Das Neugeborene erhielt den Namen Claudia und dazu gleich den Ehrentitel Augusta. Beim Wein kam irgendein Schwachkopf auf den Einfall, Poppaea Sabina auf die gleiche Weise zu ehren, und da Nero selbst zugegen war, wagte keiner zu widersprechen. Poppaea Sabina sandte einige heilige Gegenstände aus Gold als Dankesgabe an den Tempel zu Jerusalem, und ihr jüdischer Arzt wurde zum römischen Bürger gemacht.
Ich für mein Teil hatte mich beizeiten vorbereitet, und wir führten während dieser Freudentage in dem hölzernen Theater so prächtige Tierkämpfe vor, daß wir, wie ich in aller Unbescheidenheit selbst sagen muß, wenigstens dieses eine Mal die Wagenrennen im großen Zirkus in der Gunst des Volkes ausstachen. Die Vestalinnen ehrten meine Vorführung durch ihre Anwesenheit, und man versicherte mir, es sei mir gelungen, die Tierdressur zur schönen Kunst zu erheben.
Sabina fuhr als Amazone gekleidet in einem goldenen, von vier Löwen gezogenen Wagen um die Arena und nahm den brausenden Beifall entgegen. Es war mir unter großen Schwierigkeiten gelungen, haarige Riesenaffen als Ersatz für die beiden an Schwindsucht eingegangenen aus Afrika herbeizuschaffen. Sie waren ganz klein im Tiergarten angekommen und von gelbhäutigen Zwergen gefüttert und aufgezogen worden, die im dunkelsten Afrika mit den großen Affen zusammenleben.
Diese Affen verstanden es, Steine und Knüppel als Waffen zu gebrauchen, wenn sie miteinander kämpften, und den gelehrigsten hatten wir als Gladiator verkleidet. Ein Teil der Zuschauer glaubte, sie seien Menschen und nicht Tiere. Es gab deshalb einen Streit und schließlich eine Schlägerei, bei der ein Bürger getötet wurde und einige Dutzend mehr Verletzungen davontrugen. Eine geglücktere Vorstellung hätte man sich nicht wünschen können.
Ich wurde endlich für alle meine Auslagen und Verluste entschädigt. Seneca, der so geizig über die Staatskasse gewacht hatte, war nicht mehr da. Nero verstand nichts vom Geldwesen und begriff den Unterschied zwischen der Staatskasse und der kaiserlichen Privatkasse noch immer nicht ganz. Ich stellte daher meine Forderungen an beide und legte das Geld, das ich erhielt, mit Hilfe meiner Freigelassenen in Mietshäusern in Rom und Ländereien bei Caere an.
Neros Vaterglück war jedoch nicht von langer Dauer. Der Herbst war regnerisch. Der Tiber schwoll beunruhigend an, und mit den giftigen Dünsten verbreitete sich in der Stadt eine Halskrankheit, die für Erwachsene nicht lebensgefährlich war, aber zahllose Kinder im zarten Alter hinraffte.
Auch Nero erkrankte. Er wurde so heiser, daß er nicht ein Wort hervorbrachte und schon fürchtete, seine Singstimme für alle Zeit verloren zu haben. In allen Tempeln wurden, vom Staat und von einzelnen Bürgern, Versöhnungsopfer für seine Stimme dargebracht. Doch kaum begann er zu genesen, da erkrankte seine Tochter und starb trotz den Anstrengungen der Ärzte und den Gebeten der Juden innerhalb weniger Tage. Poppaea war von den Nachtwachen und vor Kummer wie von Sinnen und machte Nero heftige Vorwürfe, weil er trotz seinem kranken Hals nicht davon abgelassen hatte, das Kind zu umarmen und zu küssen.
Nero dagegen kam zu der abergläubischen Auffassung, die öffentlichen und privaten Opfer hätten nicht ausgereicht, die Götter zu besänftigen und seine Stimme zu retten, und die Götter hätten auch noch seine Tochter gefordert. Dies bestärkte ihn in der Überzeugung, daß er ausersehen sei, der größte Künstler seiner Zeit zu werden, und linderte seinen Kummer.
Der Senat verlieh Claudia Augusta göttlichen Rang, ließ sie wie eine Göttin bestatten und einen Tempel für sie errichten und ernannte ein eigenes Priesterkollegium. Nero war insgeheim überzeugt, daß in dem neuen Tempel in Wirklichkeit seine Stimme verehrt wurde, die von den Opfern immer besser werden mußte.
Daher erhielt das neue Priesterkollegium neben den öffentlichen Opfern noch ein besonderes, geheimes Ritual aufgetragen, das keinem Außenstehenden enthüllt werden durfte. Und wirklich wurde Neros Stimme, ganz wie nach Agrippinas Tod, kräftiger. Sie klang wie Erz und süß wie Honig zugleich, so daß die Zuhörer tiefinnerlich erzitterten. In mir rührte sich allerdings nichts. Ich gebe nur wieder, was sachkundigere Beurteiler ihm versicherten.
