Выбрать главу

Ich goß Wein und Wasser in den Becher, und wir tranken, mein Sohn und ich. In dem dämmerigen Raum schien es mir, als würde der Becher nicht leerer, aber das war gewiß nur eine Sinnestäuschung, die von der schlechten Beleuchtung herrührte. Dennoch fühlte ich plötzlich große Zärtlichkeit, und ich erkannte wie durch Offenbarung, daß ich mit meinem Vater über Jucundus sprechen mußte.

Wir machten uns unverzüglich auf den Weg zu Tullias prachtvollem Haus auf dem Virinal. Jucundus benahm sich wirklich fromm wie ein Lamm und sah sich mit großen Augen um, denn solchen Prunk hatte er noch in keinem Haus gesehen. Der Senator Pudens, der Kephas aufgenommen hatte, wohnte eher ärmlich und altmodisch, und ich selbst hatte in meinem Haus auf dem Aventin, obwohl es schon viel zu eng geworden war, keine Änderungen vornehmen lassen, weil Tante Laelia den Lärm der Bauarbeiten nicht ertragen hätte.

Ich ließ Jucundus bei Tullia, schloß mich mit meinem Vater ein und erzählte ihm offen alles über meinen Sohn. Ich hatte meinen Vater schon lange nicht mehr aufgesucht. Tiefes Mitleid ergriff mich, als ich sah, wie kahl er geworden war. Er war nun schon über sechzig. Er hörte mich an, ohne ein Wort zu sagen und ohne mir auch nur ein einziges Mal in die Augen zu sehen.

Zuletzt sagte er: »Wie doch das Schicksal der Väter sich an den Söhnen wiederholt! Deine eigene Mutter war eine Griechin von den Inseln, die Mutter deines Sohnes eine Britin vom Stamm der Icener. Als ich jung war, wurde mein Name im Zusammenhang mit einem Giftmord und einer Testamentsfälschung genannt. Über dich habe ich so furchtbare Dinge gehört, daß ich sie nicht ganz glauben kann. Deine Ehe mit Sabina hat mir nie gefallen, mag ihr Vater auch Stadtpräfekt sein, und ich habe aus Gründen, die ich dir wohl nicht zu erklären brauche, kein Verlangen danach, mir den Sohn anzusehen, den sie dir geboren hat. Mit deinem britischen Sohn aber verhält es sich anders. Wie bist du nur auf den klugen Einfall gekommen, ihn von Kephas erziehen zu lassen? Ich kenne Kephas aus meinen Jahren in Galiläa. Er ist heute nicht mehr der Eiferer, der er damals war. Wie denkst du dir die Zukunft deines Sohnes?«

»Am liebsten möchte ich ihn in der Schule des Palatiums erziehen lassen, wo vorzügliche Rhetoren und Schüler Senecas die Söhne der Könige und Vornehmen unserer Bundesgenossen unterrichten«, erwiderte ich. »Dort würde sein schlechtes Latein nicht weiter auffallen, und er könnte nützliche Freundschaften mit Gleichaltrigen schließen, sobald Kephas ihn ein wenig gezähmt hat. Wenn Britannien einmal eine neue Verwaltung bekommt, wird man eine vom römischen Geist durchdrungene Führungsschicht brauchen, und Jucundus ist mütterlicherseits aus vornehmem icenischem Geschlecht. Aus gewissen Gründen darf ich aber Nero zur Zeit nicht unter die Augen treten, obwohl wir einmal Freunde waren.«

Mein Vater sagte nach langem Nachdenken: »Ich bin Senator und habe mir von Nero noch nie eine Gunst erbeten. Ich habe sogar bei den Senatssitzungen den Mund zu halten gelernt, was allerdings eher Tullias Verdienst ist als mein eigenes, denn in all den Jahren unseres Zusammenlebens habe ich ihr immer das letzte Wort gelassen. In Britannien herrscht zur Zeit ein vollkommenes Durcheinander, und die Archive sind zum größten Teil zerstört. Ein geschickter Jurist wird daher leicht Unterlagen herbeischaffen können, die beweisen, daß Jucundus’ Eltern auf Grund ihrer Verdienste römische Bürger waren. Das kommt der Wahrheit sogar recht nahe, da du mit seiner Mutter nach britischer Sitte die Ehe geschlossen hast. Deiner eigenen Mutter hat man ja sogar in der Stadt Myrina eine Statue errichtet, und sobald Comulodunum wiederaufgebaut ist, kannst du im Claudiustempel eine Statue deiner Lugunda aufstellen lassen. Das bist du der Mutter deines Sohnes schuldig.« Das Unglaublichste war, daß sich Tullia während unseres langen Gesprächs in Jucundus vergafft hatte und sich vor Zärtlichkeit und Entzücken nicht zu fassen wußte. Ihre üppige Schönheit begann zu verwelken, und aus ihrem rundlichen Doppelkinn war ein runzliger Beutel geworden. Als sie von dem traurigen Schicksal seiner Eltern erfuhr, brach sie in Tränen aus, schloß Jucundus in die Arme und rief: »An seinem Mund, seiner Nase, seinen Brauen, ja sogar an seinen Ohren sehe ich, daß er aus edlem Geschlecht stammt. Seine Eltern müssen alle Tugenden besessen haben, nur am Verstand hat es ihnen offenbar gefehlt, sonst hätten sie nicht einen Mann wie Minutus zu seinem Vormund gemacht. Glaubt mir. Ich kann auf den ersten Blick Gold von Messing unterscheiden.«

