Antonia war offensichtlich verlegen, bewahrte aber ihre spöttische Haltung und musterte mich von oben herab. Während ich mich noch fragte, ob ich ihr nicht, mit einiger Verspätung zwar, mein Beileid zu dem plötzlichen Hinscheiden ihres Gatten Faustus Sulla aussprechen müsse, sagte Tante Paulina plötzlich streng: »Du hast deine Pflichten gegenüber Claudia versäumt. Ich fordere im Namen Christi, daß du sie unverzüglich zur Gattin nimmst. Wenn du Gott nicht fürchtest, so fürchte die Plautier. Es geht um das Ansehen unseres Geschlechts.«
Auch Antonia tadelte mich: »Ich kann dein Betragen gegen meine Halbschwester nicht eben bewundern, und es wäre mir lieber, sie müßte nicht einen Mann mit einem so schlechten Ruf nehmen. Doch du hast sie verführt, sie ist schwanger, und es läßt sich nicht mehr ändern.«
Vor Verwunderung außer mir, fragte ich: »Glaubst auch du, die du eine vernünftige Frau bist, die unsinnige Geschichte von ihrer Abstammung? Claudius hat sie doch nie anerkannt!«
»Aus politischen Gründen«, sagte Antonia ruhig. »Mein Vater Claudius ließ sich seinerzeit von Plautia Urgulanilla scheiden, um meine Mutter Aelia zu heiraten, die, wie du weißt, eine Adoptivschwester des Sejanus war. Claudia wurde fünf Monate nach der Scheidung geboren, und aus Rücksicht auf meine Mutter hielt es Sejanus für unziemlich, ihr die gesetzliche Stellung einer Kaisertochter zu geben. Du weißt, welchen Einfluß Sejanus damals hatte. Um seine Gunst zu gewinnen, hatte Claudius meine Mutter geheiratet. Ich erinnere mich noch gut, daß sie sich oft über das ehrlose Benehmen meines Vaters beklagte. Über Claudias Mutter erzählt man das eine und das andere. Ich war zu hochmütig, um Claudia auch nur im geheimen als meine Halbschwester anzuerkennen, aber jetzt ist von meinem Hochmut nicht mehr viel geblieben. Deshalb möchte ich das Unrecht wiedergutmachen, das ich Claudia angetan habe.«
»Bist auch du unter die Christen gegangen?« fragte ich spöttisch.
Antonia errötete über meine Frage. »Ich bin nicht eingeweiht«, sagte sie abwehrend. »Aber ich erlaube meinen Sklaven, Christus zu verehren. Das tust auch du. Und ich möchte nicht, daß das uralte Geschlecht der Claudier mit mir ausstirbt. Ich bin bereit, dein Kind zu adoptieren, wenn es sein muß. Wenigstens hätten Nero und Poppaea immer etwas, woran sie denken könnten.«
Ich begriff, daß sie mehr aus Haß gegen Nero denn aus Liebe zu Claudia handelte. Nun mischte sich Paulina ins Gespräch und sagte: »Urgulanilla hat auf dem Totenbett den heiligsten Eid geschworen, daß Claudia wirklich die Tochter des Claudius ist. Ich war mit Urgulanilla wegen ihres lasterhaften Lebenswandels während ihrer letzten Jahre nicht mehr gut befreundet, aber ich glaube nicht, daß eine Frau in einer so ernsten Sache auf dem Totenbett einen Meineid zu schwören imstande ist. Die Schwierigkeit war von Anfang an die, daß du als Ritter dich nicht mit einer unehelich Geborenen glaubtest vermählen zu dürfen. Aus demselben Grund und aus Angst vor Claudius weigerte sich mein Gatte, Claudia zu adoptieren. Im Grunde ist Claudia jedoch sowohl römische Bürgerin als auch in der Ehe geboren. Es würde niemanden einfallen, dies zu bezweifeln, wenn sie nicht die Tochter eines Kaisers wäre.«
Claudia, die in diesen Tagen wie alle Schwangeren empfindlich war, begann zu weinen und rief: »Ich glaube nicht einmal, daß mein armer Vater mich wirklich haßte. Er ist nur so beeinflußt worden, zuerst von der unglückseligen Messalina und dann von der niederträchtigen Agrippina, daß er es nicht wagte, mich als seine Tochter anzuerkennen, selbst wenn er es gewollt hätte. In meinem Herzen habe ich ihm bereits verziehen.«
Als ich über die juristische Seite der Sache nachdachte, fiel mir ein, wie rasch ich Jucundus zum römischen Bürger gemacht hatte. »Claudia war gezwungen, sich jahrelang in einer Landstadt versteckt zu halten«, sagte ich vorsichtig. »Es ließe sich vielleicht so einrichten, daß sie in die Bürgerrolle irgendeines abgelegenen Ortes eingeschrieben wird, und zwar als Tochter eines bereits verstorbenen Vaters A und einer ebenfalls dahingeschiedenen Mutter B. Man brauchte nur eine kleine Stadt zu wählen, in der etwa ein Brand das Archiv zerstört hat. Es gibt ja Millionen römischer Bürger in den verschiedensten Ländern, und wir wissen, daß so mancher Zugewanderte behauptet, römischer Bürger zu sein, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden, weil es zur Zeit nicht möglich ist, ihm das Gegenteil zu beweisen. Auf diese Weise könnte ich Claudia heiraten.«
Claudia fuhr mich zornig an: »Laß mich mit deinem Alphabet in Frieden. Ich will weder A zum Vater noch B zur Mutter. Mein Vater war Tiberius Claudius Drusus, und meine Mutter war Plautia Urgulanilla. Immerhin danke ich dir dafür, daß du die Möglichkeit zu erwägen geruhst, mich zu heiraten. Ich fasse deine Worte als eine Werbung auf, und ich habe hier zwei achtbare Zeugen.«
Paulina und Antonia beeilten sich, mich lächelnd zu beglückwünschen. Ich war in eine Falle gegangen und hatte mich doch eigentlich nur rein theoretisch zu einem juristischen Problem geäußert. Nach einigem Hin und Her kamen wir überein, eine Urkunde über Claudias Herkunft aufzusetzen, die Antonia und Paulina als Geheimdokument im Archiv der Vestalinnen hinterlegen sollten.
