Выбрать главу

Er zischte mir seinen Haß entgegen, daß ich den Gestank seines Atems roch; ich konnte mich nicht losreißen, so fest klammerte er sich an meinen Mantel.

»Du bist ein rechter Einfaltspinsel!« höhnte er und zeigte auf seine Augenhöhlen. »Nicht einmal Gott selber könnte Augen, die einmal ausgeronnen sind, wieder nachwachsen lassen. Übrigens möchte ich gar nicht das Augenlicht zurückhaben. Was gibt's denn schon für unsereinen auf der Welt zu sehen?«

Ich hätte mich nur freimachen können, wenn ich dem Mann einen Stoß versetzt hätte, aber ich brachte es nicht über mich, die Hand gegen ihn zu erheben. Auch wenn ich gewollt hätte, wäre es mir, glaube ich, unmöglich gewesen, ihn zu schlagen. »Beruhige dich, du Mann ohne Sünde!« war alles, was ich bemerkte. »Wir sind nicht mehr weit vom Stadttor. Dort verlasse ich dich, damit deine Reinheit nicht länger gefährdet ist.«

»Wenn ich nur stärker wäre!« seufzte er. Dann starrte er mich mit den leeren Augenhöhlen an und rief: »Ich zeige dir was, Fremdling!« Und plötzlich schlang er mir mit unerwarteter Wucht seinen Arm von hinten um den Hals und stieß mir sein spitzes Knie in den Rücken. Ich spürte, wie seine freie Hand nach meinem Geldbeutel tastete. Hätte er mehr Kraft gehabt, so wäre ich wirklich in ernstliche Bedrängnis geraten, um so mehr, als ich nicht einmal um Hilfe schreien konnte. So aber fiel es mir nicht schwer, seinen widerlich riechenden Arm zur Seite zu drehen und mich aus seinem Räubergriff zu befreien.

Keuchend polterte er: »Einen guten Rat gebe ich dir, Fremdling: Laß dir das eine Lehre sein! Überleg dir's künftig, dem Wunsch eines Unbekannten nachzukommen und Bettler auf menschenleeren Straßen zu führen! Wäre ich nur ein bißchen stärker, so hätte ich dich untergekriegt und Kameraden zu Hilfe gepfiffen. Du wärest deinen feinen Mantel und deinen Geldbeutel losgeworden. Wenn ich ein schlechter Kerl wäre, hätte ich dir mit dem Daumen die Augen eingedrückt, so daß du nicht mehr imstande gewesen wärest, mich zu erkennen und gegen mich Zeugnis abzulegen. Und gar, falls du ein Römer wärest, ja, da hätte ich dich mit Wonne umgebracht.«

»Schönen Dank für die Belehrung!« sagte ich spöttisch. »Woher weißt du übrigens, daß ich kein Römer bin?«

Der Bettler erwiderte: »Ein Römer hätte sich nicht dazu herbeigelassen, mich so wie du zu führen, du vertrauensseliger, weltfremder Alberling! Von einem Römer hätte ich einen Fußtritt bekommen oder einen Peitschenhieb über die Schnauze. Von diesen Kerlen darf man sich keine Gutherzigkeit erwarten; sie haben nichts anderes im Kopf, als Straßen und Wasserleitungen zu bauen und dafür zu sorgen, daß Maß und Gewicht nicht verfälscht werden.«

Wir hatten die Zisternen nahe dem Stadttor erreicht. Ich fragte: »Hast du selbst mit dem Lahmen gesprochen, von dem du erzähltest? Zürnt er tatsächlich dem Manne, der ihn geheilt hat?«

»Gesprochen hab ich nicht mit ihm«, gestand der Blinde. »Ich wiederhole nur, was ich gehört habe. Aber warum hat der Wundertäter nur diesen einen und ein paar andere geheilt? Warum nicht uns alle? Warum soll dem einen die Sonne leuchten, während die anderen ewig im Dunkel bleiben? Du mußt zugeben, daß wir unsere Gründe haben, wenn wir auf diesen Krankenheiler schlecht zu sprechen sind.«

»Du wirst ja auch gehört haben«, bemerkte ich, »daß er, der König Jesus, am dritten Tage nach seiner Grablegung wieder auferstanden ist.«

Der Bettler bog sich vor Lachen. »Weiberklatsch!« fauchte er. »Und du, ein erwachsener Mann, glaubst so etwas!« Aber sein Lachen klang ebensosehr nach Schluchzen wie nach Höhnen. »Es ist doch klar, daß seine Jünger den Leichnam aus dem Grabe gestohlen haben«, stieß er hervor, »um den Volksbetrug vollzumachen. Es gibt einen Gott im Himmel, das weiß ich. Aber hier auf Erden regieren nur das Geld und die Faust.«

