Da das Feuer alle Thermen vernichtet hatte, krönte Nero sein zweites Auftreten als Dichter durch ein Bad in einem der heiligen Becken. Es war ein gefährliches Unternehmen, aber er verließ sich auf seine Schwimmkunst und seine Körperkräfte. Das Volk nahm es übel auf und beschuldigte ihn im stillen, er habe, nachdem er Rom in Brand gesteckt hatte, nun auch noch das letzte Trinkwasser mit seinem Körper verunreinigt. Er war in Wirklichkeit in Antium gewesen, als das Feuer ausbrach, aber davon wollten die Aufwiegler nichts wissen.
Ich habe Rom nie so sehr bewundert wie in diesen Tagen, als ich sah, wie rasch der Bevölkerung geholfen wurde und wie planmäßig und zielbewußt man die Aufräumungsarbeiten und den Wiederaufbau der Stadt in Angriff nahm. Die Städte in der näheren und weiteren Umgebung erhielten den Befehl, Hausrat und Kleider zu schicken. Für die Obdachlosen wurden Befehlsunterkünfte errichtet. Getreideschiffe, die ausgeladen wurden, mußten Schutt an Bord nehmen und in den Sümpfen vor Ostia abladen.
Der Getreidepreis wurde auf zwei Sesterze gesenkt. Das war der niedrigste Preis, von dem man je gehört hatte. Ich erlitt dadurch keine Verluste, denn der Staat sicherte den Getreidehändlern höhere Preise zu. Täler wurden aufgefüllt, verbrannte Hügel abgetragen. Nero nahm das ganze Gebiet zwischen Palatin, Caelius und Esquilin in Besitz, wo er einen neuen Palast errichten lassen wollte, und im übrigen wurden in den Ruinenfeldern ohne Rücksicht auf den früheren Stadtplan Baugründe und breite Straßen abgesteckt.
Wer sein Haus nach den neuen Bauvorschriften wieder aufbauen konnte und wollte, erhielt eine Anleihe aus der Staatskasse, mußte aber innerhalb eines bestimmten Zeitraums bauen, wenn er nicht seines Rechts verlustig gehen wollte.
Alle Häuser mußten aus Stein errichtet werden, und die Höhe war auf drei Stockwerke begrenzt. Auf der Straßenseite war eine Arkade vorgeschrieben, und jeder Hof mußte seine eigene Wasserzisterne haben. Die Wasserverteilung wurde neu geregelt, so daß die Reichen nicht mehr so viel für ihre Gärten und Thermen verbrauchen konnten, wie sie wollten.
Diese notwendigen Zwangsmaßnahmen weckten allgemeine Verbitterung. Nicht nur die Vornehmen beklagten sich, auch das Volk murrte und behauptete, die neuen breiten, sonnigen Straßen seien viel ungesünder als die alten krummen Gassen, die im Sommer kühl und schattig waren und in den Nächten den Verliebten ein Versteck boten. Man fürchtete, die Früh- und Zwangsehen könnten überhandnehmen, wenn man sich nur noch innerhalb der vier Wände lieben durfte.
Die Städte und die Reichen in den Provinzen wetteiferten darin, Geldsummen für den Wiederaufbau Roms zu spenden. Dennoch reichten die Mittel bei weitem nicht, und man hob daher Steuerzuschläge ein, die sowohl Einzelpersonen wie ganze Städte an den Rand des Ruins brachten.
Allein der Wiederaufbau des großen Zirkus, der Tempel und Theater nach den Plänen Neros schien darauf abzuzielen, die ganze Welt bettelarm zu machen. Dazu wurde noch sein Plan bekannt, ein riesiges Bauwerk von noch nie gesehenen Ausmaßen zu errichten, und als man sah, was für ungeheure Flächen er sich mitten in der Stadt für seinen eigenen Gebrauch vorbehielt, kannte die Unzufriedenheit des Volkes keine Grenzen mehr. Nero hatte unter anderem das ganze Gebiet, auf dem die durch Mauerbrecher niedergerissenen Getreidespeicher gestanden waren, in Beschlag genommen, und man glaubte nun um so bereitwilliger, daß wirklich er selbst die Stadt hatte anzünden lassen, um Platz für sein Goldenes Haus zu schaffen.
Zu Beginn des Herbstes spülten einige heftige Gewitter den Ruß von den Ruinen. Tag und Nacht wurden auf Ochsenkarren Bausteine in die Stadt gebracht. Das unaufhörliche Klopfen und Hämmern auf den Baustellen machte den Aufenthalt unerträglich. Um die Arbeit so rasch wie möglich voranzutreiben, hielt man nicht einmal die Festtage ein. Das Volk, das an freie Mahlzeiten, Zirkusvorstellungen und andere Vergnügungen gewöhnt war, stöhnte und fand, man tue des Guten zuviel und das Leben in Rom sei noch nie so unbehaglich gewesen.
