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Aus Neugier fragte ich ihn, warum die Prätorianer ihn als Zauberer betrachteten. Er erzählte eine lange Geschichte von einem Schiffbruch, den er und seine Reisebegleiter auf der Fahrt nach Rom erlitten hatten. Wenn er müde wurde, übernahm der Arzt Lucas das Wort. Paulus versicherte mir, die Anklage wegen Tempelschändung sei falsch oder unbegründet oder beruhe zumindest auf einem Mißverständnis. Der Prokurator Felix würde ihn ohne Zögern freigelassen haben, wenn er, Paulus, bereit gewesen wäre, genug zu zahlen.

Von den Römern wußte er nur Gutes zu sagen, denn dadurch, daß sie ihn gebunden von Jerusalem nach Caesarea führten, retteten sie ihm das Leben. Vierzig glaubenseifrige Juden hatten nämlich geschworen, weder zu essen noch zu trinken, ehe sie ihn nicht getötet hätten. Sie dürften jedoch kaum wirklich verhungert sein, meinte Paulus lächelnd und ohne Groll. Er war außerdem seinen Bewachern dankbar, denn er fürchtete, die rechtgläubigen Juden Roms würden ihn sonst ermorden.

Ich versicherte ihm, daß seine Furcht grundlos war. Unter Claudius waren die Juden streng genug verwarnt worden, und sie enthielten sich deshalb innerhalb der Mauern aller Gewalttaten gegen Christen. Auch hatte Kephas einen beruhigenden Einfluß ausgeübt und bewirkt, daß die Christen sich den Juden fernhielten. Meiner Ansicht nach war dies um so leichter gegangen, als die Anhänger des Jesus von Nazareth, deren Zahl sich dank Kephas beträchtlich vermehrt hatte, nunmehr nur noch in den seltensten Fällen beschnittene Juden waren.

Sowohl der Arzt Lucas als auch Paulus machte eine saure Miene, als ich den Namen Kephas erwähnte. Kephas hatte dem Gefangenen große Freundlichkeit erwiesen und ihm seinen besten Jünger, den griechischen Dolmetsch Marcus, zur Verfügung gestellt. Paulus aber hatte dieses Vertrauen offenkundig mißbraucht und Marcus in seinen eigenen Angelegenheiten auf lange Reisen geschickt, mit Briefen an die Gemeinden, die er gegründet hatte und für sich behalten wollte wie ein Löwe seine Beute. Deshalb wohl sah es Kephas nicht mehr gerne, wenn Christen aus seiner eigenen Herde zu Paulus gingen und dessen dunklen Reden lauschten.

Der Arzt Lucas erzählte mir, daß er zwei Jahre lang in Galiläa und Judäa umhergereist war, um aus dem Munde von Menschen, die ihn selbst gesehen und gehört hatten, alles über das Leben, die Wundertaten und die Lehre jenes Jesus von Nazareth zu erfahren. Er hatte alles genau in aramäischer Sprache aufgezeichnet und dachte nun ernstlich daran, einen eigenen Bericht in griechischer Sprache zu schreiben, um zu beweisen, daß Paulus alles ebensogut wußte wie Kephas. Ein vermögender Grieche namens Theophilus, der von Paulus bekehrt worden war, hatte schon versprochen, das Buch zu verlegen.

Ich vermutete, daß sie reiche Gaben von den Christengemeinden in Korinth und Asia erhielten, über denen Paulus eifersüchtig wachte, damit sie weder mit den rechtgläubigen Juden noch mit den anderen Parteien unter den Christen in Berührung kamen. Er verbrachte die meiste Zeit damit, ihnen Ermahnungen zu schreiben, denn in Rom hatte er nicht viele Anhänger.

Meine Ahnungen sagten mir, daß er nach seiner Freilassung am liebsten in Rom geblieben wäre. Aber ich wußte, daß es überall, wo er erschien. Streit gab. Wenn ich ihn freibekam, was zu erwarten war, zog ich selbst mir den Zorn der Juden zu, und wenn er wirklich in der Stadt blieb, kriegten sich über kurz oder lang die Christen wieder in die Haare. Deshalb sagte ich nun vorsichtig: »Für zwei Hähne ist nicht Platz auf demselben Misthaufen. Um deines eigenen Friedens und des meinen willen würdest du gut daran tun, Rom sofort nach deinem Freispruch zu verlassen.«

Paulus blickte finster vor sich hin, meinte dann aber, Christus habe ihn zu einem ewigen Wanderer gemacht, der an keinem Ort lange verweilen dürfe. Daher sei für ihn die Gefangenschaft eine harte Prüfung gewesen. Er habe den Auftrag erhalten, alle Menschen zu Anhängern Christi zu bekehren, und wolle demnächst in die Provinz Baetica in Iberien reisen. Dort gebe es mehrere Hafenstädte, die von Griechen gegründet worden seien und in denen noch hauptsächlich Griechisch gesprochen werde. Ich legte ihm aus ganzer Überzeugung nahe, womöglich bis nach Britannien zu reisen.

