»Ich habe Antonia natürlich nicht gesagt, was mir widerfahren ist«, sagte Claudia verärgert. »Ich gab ihr zu verstehen, ich hätte mich aus Furcht vor Agrippina auf dem Lande versteckt, und das ist zum Teil sogar wahr. Meine bösen Erinnerungen waren wie durch Gnade ausgelöscht, sobald ich es über mich brachte, Agrippina in meinem Herzen zu verzeihen. Ich habe, wie du dich vielleicht erinnern wirst, im Sklavinnenkleid und mit geschorenen Haaren und Augenbrauen Buße getan und fühle mich rein und frei von der Sünde, an der ich nicht selbst schuld war.«
Sie sah mich mit seltsam glänzenden Augen an, seufzte so schwer, daß sich ihr fülliger Busen hob, und ergriff mit beiden Händen eine der meinen, als ich erschrocken zurückwich.
»Wie soll ich das alles verstehen, unglückliche Claudia?« fragte ich.
»Minutus«, sagte sie. »Du weißt wohl selbst, daß du nicht so weiterleben kannst. Deine Ehe mit Sabina ist keine richtige Ehe. Du bist dumm und scheinst das noch nicht begriffen zu haben. Ganz Rom lacht darüber. In deiner Jugend gabst du mir ein gewisses Versprechen. Nun bist du ein erwachsener Mann, und der Altersunterschied zwischen uns beiden ist nicht mehr so groß wie damals, ja man bemerkt ihn kaum noch. Minutus, du mußt dich um deines eigenen Ansehens willen von Sabina scheiden lassen.«
Ich fühlte mich wie ein Tier, das man in eine Ecke seines Käfigs drängt und mit glühenden Stangen bändigt. »Das kann nicht dein Ernst sein«, sagte ich. »Der Aberglaube der Christen hat deine Sinne verwirrt, was ich schon seit langem befürchte.«
Claudia starrte mich unverwandt an und sagte klagend: »Ein Christ muß die Unzucht meiden. Aber Jesus von Nazareth soll gesagt haben, wer eine Frau mit begehrlichen Blicken betrachtet, der treibt in seinem Herzen schon Hurerei mit ihr. Ich habe es unlängst erst gehört, und ich weiß, daß dieses Wort auch für eine Frau gilt. Deshalb ist mir das Leben unerträglich, denn ich sehe dich jeden Tag und fühle ein heißes Begehren in meinem Herzen. In den Nächten werfe ich mich ruhelos in meinem Bett hin und her und beiße vor Sehnsucht in mein Kissen.«
Ich fühlte mich unwillkürlich geschmeichelt und betrachtete sie mit anderen Augen. »Warum hast du mir das nicht früher gesagt?« fragte ich. »Ich hätte ja aus reiner Barmherzigkeit die eine oder andere Nacht zu dir kommen können! Mir selbst ist es nie eingefallen, weil du immerzu mit mir gestritten hast.«
Claudia schüttelte heftig den Kopf: »Deine Barmherzigkeit brauche ich nicht. Ich würde eine große Sünde begehen, wenn ich ohne das Band der Ehe in dein Bett käme. Daß du mir so etwas vorschlägst, zeigt mir, wie verhärtet dein Herz ist und wie niedrig du mich einschätzt.«
Mein Taktgefühl verbot mir, sie daran zu erinnern, wie tief gesunken sie war, als ich sie wiederfand. Ihre Absichten waren so wahnwitzig, daß ich vor Schreck verstummte. Aber Claudia fuhr fort: »Antonia könnte vor den Vestalinnen den heiligsten Eid schwören, daß ich eine Tochter des Claudius bin und vom selben Blute wie sie. Sie wäre wahrscheinlich auch dazu bereit, und sei es nur, um Nero zu ärgern. Eine Ehe mit mir wäre dann für dich nicht ohne Vorteil. Wenn wir ein Kind hätten, wüßten die Vestalinnen von seiner hohen Geburt, und wenn sich einmal die Verhältnisse ändern, könnte dein und mein Sohn zu den höchsten Ämtern Roms aufsteigen. Antonia ist sehr unglücklich darüber, daß ihre beiden Ehen kinderlos geblieben sind.«
Ich konnte mich nicht mehr beherrschen und schrie: »Wie sollte ein verdorrter Baum frische Sprosse treiben! Denk doch, was du gewesen bist!«
»Ich bin eine Frau!« rief Claudia tief gekränkt. »Mein Leib beweist es mir jeden Monat. Ich habe dir gesagt, daß ich von meiner Vergangenheit gereinigt bin. Du kannst dich selbst davon überzeugen, wenn du willst.«
Als ich aus dem Raum zu fliehen versuchte, vertrat sie mir den Weg. Wir begannen miteinander zu ringen, und plötzlich hielt ich sie in meinen Armen. Alte Wunden jucken, und ich war lange bei keiner Frau gelegen. Ehe wir noch wußten, wie uns geschah, küßten wir uns leidenschaftlich, und Claudia verlor alle Beherrschung. Später weinte sie zwar bitter, aber sie hielt mich fest umschlungen und sagte: »Mein unzüchtiges Benehmen beweist am besten, daß ich die Tochter des lasterhaften Claudius bin. Da du mich aber zur Sünde verleitet hast, mußt du es auch wiedergutmachen. Wenn du ein Mann bist, gehst du zu Sabina und sprichst mit ihr über die Scheidung.«