Wütend tastete er mit seinem Stock auf der Straße vor sich her, bis er auf einen Steinbrocken stieß. Er bückte sich und hob ihn auf. »Hier ist ein Stein«, schrie er und hielt ihn mir vor die Nase. »Glaubst du, daß er sich in Brot verwandeln kann? Ebensowenig kann die Welt im ganzen sich ändern, diese Welt voll Haß und Mord und Buhlerei, diese Welt voll Gier und Rachsucht! Der Gott Israels ist ein Gott der Vergeltung. Eines Tages werden auch die Römer den gebührenden Lohn erhalten; aber wenigstens ist das dann nicht diesem Galiläer zu verdanken.«

Eine seltsame Erregung überkam mich, und meine Glieder wurden kalt. »Jesus von Nazareth!« murmelte ich. »Wenn du mehr als der Judenkönig warst und bist, wenn du in deinem Reiche weilst und das Reich noch hienieden ist, so verwandle diesen Stein in Brot, auf daß ich an dich glaube!«

Als der Bettler meine Worte hörte, schob er seinen Stock unter die Achsel und fing an, den Brocken zwischen den Händen zu rollen, um ihn zu befühlen. Unter dem Druck seiner Finger begann der Stein nachzugeben. Mißtrauisch blies der Bettler Staub von dem Klumpen, hob ihn zur Nase und roch daran. Noch ungläubiger brach er ein Stück ab, schob es in den Mund, kostete, kaute und schluckte. »Das ist ja gar kein Stein, sondern Käse!« rief er, voll Spott über meine Albernheit.

Ich konnte nicht umhin, auch ein Stück von dem innen weißen Knollen abzubrechen und zu kosten. In der Tat, es war ein harter, kugelförmiger Landkäse! Er mußte unversehens von einem Bauernwagen oder aus einer Traglast gefallen und später so vom Straßenstaub überkrustet worden sein, daß er wie ein Stein aussah und sich auch so anfühlte.

Der Bettler mummelte an einem Bissen und fragte argwöhnisch: »Bist du ein Zauberer? Hast du durch Anrufung des Nazarenernamens den Stein in meinen Händen zu Käse gemacht?«

»Käse oder Brot, jedenfalls ist es menschliche Nahrung«, erklärte ich. »Wenn er imstande war, auf meine Bitte und Anrufung hin so etwas zu wirken, dann mußt du auch an seine Auferstehung glauben.«

Aber schon während meiner Worte stiegen mir Zweifel auf. Vielleicht hatte ich unbewußt an dem vermeintlichen Stein, den der Mann zufällig von der Straße auflas, etwas Ungewöhnliches bemerkt? Auch der Fund an sich wäre ja schon ein ganz erstaunlicher Zufall gewesen; aber es gibt noch merkwürdigere Fügungen.

Der Blinde dachte praktischer. Rasch, als fürchte er, ich könnte ihm den Käse entreißen, schob er ihn in den Proviantbeutel, den ich ihm gegeben hatte. Dann begann er mit dem Stock nach anderen Steinen am Straßenrand zu stochern, kniete hin und betastete sie. Aber die Steine waren Steine – zwar runde Knollen, genau so wie der Käse; doch sie blieben Steine. Nach einer Weile gab er seine Suche auf.

Nun stiegen wir aus dem Kidrontal zur Stadtmauer auf, und an ihr entlang führte die Straße in sanfter Neigung gegen das Stadttor hin. Dadurch befanden wir uns im tiefen Schatten der Stadt, während der einsame Hügelkamm jenseits von uns durch die untergehende Sonne in rotes Licht getaucht wurde. Von gespenstiger Angst erfüllt, blickte ich ringsumher und betete laut: »Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meines Unglaubens!«

Da fiel ein gewaltiger Lichtschein auf mich, und plötzlich wurde mir alles Körperhafte so wesenlos, daß die seelische Wirklichkeit in mir gegenständlicher war als die wuchtige Stadtmauer vor mir. Für einen ahnungsvollen Augenblick wurde, wie während meines Traumes im Hause des Lazarus, diese Wirklichkeit so sinnfällig wie sonst die Wirklichkeit des Bodens und der Steine, ja noch sinnfälliger als sie. Aber der Blinde merkte nichts; er beschwor mich nur in kläglichem Töne: »Wenn dieser Mann tatsächlich auferstanden ist, so rufe ihn nicht an und nenne nicht mit lauter Stimme seinen Namen! Sein Blut kommt sonst auch über mich!«

Der Glanz erlosch ebenso plötzlich, wie er aufgezuckt war. Meine Augen waren noch geblendet, und ich hob die Arme, als wollte ich die herrliche Unbeschwertheit, die ich empfunden hatte, festhalten. Wieder sank der Schatten der Stadtmauer auf mich, sogar noch dunkler als vorhin, und mit bleiernen Gliedern kehrte ich zur Erde zurück. Als ich über das Tal hinweg auf den steilen, sonnenbeschienenen Hügel blickte, sagte mir der Verstand, daß dort irgend etwas aufgeleuchtet und die Strahlen für einen Augenblick auf mich geworfen haben mußte, so wie man mit einem Spiegel zum Scherz mitten in eine Schattenfläche einen Lichtfleck zaubern kann.