Als ich bei passender Gelegenheit für mein eigen Teil seinen glänzenden Erfolg rühmte, fragte mich Nero: »Glaubst du nicht, daß ich mir, wenn ich nicht Kaiser wäre, an jedem beliebigen Ort der Welt als Künstler mein Brot verdienen könnte?«
Ich versicherte ihm, daß er als Künstler nicht nur freier, sondern in gewissem Sinne auch reicher wäre denn als Kaiser, da er sich nicht wegen jeder kleinen Ausgabe mit seinen Verwaltern herumzustreiten brauchte. Ich erwähnte, daß es nach meiner Amtszeit als Prätor meine Schuldigkeit war, dem Volk eine Theatervorstellung zu bieten, daß es aber meiner Meinung nach in ganz Rom keinen wirklich guten Sänger gebe. Zuletzt sagte ich mit gespielter Verlegenheit: »Wenn du in meiner Vorstellung auftreten wolltest, wäre mir die Gunst des Volkes gewiß. Ich würde dir eine Million Sesterze zahlen. Das Stück dürftest du dir natürlich selbst wählen.«
Soviel ich weiß, war das das höchste Honorar, das man jemals einem Sänger für ein einziges Auftreten geboten hatte. Sogar Nero war überrascht und fragte: »Meinst du wirklich, daß meine Stimme eine Million Sesterze wert ist und daß du mit ihr die Gunst des Volkes gewinnen kannst?«
Ich versicherte ihm, daß es für mich die höchste Gunst wäre, die ich mir vorstellen könne, wenn er einwilligte. Nero runzelte die Stirn, murmelte etwas von seinen vielen Pflichten und sagte schließlich: »Ich muß als Schauspieler verkleidet auftreten und mit einer Maske vor dem Gesicht. Dir zuliebe kann ich mir ja eine Maske anfertigen lassen, die mir ähnelt. Ich möchte einmal den Geschmack des römischen Publikums auf die Probe stellen, und deshalb dürfen wir meinen Namen erst nach der Aufführung bekanntgeben. Unter diesen Bedingungen nehme ich dein Angebot an. Ich glaube, ich werde den Orest wählen. Das ist eine Rolle, die ich schon lang einmal singen möchte, und ich traue mir zu, mit der aufgestauten Kraft meiner Empfindungen sogar das harthörige römische Publikum zu erschüttern.«
In seiner Künstlereitelkeit wollte er ausgerechnet diese Muttermörderrolle spielen, um seine eigenen Gefühle in Wallung zu versetzen. Im Grunde verstand ich ihn. Hatte ich selbst mich doch von meinen bösen Erinnerungen an die kilikische Gefangenschaft, die mich an den Rand des Wahnsinns trieben, dadurch befreit, daß ich ein komisches Buch schrieb. Für Nero war die Ermordung Agrippinas ein erschütterndes Erlebnis, das er durch den Gesang zu überwinden suchte. ich fürchtete jedoch, daß ich mich durch mein Angebot in große Gefahr gebracht hatte. Was geschah, wenn das Publikum Nero nicht erkannte und seine Darbietung nicht zu würdigen verstand?
Ja, es konnte sogar noch schlimmer kommen. Eine Maske, die Nero ähnelte, in der Rolle des Muttermörders! Die Zuschauer faßten die Vorstellung womöglich als eine Kundgebung gegen Nero auf und ließen sich mitreißen. In dem Falle war ich verloren. Und wenn andere Zuschauer es sich angelegen sein ließen, Neros Ruf zu verteidigen, kam es zu einem Handgemenge, das sogar Menschenleben fordern konnte.
Ich wußte mir keinen anderen Rat, als heimlich die Kunde zu verbreiten, daß Nero selbst in meiner Vorstellung als Orest aufzutreten gedachte. Viele altmodisch gesinnte Senatoren und Ritter weigerten sich, zu glauben, daß ein Kaiser imstande sei, sich mit Schauspielern und Gauklern auf eine Stufe zu stellen und mit Absicht und Bedacht zum Gespött der Leute zu machen. Als sie gar noch erfuhren, was für ein Stück gewählt worden war, hielten sie das Gerücht für einen boshaften Scherz.
Zum Glück hatte auch Tigellinus in dieser Sache seinen Vorteil zu wahren. Er stellte eine Kohorte Prätorianer ab, die einerseits für Ruhe und Ordnung im Theater sorgen und andrerseits an bestimmten Stellen, dem Beispiel der von Nero selbst zu diesem Zweck gedungenen Männer folgend, klatschen mußte. Als Anführer wurden einige junge Ritter auserwählt, die ein wenig von Musik und Gesang verstanden und nicht den Fehler begingen, den Beifall im falschen Augenblick einsetzen zu lassen. Alle mußten außerdem üben, vor Entzücken zu trällern, mit zu Schalen gewölbten Händen dumpf zu klatschen und dann wieder weithin schmetternde Klatschlaute hervorzubringen und an ergreifenden Stellen schmachtend und im Takt zu seufzen.
