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Ich bemerkte zu meiner Verwunderung, daß er zuviel Wein getrunken hatte, und nahm an, Jucundus Unglück habe ihn so erschüttert. Er erriet meine Gedanken und sagte übellaunig: »Warum sollte ich nicht ab und zu trinken! Ich fühlte, daß mein Todestag nahe ist. Wegen Jucundus mache ich mir keine Sorgen. Er hatte allzu flinke Füße, und sie haben ihn schon auf gefährliche Wege geführt. Es ist besser, als Krüppel Gottes Reich zu finden, als im Herzen verdorben zu werden. Ich selbst war ein Krüppel im Geiste, seit deine Mutter starb, Minutus.«

Mein Vater war schon weit über sechzig und kehrte in der Erinnerung gern in vergangene Zeiten zurück. Man denkt in seinem Alter mehr an den Tod als in meinem, weshalb ich seine Ahnungen nicht ernst nahm. Ich fragte vielmehr neugierig: »Was sagtest du da über die Wüsten jenseits des Euphrat?«

Mein Vater nahm einen gierigen Schluck aus seinem goldenen Becher und erzählte: »Unter Jucundus’ Schulkameraden gibt es Königssöhne aus dem Osten. Deren romfreundliche Väter betrachteten die Niederwerfung Parthiens als eine Lebensnotwendigkeit, und diese jungen Männer sind römischer als die Römer selbst, was sich auch von Jucundus sagen läßt. Die Frage ist im Senat schon oft besprochen worden. Sobald es Corbulos gelingt, Armenien zu befrieden, hat Rom dort eine Stütze, und Parthien gerät in die Zange.«

»Wie kannst du an Krieg denken, da Rom von einem so großen Unglück heimgesucht wird!« rief ich. »Drei ganze Stadtbezirke sind zerstört und sechs weitere stehen noch in Flammen. Uralte Mahnmale sind vernichtet worden, der Vestatempel ist niedergebrannt, ebenso das Tabularium mit allen Gesetzestafeln. Wieviel Zeit und Geld wird es kosten, Rom wiederaufzubauen, und wie kannst du unter solchen Umständen einen Krieg überhaupt für möglich halten?«

»Gerade jetzt halte ich einen Krieg für möglich«, sagte mein Vater nachdenklich. »Ich habe weder Gesichte noch Offenbarungen, wenngleich ich in letzter Zeit Dinge träume, die mich nachdenklich stimmen. Doch reden wir nicht von Träumen. Der Wiederaufbau Roms wird eine schwere Besteuerung der Provinzen mit sich bringen, und das wird Unzufriedenheit wecken, da die Reichen und die Kaufleute die Steuern zuletzt auf das Volk abwälzen. Wenn die Unzufriedenheit um sich greift, wird man die Regierung tadeln, und nach den Regeln der Staatskunst ist ein Krieg das beste Mittel, der Unzufriedenheit im Innern des Reiches einen Auslauf zu verschaffen. Und wenn der Krieg einmal begonnen wurde, finden sich auch immer die Mittel, ihn fortzusetzen. Du weißt selbst, daß man allgemein über die Verweichlichung Roms und den Verfall seiner kriegerischen Tugenden klagt. Es ist wahr, daß die Jungen die Tugenden der Väter verspotten und Parodien auf die Werke des Livius aufführen. Deshalb haben sie aber doch Wolfsblut in den Adern.«

»Nero will keinen Krieg«, wandte ich ein. »Er war ja sogar bereit, Britannien aufzugeben. Der Lorbeer des Künstlers ist das einzige, wonach er strebt.«

»Ein Herrscher ist zuletzt gezwungen, dem Willen des Volkes zu gehorchen, sonst sitzt er nicht lange auf seinem Thron«, erwiderte mein Vater. »Das Volk als solches will natürlich keinen Krieg, sondern Brot und Zirkusspiele, aber es gibt Kräfte, die sich von einem Krieg persönlichen Gewinn versprechen. Noch nie zuvor in der Geschichte haben einzelne so große Vermögen angesammelt wie heute. Freigelassene Sklaven treiben größeren Aufwand als die Vornehmen Roms, weil sie sich nicht durch althergebrachte Sitten verpflichtet fühlen, mehr auf den Vorteil des Staates zu sehen als auf ihren eigenen. Du weißt noch nicht, Minutus, was für eine ungeheure Macht Geld hat, das sich mit Geld verbindet.«

Plötzlich unterbrach er sich und sagte: »Da wir gerade von Geld reden: es gibt zum Glück Dinge, die mehr wert sind. Ich hoffe, du hast den Holzbecher deiner Mutter gut verwahrt!«

