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Trotz alledem konnte ich mich nachgerade nicht einmal mehr ärgern; ich mußte einfach lachen. Schließlich braucht niemand sich aus eigenem Antrieb in Ungelegenheiten zu stürzen; er kann ihnen kraft seines gesunden Menschenverstandes ausweichen. Andererseits wird das Leben, wenn man jedes Wagnis scheut, unerträglich. Ich habe die Vorträge einer ganzen Anzahl von Philosophen gehört, die mich in der Überzeugung bestärkten, daß der Mensch auch durch die größte Vorsicht die ihm zugeteilte Daseinsfrist nicht um einen Augenblick verlängern kann.

Wohl gibt es sogar heutzutage noch selbstsüchtige und abergläubische Geldleute, die das römische Gesetz mißachten und der dreiköpfigen Göttin einen jungen Sklaven opfern, um durch die ihm entzogene Lebensspanne ihr eigenes Dasein zu verlängern. In allen größeren Städten des Ostens kann man einen Magier oder einen abtrünnigen Priester finden, der die zugehörigen Zauberworte kennt und gegen beträchtliches Entgelt bereit ist, diese Art von Opfer zu vollziehen. Meiner Ansicht nach ist das jedoch glatte Selbsttäuschung und grausamer Irrwahn. Gewiß hat das Menschengeschlecht eine unbegrenzte Fähigkeit, sich selbst zu betören und zu glauben, was man erhofft; aber mich dünkt, auch wenn ich ein hohes Alter erreichen sollte, werde ich den Tod nicht so sehr fürchten, daß ich einer solchen Verblendung anheimfiele.

In meiner lächerlichen Lage tröstete ich mich damit, daß das Schiff längs der Küste fahren würde und daß ich ein guter Schwimmer bin. Übermütiger Frohsinn bemächtigte sich meiner, und ich hegte keinen Groll mehr wegen des Betrugs, dem ich zum Opfer gefallen war. Ich beschloß, allem die beste Seite abzugewinnen und die Reise zu genießen, um später – mit den gebührenden Übertreibungen – eine ergötzliche Geschichte über die durchgemachten Mühsale und Unbilden erzählen zu können.

Die Anker wurden gelichtet, die Ruder begannen zu schwingen und klapperten regelmäßig gegeneinander, das Schiffsheck löste sich vom Kai, und der Kapitän goß eine Schale Wein über Bord, als Trankopfer für die Glücksgöttin. Er hätte keiner passenderen Gottheit die Spende darbieten können; offenbar wußte er selber am besten, daß wir Glück brauchten, um überhaupt an unseren Bestimmungsort zu kommen. Die jüdischen Fahrgäste hoben die Arme und riefen in ihrer heiligen Sprache ihren Gott um Beistand in den Gefahren des Meeres an. Auf dem Vorderdeck begann ein girlandengeschmücktes Mädchen die Saiten einer Lyra zu zupfen, während ein junger Mann dazu eine Flöte blies, und es dauerte nicht lange, so war der neueste alexandrinische Schlager mit Gesang und Musikbegleitung in vollem Gange. Die jüdischen Pilger stellten mit Schaudern fest, daß wir eine Truppe wandernder Schauspieler an Bord hatten; aber sich darüber zu beschweren, hätte jetzt nichts mehr genützt. Übrigens bildeten wir, die in ihren Augen Unreinen, die Mehrheit der Passagiere, und die verspäteten Pilger waren keine reichen Juden. Sie mußten sich mit den Schatten, die wir auf sie warfen, abfinden und darauf beschränken, unablässig ihre Speisegeschirre zu reinigen.

Heutzutage ist Einsamkeit der kostbarste aller Genüsse. Deshalb konnte ich es nie leiden, daß Sklaven sich um mich herumdrehen und jeden meiner Schritte, jeden meiner Blicke beobachten. Mir tun die Menschen leid, die ihre Stellung oder ihre Bequemlichkeit dazu zwingt, ihr ganzes Leben, Tag und Nacht, von Sklaven umgeben zu verbringen. Während der Schiffsreise allerdings mußte ich Wasser in den Wein meiner Einsamkeitsliebe gießen und die Schlafstätte mit den verschiedenartigsten, zum Teil sehr zweifelhaften Leuten teilen. Glücklicherweise hatten die jüdischen Passagiere ihren abgesonderten Schlafraum und auch besondere Feuerstellen in Sandkisten, wo sie ihre eigenen Speisen bereiten konnten. Sonst wären sie an der judäischen Küste derart gründlich verunreinigt angekommen, daß sie sich kaum getraut hätten, die Reise in ihre heilige Stadt fortzusetzen.

