»Um ihren Bericht zu glauben, müßte ich ihn aus ihrem eigenen Munde hören«, erklärte ich. »Vielleicht ist sie einfach eine verstiegene Träumerin, die sich um jeden Preis interessant machen will. Was meinst du – könnte ich irgendwie mit ihr zusammenkommen?«
»Ist es etwa ungehörig, Träume zu haben?« begehrte Claudia Procula auf. »Mich haben Träume derart fürchterlich verfolgt, daß ich meinen Mann davor warnte, einen so frommen Menschen wie Jesus zu verurteilen. Mitten in der Nacht wurde mir die Kunde von seiner Verhaftung überbracht, mit der Bitte, meinen Einfluß auf Pontius zugunsten des Gefangenen geltend zu machen. Aber die vorangegangenen Träume trieben mich stärker als die heimliche Botschaft. Bei mir steht es für immer fest, daß mein Gatte die größte Torheit seines Lebens beging, als er den jüdischen Lehrer dem Kreuzestod preisgab.«
»Glaubst du, daß ich diese Maria sehen könnte?« beharrte ich.
Claudia Procula meinte ausweichend: »Für eine Jüdin gilt es als unziemlich, mit einem unbekannten Mann – und gar noch mit einem Ausländer – zusammenzutreffen. Übrigens weiß ich nicht einmal, wo sie wohnt. Ich muß zugeben, daß sie zum Gefühlsüberschwang neigt, und ein argwöhnischer Mann wie du könnte bei einer Begegnung mit ihr einen falschen Eindruck gewinnen. Aber das hindert mich nicht daran, ihre Erzählung zu glauben.«
Immerhin begann Claudias Begeisterung etwas abzuflauen.
»Falls ich aber zufällig diese Maria Magdalena treffe«, fragte ich, »kann ich dann deinen Namen erwähnen und ihr versichern, daß sie über ihr Erlebnis getrost zu mir sprechen kann?«
Claudia murmelte, ein Mann könne nie das Vertrauen einer Frau so gewinnen, wie eine andere Frau es vermag, und außerdem könne ein Mann eine Frau überhaupt nie richtig verstehen. Immerhin gab sie widerstrebend ihre Zustimmung. »Aber wenn du ihr die geringste Verdrießlichkeit oder Unannehmlichkeit bereitest«, drohte sie, »so bekommst du es mit mir zu tun.«
Damit endete unser Gespräch, während Claudia Procula offenbar mich dahin zu bringen gehofft hatte, an die Auferstehung des Judenkönigs zu glauben und ihr Entzücken darüber zu teilen. Eigentlich muß ich ja wirklich an dieses Wunder glauben, da ich selbst die Grabtücher unberührt in der leeren Gruft gesehen habe. Aber es drängt mich, die Sache vom Standpunkt der Vernunft aus zu untersuchen.
4
Marcus an Tullia.
Ich setze meinen Bericht fort und will alle Begebenheiten in ihrer zeitlichen Abfolge schildern.
Antonia ist eine düstere, enge Festung, und ich hatte keine Lust, dort weiterhin unter ständiger Beobachtung zu bleiben. Überdies bereitete der Prokurator die Rückkehr nach Cäsarea, seinem Amtssitz vor. Ich schenkte ihm einen glückbringenden ägyptischen Skarabäus und seiner Frau einen alexandrinischen Spiegel und versprach, über Cäsarea heimzureisen. Dazu hatte Pontius Pilatus mich aufgefordert, weil er mich, bevor ich Judäa verließ, unbedingt ausfragen wollte. Auch Claudia Procula beschwor mich, ihr bei dieser Gelegenheit alles zu erzählen, was ich über den Auferstandenen erfahren sollte.
Dem Festungskommandanten gab ich einen ziemlich ansehnlichen Geldbetrag, um mich mit ihm gut zu stellen und mir für den Notfall eine Zuflucht in der Burg zu sichern. Aber so viel habe ich schon bemerkt, daß mir in Jerusalem, wenn ich das Brauchtum der Juden achte und sie nicht durch meine eigenen Gepflogenheiten herausfordere, keine Gefahr droht.
Für den Zenturio Adenabar hege ich wirklich freundschaftliche Gefühle. Auf seinen Rat mietete ich mich nicht in einem großen Gasthof ein, sondern bei einem Bekannten von ihm, einem hierher ausgewanderten syrischen Krämer, in der Nähe des Hasmonäerpalastes. Mit den Sitten der Syrer und ihren Göttervorstellungen bin ich seit meiner Jugend vertraut und weiß, daß dieser Menschenschlag schmackhaftes Essen schätzt, die Wohnungen rein hält und in jeder Hinsicht, vom Geldwesen abgesehen, ehrenhaft ist.
