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Johannes sah ihn mit seinem kristallklaren Blick an und mahnte: »Seit Jesus dich erwählte, hast du kein Zuhause mehr. Du hast dein Arbeitsgerät hingelegt und bist ihm gefolgt. Niemand, der seine Hand an den Pflug gelegt hat und zurückblickt, taugt für sein Reich. So hat der Herr es selber gesagt. Nein, Thomas, zu unserem früheren Dasein können wir nicht zurückkehren.«

»Welche Bewandtnis hat es mit seinem Reich?« fragte ich rasch.

Aber Thomas schüttelte nur mit spöttischer Miene den Kopf und sagte: »Jedenfalls sieht dieses Reich nicht so aus, wie wir es uns vorgestellt hatten, Fremdling.«

Wieder schlug er mit der Faust auf die Handfläche und rief in ohnmächtiger Wut: »War ich denn nicht sogar bereit, ein Schwert gegen meinen Mantel einzutauschen und mit dem Herrn und für ihn zu sterben? Wir selber können nur auf Gottes Gnade hoffen! Aber er, der Menschensohn, hatte Macht und Kraft, der Welt seinen Willen aufzuzwingen. Doch er duldete es, stumm wie ein Lamm, als man ihn ans Kreuz nagelte, und ließ uns in solcher Bedrängnis zurück, daß wir nicht wissen, was wir glauben oder wohin wir uns wenden sollen.«

Nach einer kleinen Weile fügte er hinzu: »Wenn einer gesteinigt wird, rinnt ihm Blut aus dem Munde; Blut und Schleim träufeln ihm aus der Nase; er schreit und weint und entleert alle Unreinlichkeiten des Körpers in die Kleider, bevor er den Geist aufgibt. Warum sollen wir uns diesem Schicksal ausliefern – jetzt, nachdem unser Meister dahingegangen ist und uns im Stich gelassen hat?«

Johannes klopfte ihm liebreich auf die Schulter und sagte voll Überzeugung: »Als die Stunde kam, waren wir alle gleich schwach. Aber denke daran, daß er versprochen hat, uns von seinem Vater her einen Helfer zu senden!«

Thomas stieß ihn zornig an, als hätte er ein Geheimnis ausgeplaudert, und erklärte, um meine Aufmerksamkeit abzulenken: »Du hast leicht reden, Johannes. Du weißt wenig von der Härte des Lebens. Als Lieblingssohn deines Vaters hast du in seinem Fischereibetrieb zusammen mit deinem Bruder ältere Männer unter dir gehabt. Als ich dem Rufe Jesu folgte, tat ich es, weil ich ein Herz hatte für die schwer arbeitenden und geknechteten Menschen. Aber welchen Trost diese Unterdrückten aus seinem sinnlosen Tode schöpfen sollen, geht über meine Begriffe. Das einzige, was er damit erreicht hat, war, daß er den Spott des Rates und der Römer auf sich selber und auf uns lenkte.«

Aber es gelang ihm nicht, mich von der Spur abzubringen. Neugierig fragte ich Johannes: »Was hast du da von einem Helfer gesagt?«

Johannes blickte mich treuherzig an und gab zu: »Was damit gemeint war, habe ich nicht verstanden und verstehe es auch jetzt nicht. Aber ich baue auf sein Versprechen. Irgend etwas Besonderes steht uns, wie du selbst sagtest, sicherlich noch bevor. Deshalb bleiben wir in Jerusalem.«

Sie sahen mich beide an, und ihre Gesichter waren so verschieden, wie zwei Menschenantlitze es überhaupt sein können. Aber in beiden war etwas Gleiches oder doch Ähnliches, das sie, trotz aller Bitterkeit in Thomas' Worten, miteinander verband. Ich dachte daran, was Maria Magdalena mir über Jesu auserwählte Sendboten gesagt hatte; jetzt verstand ich den Sinn ihrer Worte. Ich glaube, ich wäre imstande gewesen, diese Gesichter inmitten der größten Menschenmenge herauszufinden. Jetzt, nach dieser Begegnung, würde ich, so kam mir vor, auch jene Sendboten erkennen, deren Mißtrauen so stark war, daß sie eine Zusammenkunft mit mir überhaupt ablehnten.

