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»Aber laß mich meinen ganzen Zorn austoben!« fuhr sie fort. »Laß mich diese Feiglinge ausschelten! Jesus hat allein gewacht, er kannte sein Los, er betete. Blut soll er in seiner furchtbaren Todesangst geschwitzt haben. Von seinen Jüngern verlangte er nichts, als daß sie mit ihm wachen sollten. Und was taten sie? Schwer und steif wie Klötze schliefen sie im Garten! Ich kann sie nicht begreifen – kann ihnen das nicht verzeihen! Solche Hasenfüße hätten mithelfen sollen, den Tempel niederzureißen? Ach, sie waren nicht einmal Manns genug, den Verräter umzubringen; er mußte sich selbst erhängen. Ich verstehe das alles nicht. Ich weiß nicht, was der Herr in ihnen sah, warum er ausgerechnet sie als Gefolgsleute berief.«

So durch und durch weiblich war sie in ihrem eigensinnigen Bezichtigungseifer, daß ich am liebsten gelacht und ihr die Wange gestreichelt hätte; vielleicht hätte sich dann ihre Verzweiflung in Tränen entladen. Aber ich wagte nicht zu lachen und durfte sie nicht berühren. Darum sagte ich bloß, in möglichst behutsamem Töne: »Wenn dem so ist – wenn seine Jünger wirklich derartige Angst haben und trotz seiner Unterweisungen nicht wissen, was sie von ihm halten sollen –, dann ist es wohl kein Wunder, daß ich, ein Fremdling, mich nicht zurechtfinde. Übrigens dürfte vorläufig keinem seiner Jünger der Tod bestimmt sein; wenigstens so lange werden sie voraussichtlich am Leben erhalten werden, daß ihnen Zeit bleibt, sich die Lehre ihres Meisters klarer zu machen. Selbst der schärfste menschliche Verstand könnte wohl derart seltsame Dinge, wie sie sich jetzt ereignet haben, nicht im Nu begreifen. Und diese Männer stehen noch dazu im Banne aller der jüdischen Vorurteile, in die sie von Kind auf hineingewachsen sind. Deshalb wird es, glaube ich, am besten sein, wenn du dich ihnen gegenüber nicht auf mein Zeugnis berufst, ja mich überhaupt nicht erwähnst. Sie würden mich, den Römer, nur verachten, ebenso wie du dir vermutlich ihre Achtung durch den Umgang mit Ausländern verscherzt hast.«

Sie warf den Kopf in heftiger Gebärde hoch. Aber ich hob begütigend die Hand und beeilte mich zu erklären: »Nein, zwischen uns ist es anders. Gerade als Römer verstehe ich dich, Maria, bestimmt so gut, wie kein Jude dich je verstehen könnte. In Rom sind die Frauen frei und den Männern gleichgestellt; sie lesen Bücher, hören Vorträge und musikalische Darbietungen und wählen sich ihren Liebespartner nach eigenem Geschmack. Ja, sie sind den Männern sogar über, weil die Frau seit jeher schlauer und in mancher Beziehung unerbittlicher ist als der Mann und in ihren Erwägungen nicht durch die Erfordernisse logischer Folgerichtigkeit gehemmt wird. Ich schlage also vor, daß wir Freunde werden – du, Maria aus Magdala, und ich, Marcus Manilianus aus Rom. Ich schätze dich als Frau und schätze dich noch viel höher deswegen, weil Jesus dich unter seine Gefolgsleute aufgenommen hat. Es, macht den Eindruck, daß du nicht das Herz auf der Zunge trägst. Darum kann ich dir eines versichern: daß ich nach dem, was ich durch eigenen Augenschein festgestellt habe, unbedingt an Jesu Auferstehung glauben muß. Mit deiner weiblichen Feinfühligkeit mußt du mehr von seinem Wesen begriffen haben als die Jünger. Trotzdem würde ich«, bemerkte ich schließlich sehr vorsichtig, »gern mit diesen Männern, oder wenigstens mit einigen von ihnen, zusammenkommen wollen, um mir eine Vorstellung davon zu machen, aus welchem Holz sie geschnitzt sind.«

Maria Magdalena zögerte, gab dann aber widerstrebend zu: »Ich stehe nicht auf schlechtem Fuß mit ihnen. Solange sie sich versteckt halten, muß ich mich ja doch darum kümmern, daß sie Speise und Trank bekommen. Die meisten sind einfache Fischer. In ihrer Angst wissen sie nicht aus noch ein, und dann streiten sie miteinander, so daß ich sie beschwichtigen muß. Allerdings wirst du vielleicht meine Fürsorge nicht begreifen, nachdem ich eben erst mit solcher Verbitterung von ihnen gesprochen habe. Aber sie haben natürlich auch ihre guten Seiten; das muß ich anerkennen. Am liebsten würden sie nach Galiläa zurückkehren; doch vorderhand können sie sich zu gar nichts entschließen. Man würde sie ja an den Stadttoren und in den Straßen sofort an ihrer Mundart erkennen. Übrigens auch an ihren Gesichtern; denn nachdem sie zwei oder drei Jahre in Jesus Nähe gelebt haben, sehen sie nicht mehr aus wie gewöhnliche Fischer. Vielleicht verstehst du das nicht. Aber wenn du gelegentlich einmal einen von ihnen kennenlernst, wird dir bestimmt klarwerden, was ich meine.«

