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Wir hatten die Mauer erreicht, die Ober- und Unterstadt scheidet, und ich blieb an dem Tor stehen, wo ich Maria von Beeroth getroffen hatte. »Von hier aus finde ich mich schon zurecht«, sagte ich. Doch ich zögerte mit dem Weitergehen, und auch Markus schien noch nicht gewillt, mich zu verlassen. Wieder fiel ein Stern vom Firmament, und wir sahen ihn beide.

»Sogar der Sternhimmel ist in diesen Tagen voll Unruhe«, bemerkte ich. »Irgend etwas liegt in der Luft. Vielleicht beginnen eben jetzt die Tage des Reiches, aber auf eine Art, die wir noch nicht erfassen.«

Markus verabschiedete sich nicht und traf keine Anstalten heimzugehen. Verlegen zupfte er an seinem Mantel und scharrte mit dem Stock am Boden.

»Es wundert mich nur«, sagte ich, »daß Nathanael den Auferstandenen nicht gleich erkannte, und auch Maria Magdalena erst dann, als er sie beim Namen rief.«

»Sie waren völlig unvorbereitet«, erwiderte Markus zu ihrer Rechtfertigung. »Auch bei Jesu Lebzeiten war übrigens seine Erscheinung vielgestaltig und änderte sich je nach seiner Gemütsstimmung. Das ist schwer klarzumachen. Es schien, als hätte er jedermanns Züge. Alle, die an ihn glaubten, fanden, er gleiche irgendwem, den sie einst geliebt hatten. Man konnte ihm kaum recht ins Gesicht schauen. Sein Blick war zu feierlich. Ich habe oft bemerkt, daß alte Männer, wenn sie ihn trafen, die Augen senkten.«

»Da magst du recht haben«, stimmte ich bei. »Ich sah ihn, ohne etwas von ihm zu wissen, am Kreuze leiden. Aber auch ich konnte ihm nicht ins Gesicht schauen. Ich wäre ganz außerstande, sein Aussehen zu beschreiben. Allerdings herrschte ziemliche Dunkelheit. Ich sagte mir vor, nur die Achtung vor seiner Todesqual habe mich davon abgehalten, ihn anzustarren; doch vielleicht hätte ich es auch, wenn ich dazu willens gewesen wäre, nicht vermocht. Und das erstaunt mich keineswegs, nachdem er Gottes Sohn war. Sogar die Soldaten gaben das zu, als im Augenblick seines Todes die Erde bebte.«

Dann jedoch mußte ich meiner Erbitterung Luft machen und noch hinzufügen: »Nach welchen Gesichtspunkten er allerdings seine Sendboten auserwählt hat, weiß ich nicht. Jedenfalls sind es unwissende Leute, die meiner Ansicht nach nicht das Recht haben, andere Menschen von der Nachfolge ihres Lehrers fernzuhalten. Damit handeln sie falsch und böse. Ich bin der gleichen Gesinnung wie sie. Aber sie treiben ihre Ängstlichkeit so weit, daß sie seine Geheimnisse als ihr Eigentum hüten. Dabei würden sie wohl, auch wenn sie ihr Versteck verließen, jetzt kaum mehr Gefahr laufen, verfolgt zu werden.«

Markus sann nach und meinte dann: »Ich glaube, du tust ihnen unrecht. Unwissend sind sie vielleicht; aber sie haben etwas, was anderen Menschen fehlt. Ich meine, sie allein konnten es wagen, dem Herrn unangefochten ins Gesicht zu blicken. Zumindest Johannes tat es. Ihn hat Jesus am liebsten gehabt. Geh nicht zu streng mit ihnen ins Gericht, Fremdling!«

Aber ich hörte das Lächeln in seiner Stimme, als er fortfuhr: »Immerhin muß ich gestehen, daß sie nicht jederzeit leicht zu begreifen sind. Auch mein Vater scheint ihrer müde zu sein, wegen ihrer Streitigkeiten und ihres Ungestüms. Besonders Petrus, der an Körpergröße alle überragt, ist herrschsüchtig und zetert mit den Frauen, obwohl sie es sind, die den Männern die Verpflegung besorgen und ihr Versteck bewachen. Bei all seiner Massigkeit und Kraft ist er recht kindlichen Gemütes. Übrigens sind die Galiläer überhaupt anders als wir hier in Jerusalem. Sie erfassen die Feinheiten der heiligen Schriften nicht so wie die Lehrer Israels. Sie sind einfache Menschen vom Lande, Dörfler, und fassen alles handgreiflich, sinnenfällig auf.«

Nach einigem Zögern gab er noch zu: »Mit Fremden sind sie kurz angebunden, das stimmt. Schon bei Jesu Lebzeiten ließen sie nicht jeden zu ihm. Auch jemand anderer hat sie kürzlich schon aufgesucht; aber sie weigerten sich sogar, ihn zu empfangen, weil sie ihn nicht als wahres Kind Israels betrachteten.«

Das erregte meine Neugier. »Erzähle mir davon!« bat ich.

