»Die Christen sind keine Verbrecher«, fiel ich ihnen rasch ins Wort. »Sie sind demütige und vielleicht ein wenig einfältige Menschen, dümmer jedenfalls als ihr. Und glauben die Juden etwa nicht an das Jüngste Gericht und das Tausendjährige Reich?«
Die Juden betrachteten mich finster, berieten eine Weile unter sich und sagten dann: »Über solche Dinge sprechen wir nicht mit Hunden. Wir wollen nur versichern, daß die Schuld der Christen nicht uns Juden anhaftet.«
Ich fühlte, daß das Gespräch, so wie es nun verlief, schlimme Folgen haben konnte, und sagte daher: »Ich sehe deinen bekümmerten Augen an, daß dein Kopf zu schmerzen beginnt, Poppaea, und will darum kurz zusammenfassen, worum es geht: Die Juden wollen mit den Christen nichts zu schaffen haben. Sie betrachten sich selbst als Fromme. Von den Christen glauben sie nur das Schlechteste, von sich selbst nur Gutes. Das ist alles.«
Als ich die haßerfüllten Blicke der Juden bemerkte, fuhr ich fort: »Es mag sein, daß sich unter den Christen ehemalige Verbrecher und Übeltäter finden, die sich gebessert haben und denen ihre Sünden vergeben wurden. Ihr König soll zu den Sündern gekommen sein, nicht zu den Frommen. Im allgemeinen aber sind die Christen sanftmütig und friedfertig. Sie speisen die Armen, helfen den Witwen und trösten die Gefangenen. Ich weiß über sie nichts Böses zu sagen.«
Poppaea fragte neugierig: »Von was für einer Schuld sprechen sie? Es ist in all dem etwas Dunkles, das ich nicht begreife.«
Ich erklärte ihr spöttisch: »Du hast gewiß gehört, was für unsinnige Gerüchte über die Ursache des großen Unglücks verbreitet werden. Ich glaube, die Juden wollen auf Umwegen zu verstehen geben, daß nicht sie es waren, die Rom anzündeten, und daß diese Behauptung ebenso vernunftwidrig sei, wie wenn man den Kaiser selbst anklagte.«
Ich hätte mir meinen Spott sparen können. Poppaea fürchtete die Zauberkünste der Juden zu sehr. Ihr Gesicht erhellte sich, und sie rief: »Jetzt verstehe ich! Geht in Frieden eures Wegs, ihr heiligen Männer! Ich werde nicht zulassen, daß man Böses von euch denkt. Ihr habt gut daran getan, mir zu sagen, daß ihr die Christen nicht als Juden anerkennt.«
Die Juden segneten sie im Namen eines Gottes, den sie Halleluja nannten, und entfernten sich. Als sie gegangen waren, sagte ich: »Du weißt sicherlich, daß die Juden die Christen nur aus Eifersucht hassen. Die Christen haben viele, die ehedem den Gott der Juden verehrten, zu ihrem Glauben bekehrt, und dadurch sind sowohl den Synagogen als auch dem Tempel zu Jerusalem viele Geschenke verlorengegangen.«
Poppaea antwortete mir jedoch: »Wenn die Juden Grund haben, die Christen zu hassen, dann sind die Christen gewiß gefährlich. Du sagtest selbst, daß sie Verbrecher und Übeltäter sind.«
Sie wollte keine Erklärungen mehr hören, die in ihrem reizenden Köpfchen ohnehin keinen Platz fanden, und ich glaube, sie ging geradewegs zu Nero, um ihm zu berichten, daß die Christen, die allesamt Verbrecher seien, Rom angezündet hätten.
Nero hörte es gern und befahl Tigellinus unverzüglich, zu untersuchen, wie man die Anklage begründen könne. Die Juden sollten jedoch aus dem Spiel gelassen werden, da ihr Glaube nur einige scheinbare Ähnlichkeiten mit der gefährlichen Lehre der Christen aufweise.
Eine solche Untersuchung wäre eigentlich Sache des Stadtpräfekten gewesen, aber Nero verließ sich mehr auf Tigellinus. Außerdem stammte ja die Lehre der Christen aus dem Osten, und die meisten ihrer Anhänger waren aus dem Osten eingewanderte Ausländer. Tigellinus war es einerlei, was die einen oder anderen glaubten. Er führte nur einen Befehl aus und hielt sich bei seinen Nachforschungen an das, was ihm der gemeinste Pöbel Roms einflüsterte.