Plötzlich erwärmte sie sich jetzt für diese Männer und versicherte mir: »Natürlich muß der Herr seine Gründe gehabt haben, warum er sich gerade diese einfachen Leute als Jünger erwählte. Einer der wenigen unter ihnen, die vielleicht eine Schule besucht haben, ist Levi; er war Zöllner. Aber wenn ich mir gebildete Männer vorstelle, etwa Schriftgelehrte oder Philosophen, kann ich mir erst recht kaum denken, daß sie etwas von seiner Lehre erfassen könnten. Glaube mir, ein Gebildeter könnte sein ganzes Leben der Ergründung eines einzigen seiner Aussprüche widmen, ebenso wie ein Schriftgelehrter jahrelang über einem Wort der heiligen Bücher zu brüten oder wie ein Grieche ein ganzes Buch über einen Ortsnamen in der Odyssee zu schreiben vermag. Tatsächlich entsinne ich mich deutlich an einen Ausspruch Jesu, wonach seine Wahrheiten den Weisen und Klugen verborgen sind, den Kindhaften und Unmündigen aber offenbar werden.«

Ich dachte über ihre Worte nach. Daran mochte etwas Wahres sein. Ein Geist, der von früher her mit einer bestimmten Bildung und Denkweise belastet ist, könnte sich einer so völlig neuen und unerhörten Lehre, wie Maria sie mir dargelegt hatte, schwerlich ohne Zögern öffnen. Ich selbst stolpere ja auch bei jedem Schritt über altgewohnte Ansichten, über Dinge, die mir eingelernt wurden und zu Denkgewohnheiten geworden sind.

»Hat er das gemeint, als er zu Nikodemus sagte, der Mensch müsse wiedergeboren werden?« fragte ich, fast im Selbstgespräch.

»Nikodemus gehört zu den Stillen«, erwiderte Maria Magdalena. »Er ist einer der Frommen, der Wartenden; er meint es gut. Aber da er die heiligen Bücher auswendig kann, muß er alles Neue, das ihm begegnet, sofort mit den Schriften vergleichen, um es zu verstehen. Er könnte noch so gründlich wiedergeboren werden, er wird immer ein Säugling in zu enggeschnürten Windeln bleiben!«

Bei dem Gedanken an das Wickelkind mußte Maria lächeln. Als ich ihr weißes, versteinertes Gesicht sich plötzlich durch dieses Lächeln erhellen und ihre Augen aufleuchten sah, erkannte ich, daß sie offenbar früher eine unvorstellbar schöne Frau gewesen war. Auch jetzt noch mußte ich ihr, schon dieses kleinen Lächelns wegen, hohe Schönheit zubilligen. Auf merkwürdige Art erinnerte sie mich an den milde leuchtenden Mond. Dann fiel mir ein, daß sie durch den sanften Beruf einer Taubenzüchterin wohlhabend geworden war.

»Du hast es nicht nötig, dich kohlschwarz zu kleiden«, sagte ich unwillkürlich. »Deine Farben sind silbergrau und grün, Maria Magdalena. Deine Blume ist das Veilchen, dein Stirnreif ein Myrtenkranz. Mich kannst du nicht täuschen.«

Sie erschrak und entgegnete spöttisch: »Spielst du den Wahrsager? Sprich mir nicht von irdischen Dingen! Auch wenn ich wieder Silbergrau und Grün trüge, hätten die Götzen dieser Erde keine Macht mehr über mich. Ich brauche nur seinen Namen auszusprechen – Jesus Christus, Sohn Gottes –, und schon flieht alles Üble von mir, und die irdischen Mächte verblassen zu Schatten, die mir nichts anhaben können.«

Ihren Worten entnahm ich, daß sie noch immer an ihre bösen Geister und Qualen während der Anfälle von Besessenheit dachte. Meine Neckerei tat mir sofort leid, als ich sah, wie das Lächeln um ihre Lippen erstarb und das Gesicht wieder starr wie Stein wurde. Nur in den Tiefen der Augen glühte noch ein unsteter Funke. Trotzdem konnte ich mich nicht enthalten zu sagen: »Bist du ganz überzeugt davon, Maria Magdalena, daß nicht auch du alles Neue, um es zu verstehen, mit deinen früheren Gedanken vergleichst? Bist du ganz überzeugt davon, daß du mehr getan hast, als deine einstigen bösen Geister durch einen neuen, noch mächtigeren Dämon zu ersetzen?«