Jucundus ertrug ihre Küsse und Liebkosungen geduldig wie ein Opferlamm. Die Erziehung durch Kephas begann schon Früchte zu tragen. Tullia fuhr wehmütig fort: »Die Götter haben mir nie ein eigenes Kind gegönnt. In meiner Jugend, während meiner ersten beiden Ehen, hatte ich nichts als Fehlgeburten. Mein dritter Mann, Valerius, war seines hohen Alters wegen unfruchtbar, wenn sonst auch reich, und Marcus vergeudete seinen Samen in den Schoß eines griechischen Freudenmädchens. Doch genug davon, ich will deine Mutter nicht beleidigen, lieber Minutus. Aber daß dieser kleine Brite in unser Haus gekommen ist, darin sehe ich ein Zeichen. Marcus, rette den schönen Jucundus aus den Händen deines Sohnes. Sabina ist imstande und macht noch einen Tierbändiger aus ihm. Könnten wir ihn nicht adoptieren und wie unser eigenes Kind aufziehen?«

Ich war vor Verwunderung wie gelähmt, und mein Vater wußte zuerst nicht, was er sagen sollte. Wenn ich heute über dieses Geschehnis nachdenke, weiß ich mir keine andere Erklärung als die, daß dem Holzbecher meiner Mutter irgendeine übernatürliche Kraft innewohnte.

Wie dem auch war, ich wurde auf diese Weise von einer drückenden Pflicht befreit, denn ich taugte damals kaum dazu, jemanden zu erziehen. Ich tauge auch heute noch nicht dazu. Diese bittere Erkenntnis verdanke ich Dir, Julius. Ich hatte aus mancherlei Gründen einen schlechten Ruf, während man meinen Vater allgemein für einen gutmütigen Dummkopf ansah. Er hatte keinen Ehrgeiz, und niemand vermochte sich vorzustellen, daß er sich mit Absicht und Bedacht in politische Intrigen einmischen könnte.

Als Sachverständiger für orientalische Angelegenheiten hatte er der Form halber zwei Monate lang eine Prätur innegehabt, und einmal war er aus reinem Wohlwollen sogar zum Konsul vorgeschlagen worden. Als sein Adoptivsohn hatte Jucundus unvergleichlich bessere Zukunftsaussichten, und als Sohn eines Senators konnte er sich gleich unter den ersten Namen in die Ritterrolle einschreiben lassen, sobald er die Toga anlegte.

Kurz nachdem ich diese Sorge losgeworden war, erfuhr ich, daß der Prätorianerpräfekt Burrus mit einem Halsgeschwür auf den Tod darniederlag. Nero schickte ihm seinen eigenen Leibarzt. Als Burrus dies erfuhr, schrieb er sein Testament und sandte es zur Verwahrung in den Vestatempel.

Erst dann erlaubte er dem Arzt, ihm mit einer Feder, die in eine unfehlbare Arznei getaucht worden war, den Hals zu pinseln. Schon in der nächsten Nacht war er endgültig tot. Er wäre wahrscheinlich auf jeden Fall gestorben, denn die Blutvergiftung hatte sich schon ausgebreitet, und er hatte bereits im Fieber irrezureden begonnen.

Man begrub Burrus unter großen Ehrenbezeigungen. Bevor der Scheiterhaufen auf dem Marsfeld angezündet wurde, ernannte Nero Tigellinus zum Präfekten der Prätorianer. Dieser ehemalige Pferdehändler brauchte keine juristischen Erfahrungen. Mit der Behandlung von Streitsachen zwischen römischen Bürgern und Ausländern wurde ein gewisser Fenius Rufus betraut, ein Mann jüdischer Abstammung, der ehedem in seiner Eigenschaft als staatlicher Aufseher über den Getreidehandel weit gereist war.

Ich ging auf der Suche nach einem Geschenk, das ich für wertvoll genug halten durfte, durch die ganze Straße der Goldschmiede und entschied mich zuletzt für eine mehrfach geschlungene Halskette aus erlesenen Perlen. Diese sandte ich mit folgendem Brief an Poppaea:

»Minutus Lausus Manilianus grüßt Poppaea Sabina.