Das Gerücht von einer politischen Kundgebung im Theater lockte ungeheure Mengen von Zuschauern an, die unter anderen Umständen wohl kaum meine Vorstellung mit ihrer Gegenwart beehrt hätten. Das Gedränge war so groß, daß bei den Eingängen einige Menschen niedergetrampelt wurden und die Sklaven so manchen alten Senators handgreiflich werden mußten, um ihren Herrn zu den Ehrensitzen des Senats tragen zu können. Es ging zu wie bei den Wagenrennen im Zirkus, wenn etwas Besonderes zu erwarten stand.
Nero war so aufgeregt, daß er sich vor der Vorstellung mehrere Male erbrach und seine Kehle unaufhörlich mit Getränken spülte, die sein Lehrer ihm verschrieben hatte und die die Stimmbänder kräftigen sollten. Ich muß jedoch gestehen, daß er eine glänzende Vorstellung gab, sobald er die Szene betreten hatte. Seine mächtige Stimme hallte durch das ganze Theater und erreichte die Ohren von wohl zwanzigtausend Menschen, und er stellte seine grausame Rolle so echt und ergreifend dar, daß einige empfindsamere Frauen in Ohnmacht fielen.
Das Trällern, Seufzen und Klatschen kam an den richtigen Stellen, und das gewöhnliche Publikum stimmte bereitwillig in den Beifall ein. Als Nero aber zuletzt mit blutbefleckten Händen auf die Szene stürzte, erhob sich von den Bänken der Senatoren und Ritter ein lautes Miauen, Krähen und Zischen, das selbst der stärkste Beifall nicht zu übertönen vermochte. Ich glaubte, meine letzte Stunde sei gekommen, als ich mit weichen Knien hinter die Szene ging, um zusammen mit Nero, der die Maske abgenommen hatte, hinauszutreten und zu verkünden, dal? der Kaiser selbst vor seinem Volke aufgetreten war.
Zu meiner unbeschreiblichen Verwunderung fand ich jedoch einen Nero vor, der, schweißnaß und mit vor Erschöpfung verzerrtem Gesicht, vor Freude weinte.
»Hast du gesehen, hast du gehört, wie ich das Publikum mitriß?« fragte er mich. »Sie miauten und krähten sogar, um die Strafe für den Muttermord auf Orest herabzurufen! Ich glaube, es ist noch nie vorgekommen, daß die Zuschauer bei einer Aufführung so vollständig mitlebten!«
Nero trocknete sich den Schweiß ab und trat dann siegesstolz lächelnd hinaus, um den Beifall entgegenzunehmen, der zu Donnertosen anschwoll, als ich, durch einen Trichter rufend, verkündete, daß der Kaiser in eigener Person mitgespielt hatte. Das Publikum forderte wie ein Mann, er solle noch mehr singen.
Mir wurde die Ehre zuteil, Nero die Zither zu bringen. Er sang und begleitete sich selbst, um auch seine Meisterschaft als Zitherspieler zu beweisen, bis es so dunkel wurde, daß man sein Gesicht nicht mehr erkennen konnte. Erst dann hörte er widerstrebend auf, ließ aber kundmachen, daß er auch in Zukunft vor dem Volk auftreten werde, wenn dies der Wunsch des Volkes sei.
Als ich ihm die Anweisung auf eine Million Sesterze reichte, sagte ich ihm, daß ich Befehl gegeben hatte, seinem Geburtsgenius, seiner verstorbenen Tochter und zur Sicherheit auch Apoll ein Dankopfer darzubringen. »Obwohl«, fügte ich hinzu, »obwohl ich glaube, daß du Apoll bereits übertroffen hast und seine Hilfe nicht mehr brauchst.«
Während er noch vor Freude ganz außer sich war, brachte ich so beiläufig wie möglich den Wunsch vor, er möge meine Ehe in aller Stille auflösen, da wir uns, Sabina und ich, nicht vertrugen, beide die Scheidung wünschten und im übrigen auch die Einwilligung unserer Eltern hatten.
Nero begann laut zu lachen und sagte, es sei ihm schon längst klar, daß ich meine sonderbare Ehe aus reiner Lasterhaftigkeit weitergeführt hätte. Er fragte mich neugierig, ob es wahr sei, daß Sabina geschlechtlichen Umgang mit den afrikanischen Riesenaffen pflege, wie in der Stadt so hartnäckig behauptet werde. Er hätte ganz und gar nichts dagegen, sich einmal heimlich so eine Vorstellung anzusehen. Ich bat ihn, Sabina selbst danach zu fragen, und gab vor, wir seien so verfeindet, daß wir nicht einmal mehr miteinander redeten. Er stellte mir nur noch die Bedingung, daß Sabina auch nach der Scheidung zum Vergnügen des Volkes im Amphitheater auftreten müsse, und schon am nächsten Morgen erhielt ich die Scheidungsurkunde, für die ich nicht einmal die übliche Gebühr zu entrichten brauchte.