Er hatte leichtes Spiel. Seine Handlanger suchten an einem einzigen Nachmittag mehrere Dutzend Verdächtige auf, die sich bereitwillig zu Christus bekannten und sich verwunderten, als sie auf der Stelle festgenommen und in die Kellergewölbe des Prätoriums gebracht wurden. Dort verhörte man sie streng, ob sie im letzten Sommer Rom angezündet hätten. Sie verneinten es mit aller Bestimmtheit. Darauf fragte man sie, ob ihnen noch andere Christen bekannt seien. Sie gaben in aller Unschuld alle Namen an, an die sie sich zu erinnern vermochten. Die Soldaten brauchten die genannten Männer und Frauen nur in ihren Häusern zu verhaften, und die Christen folgten ihnen ohne Einwände.
Bei Einbruch der Nacht hatte man schon an die tausend Christen beisammen, die zumeist aus den untersten Schichten des Volkes stammten. Die Soldaten berichteten, sie brauchten sich nur irgendwo unter die Menge zu mischen und zu fragen, ob Christen anwesend seien, und schon meldeten sich diese Wahnsinnigen freiwillig, um sich verhaften zu lassen.
Tigellinus wußte nicht, wie er die vielen Menschen verhören sollte, und da er überdies nicht alle unterbringen konnte, hielt er es für das beste, auf der Stelle eine grobe Auslese zu treffen. Als erste entließ er die Juden, die nachweisen konnten, daß sie beschnitten waren. Einige Angehörigen des Ritterstandes, die mit unter den Haufen geraten waren, erteilte er einen strengen Verweis. Dann ließ er sie frei, weil er meinte, man könne einen römischen Ritter nicht gut anklagen, die Stadt in Brand gesteckt zu haben.
Einige wohlhabendere Bürger waren peinlich berührt, als sie sahen, unter was für einem Gesindel sie sich befanden, und versicherten, es müsse sich um einen Irrtum handeln. Sie boten dem Präfekten Geschenke an, um das Mißverständnis aufzuklären. Tigellinus entließ sie bereitwillig, da er die gebrandmarkten Verbrecher und die entlaufenen Sklaven für die eigentlichen Schuldigen hielt. Er hatte gute Lust, Roms Unterwelt, die nun nach dem Brand in den Nächten die Stadt unsicher machte, gründlich zu säubern, und dies zeigt, wie unklar seine Vorstellung von den Christen war.
Anfangs verhielten sich die Gefangenen ruhig. Sie riefen Christus an und verstanden nicht, wessen man sie anklagte. Als sie aber sahen, daß ein Teil freigelassen wurde, und von anderen hörten, daß es darum ging, ob sie Rom angezündet hätten oder etwas von der Sache wüßten, bekamen sie es mit der Angst und begannen einander zu mißtrauen.
Daß man die Beschnittenen aussonderte, weckte den Verdacht, die Anhänger des Jacobus müßten irgendwie die Hand im Spiel haben. Diese hatten nie mit den übrigen Christen gemeinsame Sache gemacht. Sie hatten ihre eigenen jüdischen Sitten befolgt und sich für frömmer gehalten als alle anderen. Auch zwischen den Anhängern des Kephas einerseits und denen des Paulus andrerseits entstand heftiger Streit, was zur Folge hatte, daß die zurückgebliebenen Gefangenen so viele Christen aus der Gegenpartei anzeigten, wie ihnen nur einfielen. Auch die anfangs noch Besonnenen ließen sich zuletzt von Eifersucht und Rachsucht hinreißen und gaben ihre Glaubensbrüder an. Andere wieder dachten durchaus vernünftig und hielten es für das Vorteilhafteste, so viele wie nur möglich, vor allem auch hochgestellte Persönlichkeiten, anzuzeigen.
Je mehr wir sind, dachten sie zuversichtlich, desto unmöglicher wird es sein, uns vor Gericht zu stellen. Auch Paulus ist freigelassen worden, und Tigellinus wird rasch zur Vernunft kommen, wenn er sieht, wie zahlreich und einflußreich wir sind. Im Laufe der Nacht wurden daher überall in Rom ganze Familien verhaftet, und die Prätorianer waren kaum imstande, ihre Aufgabe zu bewältigen.
Tigellinus erlebte eine böse Überraschung, als er nach einer Nacht, die er sich mit Wein und Lustknaben vertrieben hatte, erwachte und auf dem ganzen großen Exerzierfeld der Prätorianer ordentlich gekleidete Menschen familienweise beisammen sitzen sah. Man zeigte ihm lange Listen von weiteren Verdächtigen und fragte, ob man auch bei Männern mit Senatoren- und Konsulsrang Hausdurchsuchungen und Verhaftungen vornehmen solle.
Er glaubte zuerst, die verbrecherischen Christen hätten aus reiner Böswilligkeit ehrenwerte Bürger verleumdet. Deshalb ging er mit einer Peitsche in der Hand drohend auf dem Feld hin und her und fragte da und dort zornig: »Seid ihr wirklich Christen?« Alle bekannten freimütig, daß sie an Christus glaubten.