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Aber nach diesen Worten brannten mir die Augen vor Tränen der Enttäuschung. Ich wandte den Kopf ab und schaute mit getrübtem Blick in den großen Speisesaal, dessen Ecken im Dunkel lagen. Für einen kurzen Augenblick bemächtigte sich meiner das gleiche Gefühl einer fremden Gegenwart wie während meines Schlafes im Obergemach des Lazarushauses. Aber diesmal konnte es kein Traum sein. Ich war im Gegenteil hellwach und allen Eindrücken offen. Mich erfüllte das Verlangen, den Auferstandenen anzurufen und beim Namen zu nennen, so wie kürzlich, als der Stein in den Händen des Blinden zu Käse geworden war. Aber in diesem Raum und in Gegenwart dieser beiden Männer hielt Befangenheit mich von einer solchen Anrufung ab. Sosehr diese Jünger sich auch drehten und wendeten, sie mußten ein verborgenes Wissen besitzen. Jesus hatte sie sicherlich Geheimnisse gelehrt, und ihnen war nicht der Tod bestimmt, ehe sie den Zweck erfüllten, den er allein kannte und den sie noch nicht verstanden.

Nein, ich wagte nicht, seinen Namen laut auszusprechen. Bescheiden sagte ich: »Friede sei mit euch!« und wandte mich zum Gehen.

Thomas begleitete mich zur Tür, um sie zu öffnen. Als er aber den großen Holzschlüssel gedreht hatte und den Griff faßte, ließ die Tür sich nicht öffnen. Er rüttelte und drehte den Schlüssel nochmals herum, aber vergebens. »Die Tür muß sich geworfen haben und klemmt jetzt«, brummte er ärgerlich.

»Reiße nicht so daran, sonst sprengst du das Schloß!« warnte Johannes und kam ihm zu Hilfe. Doch auch er richtete nichts aus. Sie waren beide verdutzt und blickten mich vorwurfsvoll an, als läge die Schuld an mir. Deshalb versuchte ich ebenfalls mein Glück. Ich hatte nicht viel Erfahrung mit hölzernen Schlössern und Schlüsseln; aber ich drehte nur den Schlüssel und es gelang mir ohne weiteres, die Tür zu öffnen. Kühle Nachtluft wehte mir entgegen. Über dem Hof sah ich einen ausgestirnten Himmel, und eben flog, wie als Zeichen für mich, ein Stern in goldener Bahn über das Firmament.

Ich nahm den Vorfall mit der Tür und das Aufleuchten der Sternschnuppe als Unterpfand dafür, daß er, der Judenkönig, mich nicht aus seinem Reich ausschließen würde, wie seine Sendboten es zu tun wünschten. Sie jedoch erblickten darin keinerlei Omen. Thomas drehte bloß den Schlüssel im Schloß und murmelte zu sich selbst, er als armer Mann könne eben mit derlei Vorrichtungen nicht umgehen, weil er nichts besitze, was man versperren müßte.

Die beiden Jünger blieben im Obergemach und ließen mich allein die Treppe hinuntergehen. Im Hof aber trat der junge Markus auf mich zu und fragte fürsorglich: »Wirst du wohl selbst den Weg zu deiner Wohnung finden, Fremdling? Es hat schon die zweite Nachtwache begonnen.«

Ich erwiderte: »Sorge dich nicht um meine Sicherheit! Nathanael hat mich zwar, vor Angst keuchend, auf Umwegen durch gewundene Seitengassen geschleppt, nur damit ich nicht weiß, wo ich mich befinde. Aber ich hoffe trotzdem, in die Unterstadt und in meine Wohnung zurückzufinden. Ich gehe zuerst durch die Mauer und dann bergab; die Richtung finde ich schon nach den Sternen. Sobald ich einmal das Theater und das Forum erreiche, frage ich mich schon durch.«

Doch Markus sagte voll Eifer: »Vater und Onkel haben mir aufgetragen, dich heute abend zu betreuen. Imbiß habe ich dir keinen angeboten, weil die Sendboten unseres Herrn mit dir als einem Römer nicht essen wollten. Aber gestatte mir wenigstens, dir meine Gastfreundschaft dadurch zu erweisen, daß ich dich zu deiner Wohnung zurückbegleite.«

Lächelnd wehrte ich ab. »Du bist jung, und junge Leute brauchen Schlaf. Du hast schon lange genug meinetwegen aufbleiben müssen.«

»An Abenden wie dem heutigen kann man nicht schlafen«, erklärte Markus. »Warte, ich hole nur meinen Mantel.«

Am Haustor schalt ihn die schläfrige Magd; doch er lachte bloß, tätschelte ihr die Wange und schlüpfte mit mir durch den Torbogen. Ich bemerkte, daß er einen Stock mit bleibeschwertem Knauf mitgenommen hatte; diese Entdeckung bereitete mir nicht ausgesprochene Freude, obwohl ich vor einem halbwüchsigen Jungen keine Angst hatte.