Das Entsetzen über das Ausmaß der Zerstörung, der Schrecken, die ausgestandene Lebensgefahr, all dies ließ die Bürger nicht zur Ruhe kommen. Männer mit Konsulsrang scheuten sich nicht, öffentlich zu erzählen, wie sie aus ihren Häusern gejagt worden waren und wie betrunkene Soldaten, die sich auf den Befehl des Kaisers beriefen, die Gebäude in Brand gesteckt hatten, bevor noch das Feuer in die Nähe gekommen war.
Andere wußten zu berichten, daß die Christen ihre Freude offen gezeigt und während des Brandes Dankhymnen gesungen hätten. Das gewöhnliche Volk unterschied nicht zwischen Christen und Juden. Man machte einander darauf aufmerksam, daß der jüdische Stadtteil jenseits des Tibers sowie gewisse andere von Juden bewohnte Bezirke in der Stadt selbst vom Feuer verschont worden waren.
Die Absonderung der Juden, ihre zehn selbständigen Synagogen und die eigene Gerichtsbarkeit, die der Rat der Juden ausübte, hatten das Volk schon immer gereizt. Die Juden duldeten ja nicht einmal das Bild des Kaisers in ihren Bethäusern, und über ihre Zauberkünste gingen zahllose Gerüchte um.
Wenn man auch in der ganzen Stadt, offen und versteckt, Nero als den Urheber des Brandes beschuldigte, so sah man doch ein, daß er als Kaiser nicht bestraft werden konnte. Es bereitete den Menschen eine gewisse Genugtuung, ihn anzuklagen, aber das Unglück, das Rom getroffen hatte, war so groß, daß es irgendeine Art von Sühne forderte.
Die vornehmen, uralten Familien, die ihre kostbaren Erinnerungsstücke an vergangene Zeiten und sogar die Wachsmasken ihrer Toten verloren hatten, klagten Nero mit der größten Erbitterung an. Auf ihre Seite schlugen sich alle reichen Emporkömmlinge, die ihr Vermögen durch Steuern zu verlieren fürchteten. Das Volk selbst sah nur, wie schnell seine Not gelindert worden war. Es brauchte ja für die Hilfe nichts zu bezahlen. Nach alter Sitte betrachtete es den Kaiser, der auch Volkstribun auf Lebenszeit war, als den Beschützer seiner Rechte gegenüber den Vornehmen und seine Person als unverletzlich. Daher empfand es nichts als Schadenfreude, als die Reichen ihre Grundstücke an den Kaiser abtreten und sich eine empfindliche Einschränkung ihrer Vorrechte gefallen lassen mußten. Die Sonderstellung der Juden dagegen war dem Volk seit eh und je ein Dorn im Auge gewesen.
Man behauptete, die Juden hätten den Brand vorausgesagt, und erinnerte sich gern daran, daß Claudius sie seinerzeit aus Rom vertrieben hatte. Es dauerte nicht lange, bis man zuerst andeutete und dann offen aussprach, die Juden und niemand anders hätten den Brand gelegt, damit sich ihre eigene Voraussage erfüllte und sie ihren Nutzen aus der Not des Volkes ziehen konnten.
Das waren gefährliche Behauptungen, und mehrere angesehene Juden wandten sich daher an Poppaea, um ihr – und durch ihre Vermittlung Nero – zu erklären, wie groß der Unterschied zwischen Juden und Christen sei. Sie hatten einen schweren Stand, denn Jesus von Nazareth war unleugbar Jude gewesen, und die Lehre, daß er der Christus sei, entstammte den Vorstellungen der Juden. Und wenn auch die Mehrheit der Christen in Rom nicht beschnitten war, so waren doch ihre Führer noch immer Juden, die sich von den Rechtgläubigen abgesondert hatten.
Poppaea hielt sich für eine gottesfürchtige Frau, sie verehrte den Tempel in Jerusalem und glaubte an Abraham und Moses. Über den Messias, der in den heiligen Schriften vorausgesagt wurde, hatten die Juden jedoch vorsichtshalber kaum mit ihr gesprochen. Daher vermochte sie nun ihren Erklärungen nicht zu folgen und ließ sogar mich in ihre Gemächer auf dem Esquilin rufen, damit ich ihr verständlich machte, was die Juden eigentlich wollten.
»Sie wollen, daß du ihre Glaubenszwiste schlichtest«, sagte ich im Scherz. Aber die Juden ereiferten sich.
»Mit diesen Dingen scherzt man nicht!« riefen sie. »Der Gesalbte der Christen ist nicht der Messias der Juden. Verflucht sei, wer ihn als den Christus anerkennt! Von ihm sagen wir uns los, sei er beschnitten oder unbeschnitten. Die Christen waren es, die den Tag des Gerichts voraussagten und während des Brandet Dankhymnen sangen. Ihr Verbrechen ist nicht das unsere.«