»Hast du gehört, daß Jesus auf dem Weg zur Richtstätte zu Boden fiel, weil der Kreuzesarm, den er zu tragen hatte, ihm zu schwer wurde?« fragte Markus. »Die Römer griffen aufs Geratewohl einen Mann, der gerade vom Felde in die Stadt ging, auf und zwangen ihn, das Kreuz zu tragen. Sie hielten ihn für einen gewöhnlichen Landarbeiter; aber er ist ein reicher Gutsbesitzer und in der Synagoge der Libertiner sehr angesehen. Erst wollte er gegen den Willkürakt der Römer aufbegehren; dann jedoch besann er sich eines anderen. Damals wußte er noch nichts von dem, was da vorging. Er ist nämlich aus Kyrene und hält sich von Politik fern. Als er jedoch später erfuhr, was sich da abgespielt und wessen Kreuz er getragen hatte, erfüllte ihn Kummer, und er wollte von den Jüngern mehr über Jesus erfahren. Indes mißtraute Petrus sogar ihm. Allerdings war das gerade zu der Zeit, da die Jünger in der größten Angst lebten. Simon kam niemals wieder, sie nach dem Wege zu fragen. Es könnte sich dir, denke ich, verlohnen, ihn ausfindig zu machen und mit ihm zu reden. Vielleicht hat Jesus ihm unterwegs etwas Bedeutungsvolles gesagt, was ihn hinterher so bedrückt hat.«

»Wo kann ich ihn finden?« fragte ich.

»Er wird Simon von Kyrene genannt«, erwiderte Markus. »Erkundige dich in der Synagoge der Libertiner nach ihm! Da erhältst du bestimmt Auskunft.«

»Was ist das für eine Synagoge?« wollte ich wissen.

»Dort liest man die heiligen Schriften auf griechisch«, erläuterte Markus. »Die Synagoge wurde von Freigelassenen gegründet, die als reiche Leute aus Rom zurückkamen. Auch Einwanderer aus Alexandria und Kyrene unterstützen sie, weil diese in der Fremde Geborenen gewöhnlich so wenig von ihrem hebräischen Volkstum bewahrt haben, daß sie nicht einmal mehr die Sprache unserer Väter verstehen. Es ist eine wohlhabende, freisinnige Synagoge, die ihren Anhängern keine überschweren Lasten auferlegt. Ich glaube, dort würde man dich freundlich empfangen, wenn du dir an einem Sabbat die Schriftlesung auf griechisch anhören wolltest.«

Das war ein wertvoller Wink. »Ich danke dir, Markus«, sagte ich. »Von den Jüngern wurde ich abgewiesen und aufgefordert, mir den Weg selbst zu finden. Vielleicht sucht dieser Simon ihn auch. Zu zweit sucht es sich leichter als allein. Friede sei mit dir!«

»Auch mit dir, Freund des Statthalters!« grüßte der Junge beziehungsvoll. »Und wenn jemand dich fragt, wirst du ja jetzt bestätigen können, daß es hier keine gefährliche Verschwörung mehr gibt.«

»Ich bin mein eigener Freund; einen anderen habe ich nicht«, erwiderte ich, erzürnt über die Unverblümtheit, mit der dieser Junge mich verdächtigte, ich könnte meine Beobachtungen den Römern weitergeben. »Aber sollte jemand mich zufällig fragen, so könnte ich jedenfalls bezeugen, daß zumindest jene beiden Männer, mit denen ich jetzt sprach, weder Brandstifter noch Umstürzler sind. Doch ich glaube nicht, daß mich irgendwer irgendwas fragen wird. Im übrigen wünscht Pontius Pilatus sicherlich nichts sehnlicher, als daß über diese ganze Angelegenheit möglichst bald Gras wächst.«

»Friede sei mit dir!« wiederholte Markus, und wir trennten uns. An diesem Abend ereignete sich nichts weiter.

Um Simon von Kyrene zu finden, brauchte ich nicht in die Synagoge der Libertiner zu gehen. Als ich meinen Quartiergeber, den Syrer Karanthes, nach dem Mann fragte, sagte er sofort: »Du kannst dir die Mühe sparen. Warte bloß einen Augenblick, und ich verschaffe dir alle gewünschten Auskünfte.«

Er rief seinen Sohn und trug ihm auf, ihn für eine Weile am Ladentisch zu vertreten. Er selbst verschwand im Gäßchen. Ich setzte mich auf die Türschwelle und fand wirklich kaum Zeit, meinen Durst zu stillen, da war Karanthes schon wieder zurück. Er berichtete:

»Also, dieser Simon hat seinerzeit in Kyrene viel Geld verdient, und als er vor ein paar Jahren hierher übersiedelte, kaufte er eine Anzahl Felder, Weingärten und Ölhaine in der Umgebung unserer Stadt. Auch in anderen Ortschaften Judäas hat er Geschäftsinteressen. Er führt die Lebensweise eines Griechen. Angeblich besucht er, obwohl er einen Bart trägt, sogar das Theater und das Gymnasionbad. Man betrachtet ihn nicht als rechtgläubigen Juden. Manche behaupten sogar, er sei nicht einmal beschnitten; aber er ist so reich, daß niemand sich darum kümmert. Jedenfalls beachtet er das Gesetz und hält den Sabbat. Vor kurzem soll ihm etwas Peinliches passiert sein; die Römer haben ihn aus der Volksmenge herausgegriffen und gezwungen, das Kreuz dieses Aufrührers zu tragen, den man jüngst hingerichtet hat. Die Schmach ist ihm so nahegegangen, daß er sich seither in seinen Räumen eingeschlossen hat und niemanden empfängt.«