühende Städte geplündert und niedergebrannt wurden, nur um Senecas Einkünfte zu schützen. Seneca errötete und versicherte, das Geld, das er den Briten geliehen hatte, sei dazu bestimmt, das Land zu zivilisieren und den Handel zu fördern. Dies könnten andere Senatoren bezeugen, die ihre Mittel für denselben Zweck zur Verfügung gestellt hätten. Wenn einige unzuverlässige Stammeskönige die Anleihen dazu verwendet hatten, in Saus und Braus zu leben und Waffen anzuschaffen, so sei dies nicht seine Schuld. Die Hauptursache des Krieges sei ohne Zweifel das willkürliche, politisch unkluge Verhalten der Legionen. Man müsse ihre Befehlshaber bestrafen und unverzüglich Entsatz nach Britannien schicken.
Der Senat dachte selbstverständlich nicht daran, Britannien aufzugeben, denn noch ist der alte Römerstolz nicht erloschen. Man beschloß zuletzt, neue Truppen zu entsenden. Einige ergrimmte Väter zwangen ihre erwachsenen Söhne sogar, sich das Haar schneiden zu lassen und als Kriegstribunen nach Britannien zu gehen. Sie nahmen ihre Zither mit, warfen sie aber in die Büsche, als sie die verheerten Städte sahen und das gellende Kriegsgeschrei der Briten hörten, und kämpften tapfer.
Ich habe meine besonderen Gründe, so viel über die Ereignisse in Britannien zu berichten, obwohl ich selbst in Rom blieb. Boadicea war die Königin der Icener. Als ihr Gatte starb, legten die römischen Beamten sein Testament dahingehend aus, daß sein Land römisches Erbland wurde. Das Testament war allerdings so abgefaßt, daß sogar wir selbst zu seiner Auslegung gelehrte Juristen benötigten. Als Boadicea gegen den Beschluß Einspruch erhob und geltend machte, daß sie nach altem britischem Recht als Frau erbberechtigt sei, wurde sie von Legionären ausgepeitscht und enteignet, und ihre beiden Töchter wurden geschändet. Die Legionäre verjagten überdies viele vornehme Icener von ihrem Besitz, mordeten und begingen zahllose andere Übeltaten.
Sie hatten das Recht auf ihrer Seite. Der König, der selbst des Lesens unkundig gewesen war, hatte tatsächlich ein Testament aufsetzen lassen, in dem er sein Land dem Kaiser vermachte. Er hatte geglaubt, dadurch die Stellung seiner Witwe und seiner Töchter gegenüber den eifersüchtigen icenischen Edlen zu sichern. Die Icener waren außerdem von Anfang an Bundesgenossen Roms gewesen, obwohl sie uns Römer nicht liebten.
Zur Entscheidungsschlacht kam es nach dem Eintreffen der Entsatztruppen. Die von der rachsüchtigen Königin geführten Briten wurden vernichtend geschlagen. Rom vergalt Gleiches mit Gleichem und rächte die Schandtaten, die die Icener auf Boadiceas Geheiß an römischen Frauen begangen hatten.
In Rom traf ein langer Zug britischer Sklaven ein, allerdings nur Frauen und halbwüchsige Knaben, denn erwachsene Briten taugen nicht zu Sklaven, und Nero hatte zur großen Enttäuschung des Volkes verboten, Kriegsgefangene im Amphitheater kämpfen zu lassen.
Eines Tages suchte mich ein Sklavenhändler auf, der einen etwa zehnjährigen Britenknaben an einem Strick mit sich führte. Er trat sehr geheimnisvoll auf, zwinkerte mir unablässig zu und verlangte, daß ich alle Zeugen fortschickte. Als dies geschehen war, klagte er eine Weile über die schlechten Zeiten, seine großen Ausgaben und den Mangel an willigen Käufern. Der Knabe sah sich unterdessen mit zornigen Blicken um. Endlich erklärte der Sklavenhändler: »Dieser junge Krieger versuchte mit dem Schwert in der Hand seine Mutter zu verteidigen, als unsere ergrimmten Legionäre sie schändeten und erschlugen. Aus Achtung vor seiner Tapferkeit ließen sie ihn am Leben und verkauften ihn mir. Wie du an seinen geradegewachsenen Gliedern, seiner zarten Haut und seinen grünen Augen siehst, ist er von edler icenischer Abstammung. Er kann reiten, schwimmen und mit dem Bogen schießen, und ob du es glaubst oder nicht: er kann sogar ein bißchen lesen und schreiben und ein paar Brocken Latein radebrechen. Man hat mir gesagt, du wirst ihn unbedingt kaufen wollen und mir mehr bieten, als ich auf dem Sklavenmarkt für ihn bekommen kann.«
Ich fragte erstaunt: »Wer konnte dir so etwas sagen? Ich habe schon genug Sklaven. Sie machen mir das Leben unerträglich und nehmen mir meine Freiheit, ganz zu schweigen von dem wahren Reichtum, der die Einsamkeit ist.«
»Ein gewisser Petro, ein icenischer Heilkundiger im römischen Dienst, erkannte den Knaben in Londinium wieder und nannte mir deinen Namen«, antwortete der Sklavenhändler. »Er versicherte mir, du werdest mir den besten Preis für ihn zahlen. Aber wer kann einem Briten trauen. Zeig dein Buch!«
Bei diesen Worten versetzte er dem Knaben einen Schlag auf den Kopf. Der junge Brite griff unter seinen Gürtel und zog ein zerfetztes, schmutziges ägyptisch-chaldäisches Traumbuch hervor. Ich erkannte es sofort wieder, als ich es in die Hand nahm, und begann am ganzen Leibe zu zittern.