Nero nahm zu, seine Wangen wurden feist, er mästete sich, denn man hatte ihm gesagt, ein guter Sänger müsse reichlich Fleisch auf den Knochen haben, um die Anstrengungen des Singens zu ertragen. Und Poppaea war es lieber, er vertrieb sich die Zeit mit Gesangsübungen, als daß er wieder in sein Luderleben zurückfiel.
Nach dem Tod seiner Tochter widmete sich Nero den ganzen Winter der Ausbildung seiner Stimme, und das in dem Maße, daß er die Staatsgeschäfte als eine überflüssige Sorge ansah. Er versäumte die Versammlungen des Senats, weil er fürchtete, er könnte sich auf dem eiskalten Boden der Kurie erkälten. Wenn er wirklich einmal kam, wie üblich zu Fuß, hatte er die Füße mit Wolle umwickelt. Er erhob sich auch von seinem Platz, wenn ein Konsul ihn anredete. Sobald er aber das erstemal niesen mußte, entfernte er sich eilig und überließ es dem zuständigen Senatsausschuß, die wichtigsten Angelegenheiten zu entscheiden.
Während des Winters, kurz vor dem Saturnalienfest, wollte Claudia mich einmal dringend sprechen, um, wie sie mir sagen ließ, unter vier Augen etwas Wichtiges mit mir zu erörtern. Als ich meine täglichen Geschäfte mit meinen Klienten und Freigelassenen erledigt hatte, ließ ich sie rufen, fürchtete jedoch, sie werde wieder davon anfangen, daß ich mich bessern und die Taufe der Christen annehmen müsse.
Aber Claudia rang die Hände und sagte klagend: »Ach Minutus, ich bin eine Beute meiner widerstrebenden Gefühle, und es zieht mich bald hierhin, bald dorthin. Ich habe etwas getan, was ich dir bisher noch nicht zu sagen wagte. Doch sieh mich erst einmal an. Findest du nicht, daß ich mich verändert habe?«
Sie war mir wegen ihrer unaufhörlichen Nörgelei und ihrer christlichen Neunmalklugheit seit langem so widerwärtig gewesen, daß ich sie nie hatte ansehen mögen. Nun besänftigte mich aber ihre Demut, ich betrachtete sie näher und bemerkte zu meiner Verblüffung, daß die Sonnenbräune der Sklavin aus ihrem Gesicht verschwunden war. Sie war schön gekleidet und hatte sich das Haar nach der neuesten griechischen Mode gelegt.
Ich schlug die Hände zusammen und rief aufrichtig und ohne ihr schmeicheln zu wollen: »Du siehst aus wie die vornehmste Römerin. Ich glaube gar, du wäschst dein Gesicht heimlich mit Eselsmilch!«
Claudia errötete bis zum Hals und sagte rasch: »Nicht aus Eitelkeit pflege ich mich, sondern weil du mir deinen großen Haushalt anvertraut hast. Bescheidenheit und ein schlichter Sinn sind die schönste Zierde einer Frau, aber nicht in den Augen deiner Klienten und der Fleischhändler in den Markthallen. Ich meinte jedoch etwas anderes: entdeckst du in meinem Gesicht nicht eine gewisse Ähnlichkeit mit Kaiser Claudius?«
Ich beruhigte sie: »Nein, ganz gewiß nicht. Sei ohne Sorge. Der alte Claudius brauchte sich auf sein Aussehen nichts einzubilden. Du aber bist eine schöne, reife Frau, vor allem da du dir nun, wie ich sehe, die dichten Brauen auszupfst.«
Claudia war offenbar enttäuscht. »Du irrst dich ganz bestimmt«, sagte sie verdrossen. »Tante Paulina und ich haben in aller Heimlichkeit meine Halbschwester Antonia besucht, die uns in ihrer Einsamkeit dauert. Claudius ließ ihren ersten Gatten ermorden und Nero den zweiten. Daher wagt, seit sie aus Massilia zurückgekehrt ist, niemand mit ihr Umgang zu haben. Ihre Leiden haben sie gelehrt, die Dinge anders zu betrachten als zuvor. Sie bot uns Honigwein und Obsttorten an und schenkte mir ein goldenes Haarnetz. Wie die Dinge nun stehen, wäre sie vielleicht bereit, mich öffentlich als ihre Schwester anzuerkennen. Von den echten Claudiern sind nur noch sie und ich übrig.« Ich erschrak, als ich erkannte, wie sehr sie sich in ihrem weiblichen Ehrgeiz an eitle Einbildungen klammerte.
»Hast du vergessen, daß dich Agrippina auf die bloße Andeutung deiner Herkunft hin durch falsche Zeugenaussagen in Schande und Unglück stürzte?« rief ich. »Als Adoptivsohn des Claudius wird Nero kaum erfreut sein, wenn er erfährt, daß er noch eine Schwester hat!«