Um diese Zeit verbreitete sich das Gerücht, Nero habe die Stadt mit Absicht in Brand stecken lassen, und dieses Gerücht war so unsinnig, daß sich sofort Leute fanden, die es glaubten. Gab es doch zahllose Zeugen, die selbst gesehen hatten, wie Soldaten mit Fackeln Feuer an die Häuser legten und ihre Bewohner vertrieben. In der allgemeinen Verwirrung, der Erregung, der Erschöpfung durch Schlafmangel und unerhörte Anstrengungen fand sogar die Behauptung der Christen, daß der Tag des Gerichts gekommen sei, da und dort Glauben.
Niemand wagte Nero zu berichten, wessen man ihn beschuldigte. Als vorzüglicher Schauspieler bewahrte er die Ruhe und ließ, während noch der Brand wütete, die besten Baumeister Roms rufen, um den Wiederaufbau der Stadt zu planen. Er sorgte auch gleich dafür, daß aus den Nachbarstädten Lebensmittel in das notleidende Rom gebracht wurden. Wenn er aber auf seinen täglichen Rundgängen die Menschen, die alles verloren hatten, mit Versprechungen tröstete, bekam er immer öfter drohende Rufe zu hören. Man bewarf die Prätorianer mit Steinen, und einige klagten Nero an, er habe die Stadt zerstört.
Nero war bestürzt. Er beherrschte sich jedoch und sagte mitleidig: »Die armen Menschen haben den Verstand verloren.«
Er kehrte in die Gärten des Maecenas zurück und befahl endlich, die Absperrung der Aquädukte aufzuheben, obwohl dies bedeutete, daß die Bewohner der vom Feuer verschonten Stadtteile eine Zeitlang Durst leiden mußten. Ich ritt rasch zum Tiergarten, um zu veranlassen, daß alle Wasserzisternen rechtzeitig gefüllt wurden. Zugleich ordnete ich an, daß alle Tiere getötet werden mußten, wenn der Brand das Amphitheater, das aus Holz war, erreichte. Es bestand zwar noch keine wirkliche Gefahr, aber meine Augen brannten und meine Brandwunden quälten mich so sehr, daß ich den Mut verlor und es für durchaus möglich hielt, daß die ganze Stadt den Flammen zum Opfer fiel. Ich mußte um jeden Preis verhindern, daß die Tiere ausbrachen und plötzlich unter den vielen Obdachlosen frei umherliefen.
Gegen Abend wurde ich von einem Boten, der mich zu Nero rief, aus dem tiefsten Schlaf geweckt. Ich war kaum gegangen, als Sabina auch schon meinen Befehl widerrief und jedem, der den Tieren etwas antat, mit dem Tode drohte.
Als ich auf weiten Umwegen durch die vom Feuer erhellte Stadt zu den Gärten des Maecenas ging, ein nasses Tuch als Schutz um den Kopf gewickelt, ergriff mich eine trostlose Weltuntergangsstimmung. Ich dachte an die schrecklichen Prophezeiungen der Christen, aber auch an die griechischen Philosophen, die behaupteten, daß aus dem Feuer alles entstanden sei und im Feuer alles vergehen werde.
Ich begegnete grölenden, lallenden Betrunkenen, die ihren Durst in Ermangelung von Wasser in irgendeinem verlassenen Weinkeller gestillt hatten und nicht minder betrunkene Weiber mitschleppten. In dichten Haufen standen die Juden beisammen und sangen Hymnen an ihren Gott. An einer Straßenecke stieß ich mit einem verstörten Mann zusammen, dessen Bart versengt war und der mich umarmte, das geheime Zeichen der Christen machte und mich aufforderte, Buße zu tun, denn der Tag des Gerichts sei gekommen.
Am Turm des Maecenas stand Nero und erwartete ungeduldig seine Freunde. Zu meiner Verwunderung trug er den langen gelben Mantel der Sänger und einen Kranz auf dem Kopf. Tigellinus stand mit der Zither neben ihm.
Nero brauchte Zuhörer und hatte allen hochgestellten Römern, von denen er wußte, daß sie sich in der Stadt aufhielten, Boten geschickt. Überdies hatte er an die tausend Prätorianer kommen lassen, die unter den mit Wasser berieselten Bäumen im Grase lagen und gierig aßen und tranken. Unter uns glühten die brennenden, schwelenden Stadtteile wie tiefrote Inseln in der Dunkelheit, und gewaltige Rauchsäulen stiegen zum Himmel empor.