»Ich habe aber einen Sohn mit ihr«, wandte ich ein. »Die Flavier würden es mir nie verzeihen. Und Sabinas Vater ist Stadtpräfekt. Ich würde meine Stellung verlieren.«
»Ich will Sabina ja nicht verleugnen«, sagte Claudia mit unschuldsvoller Miene. »Es gibt aber einige Christen unter den Angestellten des Tiergartens, und die haben mir von Sabinas sittenlosem Lebenswandel einiges berichtet.«
Ich mußte lachen. »Sabina ist eine kalte, geschlechtslose Frau«, sagte ich voll Verachtung. »Das muß ich selbst wohl am besten wissen. Nein, ich finde keinen stichhaltigen Scheidungsgrund, denn sie hat nicht einmal etwas dagegen, daß ich meine Gelüste an anderen Frauen befriedige. Vor allem aber, das weiß ich genau, wird sie sich nie von den Löwen trennen wollen. Die sind ihr lieber als ich.«
»Was hindert sie daran, im Tiergarten zu bleiben?« wandte Claudia sehr vernünftig ein. »Sie hat dort ihr eigenes Haus, das du ohnehin nur noch selten aufsuchst. Ihr könnt ja auch nach der Scheidung noch gute Freunde sein. Sag ihr, du weißt alles und willst dich ohne großes Aufsehen von ihr scheiden lassen. Der Kleine kann ja deinen Namen behalten, da du ihn nun einmal in deiner Leichtgläubigkeit und Einfalt auf deine Knie gesetzt hast und dies nicht mehr widerrufen werden kann.«
»Willst du etwa andeuten, Lausus sei nicht mein Sohn?« fragte ich verwundert. »Daß du so boshaft bist, hätte ich nicht gedacht. Wo bleibt da deine christliche Nächstenliebe?«
Claudia geriet außer sich und schrie: »Es gibt nicht einen Menschen in ganz Rom, der nicht wüßte, daß er nicht dein Sohn ist. Sabina hat es mit Tierbändigern und Sklaven und bestimmt auch mit den Affen getrieben. Nero lacht über dich hinter deinem Rücken, von deinen anderen schönen Freunden ganz zu schweigen.«
Ich hob meine Toga vom Boden auf, schlang sie um mich und ordnete den Faltenwurf, so gut ich es mit meinen vor Zorn zitternden Händen vermochte.
»Nur um dir zu beweisen, was dein niederträchtiges Geschwätz wert ist, gehe ich jetzt zu Sabina und rede mit ihr!« rief ich. »Dann komme ich zurück und lasse dich vor meinen Genien auspeitschen, weil du eine untaugliche Beschließerin und ein gift spritzendes Lästermaul bist. Danach kannst du in den Lumpen, in denen du gekommen bist, zu deinen Christen gehen.«
Ich rannte wie von den Furien gehetzt mit flatternder Toga geradewegs in den Tiergarten, so daß ich weder das Gedränge auf den Straßen bemerkte noch die Grüße erwiderte, die mir allenthalben entboten wurden. Ich ließ mich nicht einmal, wie es die gute Sitte erfordert hätte, bei meiner Gattin anmelden, sondern stürzte in ihr Zimmer, ohne der Sklaven zu achten, die mich aufzuhalten versuchten.
Sabina machte sich aus Epaphroditus’ Armen frei, fuhr rasend wie eine verwundete Löwin auf mich los und schrie mit flammendem Blick: »Wie führst du dich auf, Minutus! Hast du den letzten Rest Vernunft verloren? Wie du sahst, war ich gerade dabei, Epaphroditus mit der Zungenspitze ein Staubkorn aus dem Auge zu nehmen. Er ist halb erblindet und kann sich nicht einmal mehr um die Löwen kümmern, die wir unlängst aus Numidien bekommen haben.«
Ich schrie zurück: »Schweig! Ich habe mit eigenen Augen gesehen, daß vielmehr er gerade dabei war, nach einer gewissen Stelle an dir zu suchen. Reicht mir mein Schwert, daß ich diesen schamlosen Sklaven erschlage, der in mein Ehebett spuckt!«
Sabina verhüllte ihre Nacktheit, befahl den erschrockenen Sklaven, sich zu entfernen, und schloß die Tür. »Du weißt, daß wir immer so leicht gekleidet wie nur möglich üben«, sagte sie. »Wehende Kleider reizen die Löwen nur. Du hast dich geirrt. Bitte Epaphroditus sofort um Vergebung dafür, daß du ihn beleidigt und einen Sklaven genannt hast. Er hat längst den Freilassungsstab erhalten und für seine Verdienste im Amphitheater das römische Bürgerrecht aus Neros eigener Hand.«