»Hieß deine Mutter Lugunda?« fragte ich, obwohl ich es bereits wußte. Allein Petros Name bewies mir, daß ich meinen eigenen Sohn vor mir hatte. Ich wollte ihn in die Arme schließen und als meinen Sohn anerkennen, obgleich keine Zeugen anwesend waren, er aber schlug mit den Fäusten auf mich ein und biß mich in die Wange. Der Sklavenhändler griff nach seiner Peitsche.
»Schlage ihn nicht«, sagte ich rasch. »Ich kaufe ihn. Nenne mir deinen Preis.«
Der Sklavenhändler betrachtete mich abschätzend, redete wieder eine Weile von seinen Auslagen und Verlusten und meinte schließlich: »Um ihn loszuwerden, lasse ich ihn dir für nur hundert Goldstücke. Er ist ja noch ungezähmt.«
Zehntausend Sesterze waren eine wahnwitzige Summe für einen halbwüchsigen Knaben, denn auf dem Markt konnte man sogar eine fürs Bett taugliche junge Frau für wenige Goldstücke bekommen. Dennoch schreckte mich der hohe Preis nicht, und ich hätte nötigenfalls noch mehr bezahlt, aber ich mußte mich zuerst einmal setzen und nachdenken, während ich meinen Sohn betrachtete. Der Sklavenhändler legte mein Schweigen falsch aus. Er begann seine Ware anzupreisen und sagte, es fände sich mehr als ein Reicher in Rom, der die Sitten und Gewohnheiten des Ostens angenommen habe und für dessen Zwecke der Knabe gerade im besten Alter sei. Er ging jedoch mit seinem Preis herunter, zuerst auf neunzig und dann auf achtzig Goldstücke.
Ich dachte währenddessen nur darüber nach, wie ich den Kauf abschließen konnte, ohne daß mein Sohn zum Sklaven wurde. Ein rechtsgültiger Kauf mußte durch einen Gerichtsschreiber beurkundet werden, und ich mußte den Knaben mit meinem Besitzzeichen MM brandmarken, worauf er zwar freigelassen, aber niemals römischer Bürger werden konnte.
Zuletzt sagte ich: »Vielleicht könnte ich ihn zum Wagenlenker ausbilden lassen. Der Petro, den du genannt hast, war wirklich ein Freund von mir, als ich in Britannien als Kriegstribun diente. Ich verlasse mich auf seine Empfehlung. Könntest du mir nicht eine schriftliche Bestätigung geben, daß Petro als Vormund des Knaben dich beauftragt hat, diesen hierherzubringen, damit ich mich seiner annehme?«
Der Sklavenhändler zwinkerte mir listig zu und sagte: »Ich muß die Umsatzsteuer für ihn zahlen, nicht du. Billiger kann ich ihn dir wirklich nicht mehr geben.«
Ich kratzte mir den Kopf. Die Sache war verzwickt und konnte leicht den Anschein erwecken, als versuchten wir nur, die hohen Steuern zu umgehen, mit denen der Sklavenhandel belegt war. Aber als Schwiegersohn des Stadtpräfekten mußte es mir doch möglich sein, einen Ausweg zu finden.
Ich legte meine Toga an, und wir gingen alle drei zum Merkurtempel. Unter den vielen, die dort herumlungerten, entdeckte ich einen Bürger, der seinen Ritterrang verloren hatte und gegen angemessene Entschädigung bereit war, den nötigen zweiten Eideszeugen abzugeben. Wir konnten also eine Urkunde aufsetzen und durch doppelten Eid bekräftigen.