Nero vermochte sich nicht länger zu gedulden. »Vor uns liegt ein Anblick, wie er seit der Zerstörung Trojas keinem Sterblichen mehr zuteil wurde!« rief er mit weithin hallender Stimme. »Apoll selbst ist im Traum zu mir herabgestiegen, und als ich erwachte, quollen die Strophen aus meinem Herzen wie in göttlichem Wahnsinn. Ich werde euch Verse vorsingen, die ich über den Brand Trojas gedichtet habe, und mir ahnt, daß es Verse sind, die durch alle künftigen Zeiten klingen und Nero als Dichter unsterblich machen werden!«
Ein Herold wiederholte seine Worte, während Nero auf den Turm stieg. Dort war nicht für viele Platz, aber wir drängten uns alle in seine Nähe. Er begann zu singen und begleitete sich selbst. Seine kraftvolle Stimme klang laut über das Prasseln und Brausen des Brandes hinaus und erreichte die Zuhörer in den Gärten ringsumher. Er sang wie in einem Rausch, und sein Sekretär reichte ihm ständig neue Strophen, die er im Laufe des Tages diktiert hatte. Und während er sang, dichtete Nero neue dazu, die ein anderer Schreiber in Kurzschrift festhielt.
Ich war oft genug im Theater gewesen, um zu erkennen, daß er bekannte Verse frei wiedergab oder abänderte, entweder unbewußt seiner Eingebung gehorchend oder indem er bewußt von der Freiheit Gebrauch machte, die man dem Künstler in diesen Dingen zugesteht. Er sang mehrere Stunden ohne Unterbrechung. Die Zenturionen hatten alle Mühe, die erschöpften Prätorianer im Grase mit ihren Stäben wachzuhalten.
Die Sachverständigen aber konnten ihm nicht oft genug versichern, sie hätten noch nie einen so strahlenden Gesang vor einem so erhabenen Hintergrund gehört. Sie brachen in Beifallsrufe aus und sagten, was wir nun erlebten, würden wir unseren Kindern und Kindeskindern erzählen, und die Erinnerung daran werde in aller Zukunft nicht erlöschen.
Ich selbst fragte mich im stillen, ob Nero nicht am Ende wahnsinnig geworden sei. Doch ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß ihn, empfindlich wie er war, die unsinnigen Anklagen gewiß tief gekränkt hatten und daß er in diesen Stunden die Last des Herrschens abwarf, um sich durch seine Kunst zu erleichtern und zu trösten.
Er brach seine Vorstellung erst ab, als er von dem immer dichter heranwallenden Rauch husten und sich in den Mantelsaum schneuzen mußte. Wir riefen rasch wie aus einem Munde, er möge doch seine göttliche Stimme schonen. Er war hochrot im Gesicht und schwitzte, aber er strahlte vor Triumph und versprach, am nächsten Abend weiterzusingen. Von den Rändern der Brandherde unter uns in der Stadt erhoben sich dichte Dampfwolken, als das Wasser aus den geöffneten Aquädukten zwischen den schwelenden Ruinen ausströmte.
Tullias Haus auf dem Virinal lag ziemlich nahe. Ich beschloß, mich dorthin zu begeben, um während der Morgenstunden noch ein wenig zu schlafen. Um meinen Vater hatte ich mir noch keine Sorgen gemacht, da das Haus vorerst noch sicher war. Ich wußte nicht einmal, ob er überhaupt von seinem Landaufenthalt zurück war. Unter den Senatoren, die Neros Gesang lauschten, hatte ich ihn nicht entdeckt.
Ich fand ihn einsam wachend und mit rotgeränderten Augen in Tullias beinahe völlig verlassenem und ausgeräumten Haus. Er sagte mir, daß Tullia schon am ersten Tag der Feuersbrunst mit Hilfe von tausend Sklaven alle wertvollen Gegenstände auf eines ihrer Landgüter gebracht hatte.
Jucundus, der seit dem Frühjahr einen schmalen roten Streifen auf seinem Untergewand trug, war mit einigen Kameraden aus der Palatiumschule in der Stadt umhergestreift, um das Feuer zu beobachten, und hatte sich beide Füße verbrannt, als plötzlich aus einem der brennenden Tempel ein Strom von geschmolzenem Silber und Gold auf die Straßen geronnen war. Man hatte ihn nach Hause getragen, und Tullia hatte ihn aufs Land mitgenommen. Mein Vater meinte, er werde vielleicht fürs Leben ein Krüppel bleiben, und fügte hinzu: »So braucht dein Sohn wenigstens nicht Kriegsdienst zu tun und sein Blut in den Wüsten jenseits des Euphrat zu vergießen.«