Ich hatte den Becher während des Streits mit Claudia völlig vergessen, und da ich annahm, daß mein Haus auf dem Aventin mittlerweile niedergebrannt sei, hielt ich auch den Becher für verloren. Ich stand zornig auf und sagte: »Du bist betrunkener, als du weißt. Geh und leg dich schlafen. Ich muß zu meinen Geschäften zurückkehren. Die Furien hetzen heute nacht nicht nur dich.«

Empfindlich wie alle Betrunkenen rief mein Vater, ich solle an seine Ahnungen denken, wenn er einmal tot sei, und er werde nicht mehr lange unter den Lebenden weilen. Ich verließ sein Haus und kehrte, an den Rändern der weit ausgedehnten Brandstätten entlang irrend, zum Aventin zurück. Die Hitze zwang mich, über die Brücke in den jüdischen Stadtteil zu gehen und mich weiter oben wieder über den Fluß rudern zu lassen. Wer in diesen Tagen ein Boot besaß, verdiente sich ein Vermögen, indem er die Flüchtlinge über den Strom setzte.

Zu meiner Verwunderung schien der dem Fluß zugekehrte Hang des Aventins noch verschont geblieben zu sein. Ich ging in dem dichten Rauch jedoch mehrere Male in die Irre und sah den Tempel der Mondgöttin und dessen Umgebung in rauchenden Trümmern liegen. Mein eigenes Haus aber war unversehrt geblieben. Vermutlich hatte der Wind, der an anderen Stellen eine so verheerende Wirkung ausgeübt hatte, das Feuer von der Kuppe des Aventins ferngehalten, wo nicht einmal eine richtige Brandgasse angelegt worden war. Man hatte nur einige wenige Häuser niedergerissen.

Der achte Morgen seit Ausbruch des Brandes graute über den Ruinen. In meinem Garten lagen dicht gedrängt Hunderte von Männern, Frauen und Kindern. Sogar in den leeren Wasserbecken schliefen Menschen. Ich schritt über die auf dem Boden Liegenden hinweg zum Haus, das keiner zu betreten gewagt hatte, obwohl die Türen weit offenstanden.

Ich stürzte in mein Zimmer, fand meine verschlossene Truhe und auf ihrem Boden den alten, in ein Seidentuch eingeschlagenen Holzbecher. Als ich ihn herausnahm, wurde ich in meiner Erschöpfung von abergläubischer Furcht ergriffen, so als hielte ich einen wundertätigen Gegenstand in der Hand, und der unheimliche Gedanke schoß mir durch den Kopf, daß der geheimnisvolle Becher der Glücksgöttin vielleicht mein Haus beschützt hatte. Dann aber vermochte ich nichts mehr zu denken. Mit dem Becher in der Hand fiel ich auf das Bett nieder und versank in den tiefsten Schlaf meines Lebens.

Ich schlief, bis der Abendstern aufging, und erwachte von dem Gesang und den lauten Freudenrufen der Christen. Ich war noch so schlaftrunken, daß ich zornig nach Claudia rief, um ihr zu sagen sie solle mit ihren Freunden leiser sein. Ich glaubte, es sei früher Morgen und meine Klienten und Freigelassenen erwarteten mich. Erst als ich in den Garten hinauseilte, erinnerte ich mich an die grauenvolle Zerstörung und alles, was geschehen war.

Der Feuerschein am Himmel sagte mir, daß in der Stadt noch immer Brände wüteten, aber das Schlimmste schien doch vorüber zu sein. Ich suchte aus den vielen Menschen meine eigenen Sklaven heraus und lobte sie, daß sie geblieben waren und mutig und, ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben mein Haus bewacht hatten. Die übrigen Sklaven ermahnte ich, unverzüglich ihre Herren aufzusuchen, um nicht als Entlaufene bestraft zu werden.

Danach herrschte in meinem Garten nicht mehr ein so großes Gedränge, aber mehrere Kleinhändler und Handwerker, die alles, was sie besaßen, verloren hatten, baten mich flehentlich, fürs erste bleiben zu dürfen, da sie nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten. Sie hatten Greise und Säuglinge bei sich, und ich brachte es nicht übers Herz, sie zu verjagen.

Ein Teil der Tempel auf dem Kapitolinischen Hügel reckte noch unversehrte Säulen gegen den flammend roten Himmel. Wo die Ruinen schon ausgekühlt waren, suchten Diebe unter Einsatz des Lebens nach geschmolzenem Metall. Tigellinus ließ noch am selben Tag die Brandstätten durch Soldaten absperren. Um alle Unordnung zu vermeiden, durften nicht einmal die Hauseigentümer zurückkehren und in den Ruinen graben.

Im Tiergarten mußten meine Leute zu Speer und Bogen greifen, um die Wasserbecken und die Lebensmittel- und Futtervorräte zu schützen. Aus den Freigehegen wurden mehrere Hirsche und Antilopen gestohlen und geschlachtet. Nur an die Auerochsen wagte sich niemand heran.