Trotz meiner Ermahnungen und wohlgemeinten Ratschlägen konnte Paulus natürlich nicht den Mund halten, als er im Prätorium vor Nero geführt wurde. Nero war bei guter Laune und rief, sobald er ihn sah: »Der Gefangene ist Jude! Da muß ich ihn freilassen, sonst ist Poppaea mir böse, Sie ist nun im letzten Monat, und sie achtet den Gott der Juden höher als je zuvor.«

Er ließ die Wasseruhr einstellen, um die Länge der Verteidigungsrede zu messen, und vertiefte sich in die Akten der folgenden Prozesse. Paulus pries sich glücklich, Gelegenheit zu erhalten, sich von allen Beschuldigungen reinzuwaschen, und bat Nero, ihn geduldig anzuhören, da ihm die Sitten und die Glaubenslehre der Juden vielleicht doch nicht gut genug bekannt seien. Er begann mit Moses, erzählte sein eigenes Leben und berichtete, wie Jesus von Nazareth sich ihm geoffenbart habe.

Ich schob Nero ein persönliches Gutachten zu, das der Prokurator Festus den Akten beigelegt hatte und in dem er erklärte, er selbst betrachte Paulus als einen harmlosen Toren, dem allzuviel Gelehrsamkeit den Verstand verwirrt hatte. Auch König Herodes Agrippa, der sich in den Glaubensfragen der Juden am besten auskannte, hatte, nachdem er ihn ins Verhör genommen, vorgeschlagen, man solle Paulus auf freien Fuß setzen. Nero nickte und tat, als hörte er aufmerksam zu, obwohl er, wie ich glaube, nicht ein einziges Wort verstand. Paulus konnte gerade noch sagen: »Darum mußte ich den himmlischen Gesichten gehorchen. Ach, daß auch dir die Augen geöffnet würden und du dich von der Finsternis zum Licht wendetest und von der Gewalt Satans zu Gott! Wenn du an Jesus von Nazareth glaubtest, würdest du Vergebung deiner Sünden und ein Erbteil unter den Heiligen erhalten.«

Dann aber klirrte die Wasseruhr, und Paulus mußte schweigen. Nero sagte mit Nachdruck: »Ich verlange nicht von dir, daß du meiner in deinem Testament gedenkst. Ich bin nicht auf das Erbe anderer aus. Das ist nichts als üble Verleumdung, und das kannst du den anderen Juden sagen. Du erweist mir aber einen großen Dienst, wenn du für meine Gemahlin Poppaea Sabina zu deinem Gott betest. Die arme Frau scheint sehr fromm auf den Gott zu vertrauen, von dem du mir gerade sehr überzeugend berichtet hast.«

Er befahl, Paulus von seinen Ketten zu befreien und diese zum Zeichen seines Wohlwollens gegenüber dem Glauben der Juden als Weihgabe dem Tempel zu Jerusalem zu schicken. Ich nehme an, die Juden hatten keine große Freude daran. Die Kosten des Prozesses mußte Paulus selbst bezahlen, da er ja die Berufungsklage eingebracht hatte.

Wir erledigten in wenigen Tagen eine große Anzahl von Prozessen. Die meisten Urteile waren Freisprüche, und es wurden nur solche Prozesse aufgeschoben, bei denen es Tigellinus aus wirtschaftlichen Gründen vorteilhaft erschien, zu warten, bis die Beklagten an Altersschwäche starben, ehe sein Urteil gefällt wurde. Zwei Monate später war ich meines Amtes wieder ledig, mein Fleiß und meine Unbestechlichkeit wurden öffentlich gelobt, und man verleumdete mich nicht mehr so viel wie vorher.

Der Prozeß des Paulus war eine ganz und gar belanglose Angelegenheit. Geschichtlich bedeutsam war dagegen die Verhandlung, die auf die Ermordung des Pedanus Secundus folgte. Wie ich schon berichtete, setzte Nero in seinem Zorn meinen Schwiegervater ab und ernannte an seiner Stelle Pedanus zum Stadtpräfekten. Nur wenige Monate später wurde dieser von einem seiner eigenen Sklaven im Bett erstochen. Der wahre Grund für diesen Mord wurde nie erforscht, aber ich kann aufrichtig versichern, daß zumindest meiner Meinung nach mein Schwiegervater nichts mit dieser Sache zu tun hatte.

Unser altes Gesetz schreibt vor, daß, wenn ein Sklave seinen Herrn ermordet, alle Sklaven unter demselben Dach das Leben verlieren müssen. Es ist ein notwendiges Gesetz, das sich auf lange Erfahrung gründet und der allgemeinen Sicherheit dient. Nun hatte aber Pedanus über fünfhundert Sklaven in seinem Haus, und das Volk versammelte sich und wollte verhindern, daß sie zur Hinrichtung geführt wurden. Der Senat mußte in aller Eile zusammengerufen werden, und wie weit unsere Sitten schon verfallen sind, ersieht man daraus, daß mehrere Senatoren allen Ernstes zu behaupten wagten, das Gesetz dürfe in diesem Fall nicht angewandt werden. Einige Freunde Senecas erklärten in aller Öffentlichkeit, ein Sklave sei ein Mensch, und es gehe nicht an, Unschuldige zusammen mit den Schuldigen zu bestrafen. Der Senator Pudens und mein Vater ergriffen ebenfalls das Wort und widersetzten sich einer solchen Grausamkeit. Man fand sogar eine Entschuldigung für den Sklaven, der sich angeblich nur für erlittenes Unrecht gerächt hatte.