Die Hochzeit sollte in aller Stille stattfinden, ohne Opfer und Festlichkeiten, und in die Bürgerrolle sollte Claudia unter dem Namen Plautia Claudia Urgulanilla eingetragen werden. Daß die Behörden keine überflüssigen Fragen stellten, dafür hatte ich zu sorgen. Claudias Stellung brauchte keine Veränderung zu erfahren, denn sie stand längst mit allen Vollmachten meinem Hause vor.
Ich ging schweren Herzens auf alles ein, da mir keine andere Wahl blieb, und fürchtete, auf die übelste Art und Weise in eine politische Verschwörung gegen Nero verwickelt worden zu sein. Tante Paulina dachte gewiß an nichts dergleichen, aber Antonia sagte zuletzt ganz offen: »Ich bin einige Jahre jünger als Claudia, aber Nero erlaubt mir nicht, noch einmal zu heiraten. Und kein vornehmer Mann würde es wagen, sich mit mir zu vermählen, denn jeder weiß, wie es Faustus Sulla erging. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn Sulla nicht so täppisch gewesen wäre. Er verstand es nicht, Fortuna beim Schopf zu fassen. Deshalb freute ich mich nun, daß Claudia als Tochter des Kaisers heiraten kann, wenn auch nur heimlich. Deine Durchtriebenheit, lieber Minutus, deine Rücksichtslosigkeit und dein Reichtum ersetzen vielleicht die anderen Eigenschaften, die ich mir von Claudias Gatten gewünscht hätte. Denke immer daran, daß du dich durch diese Heirat sowohl mit den Claudiern als auch mit den Plautiern verbindest.«
Paulina und Claudia baten uns, mit ihnen zusammen zu beten, daß unser Bund im Namen Christi gesegnet werde. Antonia lächelte verächtlich, sagte jedoch: »Mir ist ein Name so recht wie der andere, wenn ihr an seine Macht glaubt. Ich unterstütze seine Partei, weil ich weiß, wie sehr die Juden ihn hassen, deren Einfluß unerträglich wird. Poppaea verhilft ihnen zu Ämtern, und Nero überschüttet einen jüdischen Pantomimiker mit den kostbarsten Geschenken, obwohl der Kerl sich frech weigert, am jüdischen Sabbat aufzutreten.«
Die stolze Antonia dachte in ihrer Verbitterung offenbar an nichts anderes, als wie sie Nero und Poppaea mit allen Mitteln schaden könnte. Sie konnte gefährlich sein, obgleich sie keinen Einfluß mehr besaß, und ich war froh, daß sie so viel Verstand bewiesen hatte, erst nach Einbruch der Dunkelheit und in einer Sänfte mit geschlossenen Vorhängen in mein Haus zu kommen.
Ich war so niedergeschlagen, daß ich den letzten Rest von Stolz ablegte und mich an dem christlichen Gebet beteiligte und um Vergebung meiner Sünden bat. Ich brauchte Hilfe, einerlei woher sie kam. Kephas und Paulus und mehrere andere heilige Christen hatten immerhin in Christi Namen Wunder gewirkt. Als die Gäste gegangen waren, trank ich sogar mit Claudia aus dem Zauberbecher meiner Mutter, und dann legten wir uns, nach langem wieder miteinander ausgesöhnt, schlafen.
Wir schliefen nach diesem Tage zusammen, als wären wir schon Ehegatten, und niemand im Haus machte ein Aufhebens davon. Ich will auch nicht leugnen, daß es mir schmeichelte, das Bett mit einer Kaisertochter zu teilen. Dafür ging ich auf Claudias Wünsche ein und unterwarf mich während der Zeit der Schwangerschaft allen ihren Launen. Die Folge davon war, daß die Christen mein Haus endgültig zu ihrer Heimstatt machten. Ihre Lobpreisungen hallten von morgens bis abends so laut durch die Gegend, daß sogar die Nachbarn gestört wurden.