Da die beiden Jünger weiter kein Wort mehr sprachen, mußte ich erkennen, daß sie mich, bei allem guten Willen von seiten des Johannes, als Eindringling betrachteten. Mir war, als würde ich unwiderruflich von ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen. Schließlich sagte ich daher verlegen:

»Ich bin euch wohlgesinnt. Allerdings bin ich nicht Jude, ein Unbeschnittener, und gedenke es zu bleiben. Aber mir wurde erzählt, daß Jesus sogar zu Samaritern, die den Juden ein Greuel sind, gutherzig war. Er soll auch den Knecht eines römischen Hauptmannes in Galiläa geheilt haben, weil der Römer an seine Heilkraft glaubte. Auch ich glaube an seine Macht und Stärke; ich glaube daran, daß er noch lebt und daß er wieder erscheinen wird. Wenn es dazu kommt, so laßt mich, bitte, nicht draußen in der Finsternis! Ich werde ihm doch nichts zuleide tun. Wie könnte übrigens ein Mensch einem Wesen etwas anhaben, das aus dem Grabe auferstanden ist und durch verschlossene Türen kommt und geht? Auch ihr habt von mir nichts zu befürchten; im Gegenteil, ich will euch nach Kräften helfen. Ich wohne in dem Hause des syrischen Krämers beim Hasmonäerpalast. Ich bin wohlhabend und kann euch nötigenfalls auch mit Geld beispringen.«

»Beweise das!« rief Thomas und streckte die schwielige Hand aus.

Aber Johannes lehnte mein Angebot ab. »Solche Hilfe brauchen wir nicht – zumindest vorderhand nicht. Meine eigene Familie ist begütert, und Matthäus hat Geld. Außerdem hatte der Meister reiche Gönner, die auf unseren Wanderungen für unseren Unterhalt aufkamen, da sie anders dem Herrn nicht Gefolgschaft leisten konnten. Nein, nein, wir brauchen weder Brot noch Kleidung, sondern nur Dinge, die er allein uns geben kann. Wenn er wiederkommt, werden wir dich nicht vergessen. Aber Geheimnisse, die er uns anvertraut hat, darf ich natürlich einem Fremden nicht preisgeben.«

Thomas bemerkte warnend: »Mir scheint, es war ein Fehler, auf Maria zu hören. Die Neugier dieses Römers verspricht nichts Gutes.«

Dann wandte er sich zu mir und sagte in drohendem Töne: »Wisse, daß wir im Gefolge des Herrn die Macht hatten, Kranke zu heilen, ja sogar böse Geister auszutreiben. Jetzt liegen zwar unsere Kräfte ganz darnieder; aber du tätest doch gut daran, dich vor uns zu hüten. Uns hat ja der Herr zu seinen Jüngern erwählt; wir waren es, die nach Gutdünken bestimmte Leute bei ihm vorließen und anderen den Zugang verwehrten. Wenn schon einer von uns Zwölfen zum Verräter werden konnte, wie sehr müssen wir erst einem Außenstehenden mißtrauen!«

»Ich fürchte weder euch noch eure Kräfte«, sagte ich. »Ich habe nie davon gehört, daß Jesus seine Macht auch nur gegen einen Widersacher gebraucht hätte, geschweige denn gegen jemanden, der ihn mit Inbrunst sucht.«

»Oh, du bist ja glänzend unterrichtet!« rief Thomas. »Aber eines Tages hat er doch einen Feigenbaum verflucht, so daß er vor unseren Augen verdorrte, und zwar bloß deshalb, weil er nichts als Blätter an ihm fand und keine Früchte. Dabei war nicht einmal die Jahreszeit für Feigen.«

Johannes warf ein: »Wir haben wohl nie richtig erfaßt, was er damit gemeint hat. Es muß eines jener Gleichnisse gewesen sein, die wir nicht verstanden.«

»Nur zum Volk hat der Herr in Gleichnissen geredet«, widersprach Thomas. »Zu uns sprach er ganz offen. Aber wenn wir ihn damals nicht begriffen, wie sollten wir es jetzt? Darum wäre es besser, wir verlassen die Stadt ohne weiteres Zaudern.«

Ich wurde seiner Einwände und Drohungen müde. »Nun, wie' ihr wollt!« sagte ich. »Es tut mir leid, daß ich euch zu einer Zeit gestört habe, da andere Dinge euch so bedrücken. Ich selber bin von Alexandria hierhergereist, um den Weltherrscher zu suchen, dessen Geburt verschiedene Weissagungen ankündeten. Solche Prophezeiungen laufen auch bei anderen Völkern um, nicht nur bei den Juden. Das vorausgesagte Zeichen ist auch in Rom und in Griechenland beobachtet worden. Und diesen Weltherrscher habe ich in Jesus von Nazareth gefunden, der als Judenkönig ans Kreuz geschlagen wurde und dessen Sterben ich mit angesehen habe. Allerdings ist sein Reich anders, als ich es mir vorstellte, und anscheinend auch anders, als ihr es erwartet habt. Ich glaube nicht, daß ihr mich daran hindern könnt, dieses Reich zu suchen. Jesu Auferstehung hat mich davon überzeugt, daß sein Reich Wirklichkeit geworden ist.«