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Ich überlegte seine warnenden Worte und verglich sie mit allem, was ich sonst gehört und erlebt hatte. Dann sagte ich nachdenklich: »Ich glaube, dieser jetzige Umsturz beginnt im Innern der Menschen, nicht von außenher. Das unterscheidet ihn von allen anderen Revolutionen. Wie allerdings die Dinge im einzelnen weiterverlaufen werden, ist mir noch unklar.«

Karanthes hob resigniert die Hände und meinte: »Man sieht, daß du nicht verheiratet bist. Mach, was du willst; aber sage nicht nachher, ich hätte es verabsäumt, dich zu warnen!«

So begab ich mich denn zu Simons Haus. Es lag in einer schmalen Gasse und unterschied sich äußerlich nicht von anderen Stadthäusern. Aber das Tor war, mitten am Tage, verschlossen. Als ich eine Zeitlang geklopft hatte, kam eine Magd, öffnete die Tür auf einen Spalt und verhüllte, als sie mich sah, rasch ihr Gesicht. Ich grüßte und fragte nach dem Hausherrn; doch sie erklärte abwehrend: »Mein Herr ist krank und hält sich in einem verdunkelten Zimmer auf. Er wünscht keine Besuche.«

Ich nannte ihr meinen Namen, berief mich auf den Bankier Aristainos und sagte schließlich: »Ich bin überzeugt, daß dein Herr mich empfangen wird. Ich komme nämlich gerade wegen der Sache, die ihn bedrückt.«

Die Magd ließ mich ein und ging ihren Herrn holen. Ich bemerkte, daß hinter der unscheinbaren Außenseite das ganze Haus im griechischen Stil umgebaut worden war. Das geräumige Atrium hatte eine Öffnung im Dach und ein Regenwasserbecken im Boden, der entgegen dem jüdischen Bilderverbot mit Mosaikdarstellungen – Blumen, Fischen und Vögeln – geschmückt war. An den Wänden standen Bronzen und griechische Vasen in der Art, wie vornehme Häuser ausgestattet zu sein pflegen.

Nach einer Weile erschien ein griechischer Sklave, grauhaarig, in einen kunstvoll gefalteten Leinenmantel gekleidet, eine Schriftrolle unter dem Arm. Die Augen des Mannes waren rotgerändert, wie von vielem Lesen bei schlechtem Licht. Er grüßte mich auf römische Weise und forderte mich auf, Platz zu nehmen und zu warten.

»Was liest du denn da?« fragte ich.

Er versteckte die Rolle hinter seinem Rücken und antwortete: »Nur ein Buch eines jüdischen Propheten. Ich bin Erzieher der beiden Söhne des Hausherrn, Rufus und Alexander. Allerdings ist mein Herr ein schlichter Mann, der für Dichtkunst nichts übrig hat.«

»Darf ich raten, was du da hältst?« meinte ich lächelnd. »Ich habe das gleiche Werk in Alexandria gelesen, und erst kürzlich hat man mir wieder Stellen daraus hergesagt. Ist es nicht das Buch des Propheten Jesaja?«

Der Sklave brachte verdutzt die Rolle wieder zum Vorschein, und blickte ernst auf sie, dann auf mich. Schließlich fragte er: »Bist du ein Hellseher oder ein Magier, daß du weißt, was ich meinem Herrn vorgelesen habe?«

»Magier bin ich bestimmt keiner«, entgegnete ich. »Was ich von Astronomie und Sterndeuterei weiß, verdanke ich meinem Pflegevater Manilius. Seine Schrift ›Astronomica‹ wirst du wohl kaum gelesen haben?«

Er verneinte und fügte hinzu: »Jedenfalls aber ist mir bekannt, daß die Römer alles von uns Griechen entlehnen, es in ihre Sprache übersetzen und als ihr geistiges Eigentum ausgeben.«

Der grauhaarige Sklave war offenbar sehr auf seine nationale Würde erpicht. Ich erkundigte mich: »Und was hältst du von dem jüdischen Propheten?«

Er antwortete: »Ich bin Grieche. Diese ebenso dunklen wie schwülstigen Judenschriften langweilen mich bloß. Ich lese das Buch meinem Herrn vor, hänge aber dabei meinen eigenen Gedanken nach. Wie bewiesen wurde, kann die Schildkröte auch gegen Achilles ihren Vorsprung wahren. Als Sklave habe ich die Rolle der Schildkröte übernommen. Ich versuche nie, dem Äsop oder Homer den Rang abzulaufen, wie die Juden es tun.«

In diesem Augenblick trat Simon von Kyrene ein, und ich musterte ihn eingehend. Er hatte einen zerlumpten Mantel achtlos über die Schultern geworfen; sein Bart war ungepflegt. Es handelte sich um einen kräftigen Mann mittleren Alters, mit stark sonngebräuntem Gesicht und großen Bauernhänden. Er setzte sich in den rot überzogenen Hausherrnstuhl und winkte dem Sklaven ungeduldig, sich zu entfernen.