Der Krämer wohnt mit seiner Familie im Erdgeschoß und trägt täglich seinen Verkaufstisch auf die Straße vor das Haus. Eine Außentreppe führt unmittelbar zum Dach, so daß ich nach Belieben kommen und gehen und unbeobachtet Besuche empfangen kann. Diesen Vorteil für einen Mieter haben Adenabar und mein Hausherr um die Wette betont. Die Frau und die Tochter des Syrers bringen mir das Essen ins Zimmer und sehen darauf, daß stets ein Krug frisches Wasser in dem Raum hängt. Die Söhne aber wetteifern darin, Besorgungen für mich zu machen, mir Wein und Obst und was ich sonst brauche, einzukaufen. Diese Leute, denen es nicht besonders gut geht, sind froh, mich jetzt, da das Fest vorüber ist und die meisten Besucher die Stadt verlassen haben, als zahlenden Gast bei sich zu sehen.
Nachdem ich mich in meiner neuen Wohnung eingerichtet hatte, wartete ich, bis die Sterne herauskamen, und machte mich dann über die Außentreppe auf den Weg zu Nikodemus. Die Töpferei des Ratsherrn ist so bekannt, daß ich sie leicht fand. Das Tor war nur angelehnt, und als ich den Hof betrat, kam in der Dunkelheit ein Diener auf mich zu und fragte leise: »Bist du der, den mein Herr erwartet?«
Er führte mich über eine Treppe auf das Dach; zu leuchten brauchte er mir nicht, so strahlend wölbte sich der Sternenhimmel über Judäa. Als ich das Dach betrat, sah ich dort einen älteren Mann auf Kissen sitzen. Er begrüßte mich freundlich und fragte: »Bist du der Gottsucher, den der Bankier Alistarnos mir angekündigt hat?«
Er lud mich ein, neben ihm Platz zu nehmen, und begann gleich, mir mit eintöniger Stimme vom Gotte Israels zu erzählen. Er fing mit der Erschaffung von Himmel und Erde an und kam bis zu der Sage, Gott habe den Menschen nach seinem Ebenbilde aus dem Staub der Erde geformt. Dann aber unterbrach ich ihn ungeduldig mit den Worten:
»Lehrer Israels, das alles habe ich schon gehört und darüber selbst in griechischen Übersetzungen eurer heiligen Schriften gelesen. Ich wollte von dir etwas über Jesus von Nazareth, den König der Juden, erfahren. Das weißt du doch; sonst hättest du mich nicht in der Dunkelheit auf dem Dache empfangen.«
Mit unsicherer Stimme sagte Nikodemus: »Sein Blut wird über mich und mein Volk kommen. Ich bin seinetwegen voll Kummer und tödlicher Angst. Daß er zum Glaubenskünder wurde, ist Gottes Werk; nur ein von Gott Gesandter konnte die Zeichen tun, die er tat.«
Ich entgegnete: »Er war mehr als ein Glaubenskünder. Sogar mich, den Fremdling, haben die letzten Ereignisse aufs tiefste erschüttert. Du mußt ja erfahren haben, daß er von den Toten auferstanden ist, obwohl du selbst mitgeholfen hast, ihn noch vor Beginn des Sabbats in Grabtücher zu hüllen und seine Gruft zu verschließen.«
Nikodemus hob das Gesicht dem Sternenhimmel entgegen und rief in klagendem Töne: »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
Ich wies zum Himmel und fragte: »War er der aus Jakob aufgehende Stern, von dem eure Schriften künden?«
Der Ratsherr erwiderte: »Ich weiß nicht. Ich verstehe nichts und tauge nicht länger zum Lehrer Israels. Im Rat wurde ich irregeführt, indem man mir versicherte, aus Galiläa erstünde kein Prophet. Das ist insofern richtig, als darüber in den heiligen Schriften nichts ausdrücklich erwähnt ist. Aber von Jesu Mutter, die ich erst vor kurzem kennengelernt habe, erfuhr ich, daß ihr Sohn in Bethlehem in Judäa geboren wurde, zur Zeit des grausamen Herodes. Und die Schriften bezeugen, daß aus Bethlehem Ephratha der eine hervorgeht, der über Israel Herrscher sein soll. Ich habe die Texte gründlich durchforscht. Alle Weissagungen haben sich an Jesu erfüllt, sogar die, daß keines seiner Gebeine zerbrochen werden sollte.«
Er begann die Bibelstellen im Singsang zu rezitieren und übersetzte sie mir. Als das eine Zeitlang so weitergegangen war, wurde ich wieder ungeduldig und rief: »Ob die Vorhersagen eurer Schriften in Erfüllung gegangen sind, ist für mich ohne Belang. Mir kommt es nur auf eines an: Ist er auferstanden oder nicht? Wenn ja, dann ist er mehr als ein König, und seinesgleichen hat noch nie auf Erden geweilt. Diese Frage stelle ich dir ohne jeden unlauteren Hintergedanken; denn jetzt kann ihm niemand mehr etwas zuleide tun. Antworte mir! Mein Herz bebt vor Sehnsucht nach der Wahrheit.«