Wären uns nicht günstige, sanfte Winde und die Segel zustatten gekommen, so hätten wir, glaube ich, nie unser Ziel erreicht; denn die Ruderer – Wracke wie das Schiff selbst – waren alte Leute, atemlos keuchend, lahm oder verkrüppelt. Es handelte sich nicht einmal ausschließlich um Sklaven, sondern auch um noch niedriger stehendes Hafengesindel, das mangels anderer Beschäftigung sich für diese schwere körperliche Arbeit hatte anheuern lassen. Wahrlich, diese Rotte von Ruderern hätte den Chor für ein Satyrspiel abgeben können! Selbst der Rudermeister, der auf seiner erhöhten Plattform den Takt schlug, lachte sich krank, wenn er sah, wie seine Leute einander und sich selbst mit den Ruderstangen anschlugen oder immer wieder mitten in der Arbeit hinsanken und einschliefen. Ich denke, er gebrauchte seine Peitsche nur der Form halber; denn es wäre einfach unmöglich gewesen, aus den armen Kerlen mehr herauszuschinden, als sie hergaben.

Von der Fahrt selbst habe ich nichts weiter zu erzählen, als daß sie meines Erachtens in keiner Weise dazu angetan war, eine andächtige Stimmung zu fördern oder meine Seele auf die heilige Stadt der Prophezeiungen vorzubereiten. Man mußte schon die jüdische Glaubenshingabe und Tempelverehrung haben, um morgens, mittags und abends die Arme betend zu heben und unentwegt schwermütige oder freudige Psalmen zum Preise Gottes zu singen. Zu den anderen Tageszeiten erklangen vom Vorderdeck her, wo die Schauspieler probten, griechische Gassenhauer. Und wenn die Ruderer eine Zeitlang für ihre Arbeit eingespannt wurden, stieg unablässig ihr heiser wehklagender Chor gedämpft von den Ruderbänken herauf.

Das Griechenmädchen, das die Ausfahrt des Schiffes damit eingeleitet hatte, daß es mit bekränztem Kopf sang und die Lyra zupfte, hieß Myrina. Die Kleine war ein schmächtiges, kurznasiges Geschöpf mit kühl forschenden, grünen Augen. Trotz ihrer Jugend konnte sie nicht nur singen und ihr Instrument spielen, sondern war auch eine vollendete Tanzakrobatin. Ihren täglichen Übungen auf dem Vorderdeck zuzusehen war ein Vergnügen; die frommen Juden allerdings verhüllten ihre Gesichter und jammerten laut über das Ärgernis.

Myrina ist ein Amazonenname. Die Tänzerin gestand mir ganz freimütig, ihn wegen ihrer Magerkeit und Flachbrüstigkeit erhalten zu haben. Sie war schon in Judäa und jenseits des Jordans in den griechisch-römischen Städten Peräas aufgetreten. Sie erzählte, in Jerusalem gebe es zwar ein von Herodes erbautes Theater, aber die Truppe habe wen* Hoffnung, dort spielen zu können, weil wegen Besuchermangels nur selten Vorstellungen stattfänden. Die Juden mißachteten das Theater ebenso wie die ganze griechische und römische Zivilisation, sogar einschließlich der Aquädukte; und an gebildeteren Bewohnern habe die Stadt zu wenig, um ein Theater zu füllen. Deshalb wollten die Schauspieler jetzt nach dem Ostjordanland reisen, wo die Römer eine Urlaubersiedlung für die zwölfte Legion errichtet hätten und wo es stets ein begeisterungsfreudiges, wenn auch etwas rauhes Publikum gebe. Die Truppe hoffe, auch in Tiberias, der Hauptstadt Galiläas am See Genezareth, auftreten zu können; und auf ihrer Rückreise wollten die Leute ihr Glück in Cäsarea, dem Sitz des römischen Statthalters an der judäischen Küste, versuchen.

Nachdem ich so freundschaftlich mit Myrina geplaudert hatte, schlich sie in der folgenden Nacht an meine Seite und flüsterte mir zu, ich könnte sie mit ein paar Silbermünzen glücklich machen; sie und ihre Gefährten seien recht arm, und die Anschaffung aller für die Bühne nötigen Kleider und Schuhe falle ihnen schwer. Sonst hätte sie sich als anständiges Mädchen nicht in dieser Weise an mich gewandt.

Als ich in der Finsternis in meinem Geldbeutel kramte, kam mir ein gewichtiges Zehndrachmenstück zwischen die Finger, und das gab ich ihr. Sie freute sich über die Maßen, umarmte und küßte mich und sagte, weil ich so nett gewesen sei, würde sie sich nicht gegen mich sträuben, und ich möge mit ihr tun, was ich wolle. Als sie merkte, daß ich nichts von ihr wollte – offen gestanden, ich hatte während meines alexandrinischen Winters die Frauen satt bekommen –, war sie höchst erstaunt und fragte ganz unbefangen, ob ich vielleicht lieber neben mir ihren Bruder hätte, der noch jung und bartlos sei. Für dieses griechische Laster habe ich nie etwas übrig gehabt, obwohl ich natürlich während meiner Studienjahre in Rhodos auch meine platonischen Verehrer hatte. Als ich Myrina versicherte, mir genüge vollauf ihre Freundschaft, nahm sie offenbar an, ich hätte aus irgendeinem Grunde für eine gewisse Zeit ein Keuschheitsgelübde abgelegt, und bedrängte mich nicht mehr.