Entgegen meinen anfänglichen Befürchtungen geleitete er mich geradeaus bergab, offensichtlich, ohne mich in die Irre führen und so am Erkennen des Heimwegs behindern zu wollen. An dunklen Stellen nahm er mich an der Hand, damit ich nicht stolpern sollte. Mir kam vor, daß er sehr gern mit mir gesprochen hätte, sich aber nicht traute, weil ich beharrlich schwieg, von tiefer Niedergeschlagenheit bedrückt, obwohl im Grunde meines Herzens noch Hoffnung lebte.

Schließlich fühlte ich mich gedrängt zu sagen: »Du hast ihn also auch gekannt, diesen Jesus von Nazareth?«

Markus drückte mir heftig die Hand und antwortete: »Ja, gewiß. Ich habe das Mahl vorbereitet und aufgetragen, als er in unserem Hause mit seinen Sendboten nach der Sitte der Wüstenheiligen um einen Tag früher, als es allgemein der Brauch ist, das Osterlamm aß. Das war sein letzter Abend. Aber ich habe ihn schon früher gesehen und ihm als dem Sohne Davids zugejubelt, als er auf einer Eselin in Jerusalem einritt.«

Er prahlte ein wenig: »Das Reittier hat ihm mein Vater verschafft; es wartete an einem bestimmten Platz darauf, von den Jüngern geholt zu werden. An diesem Tage haben die Leute ihre Überkleider auf die Straße vor Jesus hingebreitet, haben Palmwedel geschwungen und Hosianna geschrien. Vater und Onkel ließen Jesus unentgeltlich das Obergemach benützen.«

Ich wurde neugierig und fragte: »Wer ist dein Vater? Wieso konnte er sich derart für Jesus einsetzen, ohne die Behörden fürchten zu müssen?«

Die Miene des Jungen verfinsterte sich, und er sagte leise: »Mein Vater wünscht nicht, daß sein Name mit diesen Dingen in Verbindung gebracht wird. Aber er gehört, obwohl er reich ist, zu den Stillen, und ich glaube, seine gleichgesinnten Freunde haben ihn gebeten, den König zu beschützen. Jesus wollte jedoch nicht meinen Vater oder dessen Familie dadurch gefährden, daß er sich in unserem Hause gefangennehmen ließe, und so begab er sich für die Nacht nach Gethsemane. Aber Judas, der Verräter, kannte unser Obergemach; so kamen die Schergen zuerst zu uns, mit brennenden Fackeln und klirrenden Waffen, und trommelten an der Tür. Damals war es, daß ich aus dem Bett sprang und ihn warnen lief.«

Zur Erklärung fügte er bei: »Mein Vater kann sich vor dem Rat immer damit rechtfertigen, daß er den Saal regelmäßig für Gesellschaften, Hochzeiten und dergleichen vermietet. Und es hat ihn auch nie jemand belästigt, weil ei unter den führenden Männern Freunde hat. Man weiß genau, daß die Galiläer sich jetzt in diesem Raum jedesmal nach Einbruch der Dunkelheit zu versammeln pflegen; aber niemand will durch ein Einschreiten gegen sie die allgemeine Aufmerksamkeit auf diese Männer lenken und die Erregung wieder schüren. Auf den hohen Herren laste! schon schwer genug das Schuldbewußtsein, weil sie auf so schreckliche Art den Sohn Gottes gemordet haben.«

»War er der Sohn Gottes?« fragte ich, um den Jungen auf die Probe zu stellen.

Freimütig erwiderte Markus: »Natürlich war er der Sohn und der Gesalbte Gottes! Nur ein von Gott Gesandter konnte das vollbringen, was er gewirkt hat. Und überdies ist er ja aus dem Grabe auferstanden und lebt, obwohl ei schon tot war. Mein Onkel Nathanael hat sogar nachher noch mit ihm gegessen. Ein Leichnam oder ein körperloser Geist, die können nicht essen. Darum ist er zweifellos am Leben.«

Im Herzen gefiel mir dieser unentwegte kindliche Glaube; meine Vernunft jedoch trieb mich an, spöttisch zu sagen: »Allzusehr mit Wissen belastet bist du offenbar nicht, nachdem du so bereitwillig alles glaubst, was du hörst.«

Der Junge wollte den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen. »Ich kann griechisch lesen und schreiben, und ein bißchen lateinisch auch. Mein Vater hat Geschäftsverbindungen mit Zypern und sogar bis nach Rom. So unwissend, wie du meinst, bin ich nicht. Aber bedenke, daß ich Jesus des öfteren gesehen und sprechen gehört habe. Einmal hat er mir, als er bei uns weilte, die Hand auf den Kopf gelegt. Für dich muß es schwerer sein zu glauben, weil du ihn, wie mir gesagt wurde, nur sterben gesehen hast; ich aber sah ihn in den Tagen seiner Kraft und Macht.«