Ohne Gruß fragte er mich barsch: »Was führt dich her, Römer? Was willst du von mir?«

Ich blickte um mich, ob nicht irgendwo Horcher versteckt waren. Dann erwiderte ich ganz schlicht und offen: »Ich habe gehört, daß du wegen Jesus von Nazareth sehr bekümmert bist und versucht hast, mit seinen Jüngern zu sprechen, von ihnen aber abgewiesen wurdest. Gestern abend bin auch ich mit zweien von ihnen zusammengekommen; doch sie wollten mir nicht helfen. Auch ich suche den Weg. Hilf du mir, wenn du kannst!«

Er neigte den Kopf zur Seite, starrte mich unter seinen buschigen Brauen mißtrauisch an und verwahrte sich: »Ich suche keinen Weg. Wer hat dir das gesagt? Meinen Weg habe ich schon vor vielen Jahren gefunden und bin auf ihm ganz gut vorwärtsgekommen.«

Ich beobachtete ihn sorgsam, und plötzlich kam mir zu Bewußtsein, daß er den Kopf wie ein Sklave hielt und auch den argwöhnischen Sklavenblick hatte. Unwillkürlich spähte ich nach seinen Fußknöcheln und suchte die untilgbaren Spuren der eisernen Bänder. Aber seine Augen folgten meinem Blick, und er schob eilig die Füße unter die Marmorbank. Gleichzeitig schlug er mit einem kleinen Holzhammer auf eine Metallscheibe, um einen Bedienten zu rufen.

»Du hast scharfe Augen«, gab er widerstrebend zu. »Ja, ich war Sklave, wurde aber schon vor mehr als zehn Jahren freigelassen und habe in Kyrene beim Getreidehandel viel Geld verdient, ehe ich hierher nach Jerusalem kam, wo seinerzeit mein Urgroßvater beheimatet war. Ich habe zwei Söhne, und ich wünsche nicht, daß jemand sie meiner Abkunft wegen über die Achsel anschaut. Doch ich bin, ebenso wie mein Vater und mein Großvater, als Sklave zur Welt gekommen. Das drückt einem Menschen seinen Stempel auf, auch wenn man es hier im allgemeinen nicht bemerkt. Ich habe meinen Platz in der Synagoge und im Theater; meine Söhne haben einen griechischen Erzieher, und ich wohne, wie du siehst, in einem vornehmen Hause. Vielleicht gelingt es mir eines Tages, meinen Söhnen das römische Bürgerrecht zu erkaufen.«

Der Diener trat mit einem Silbertablett ein. Er reichte mir einen goldenen Becher und füllte ihn aus einem staubigen Kruge mit dunkelfarbenem Wein. Auf dem Tablett lagen Honigkuchen und daneben ein von Asche grauer Gerstenfladen. Simon nahm von dem Tablett einen Tonbecher, in den ihm Wasser gefüllt wurde. Er brach von dem Brotfladen ein Stück ab, blies die Asche weg und schob den Bissen in den Mund; dazu trank er einen Schluck Wasser. Ich kann nicht leugnen, daß mich das Gehaben dieses Mannes überraschte.

»An Honigkuchen habe ich mich anscheinend überessen«, erklärte ich. »Wenn du gestattest, koste ich dein Gerstenbrot. Aber deinen Wein will ich nicht verschmähen, nachdem du nun schon meinetwegen den Siegelabdruck zerbrochen hast. Sonst wäre mir Wasser ebenso lieb gewesen, nachdem es, wie ich sehe, Quellwasser ist.«

»Ich bekomme das Wasser aus einer guten Quelle weit von hier«, sagte Simon. »Von so einer Quelle habe ich als Junge bei der Arbeit unter der sengenden Sonne auf den Feldern Afrikas geträumt. Übrigens auch von solchem Gerstenbrot wie das hier; unser Sklavenbrot buk man aus einem Gemisch von Spreu und Körnerresten, Bohnen und Hafer. Als ich reich wurde, habe ich eine Zeitlang Wein getrunken, fand aber dann, daß er mir gar nicht schmeckt. Ich aß Honigkuchen und Gazellenbraten mit scharfen Tunken, bis ich entdeckte, daß reines Brot und frisches Gemüse mir besser munden und besser anschlagen. Ich habe viel durchgemacht – mehr, als du ahnst, Römer.«

Doch er sprach darüber nicht verbittert, sondern wie von etwas Selbstverständlichem.

»Es hat lange gedauert«, fuhr er fort, »ehe ich richtig begriff, daß ich frei war und tun konnte, was ich wollte. Mein Bett ist noch immer eine harte Sklavenbank; von weichen Daunenkissen tut mir nur der Rücken weh. Ich weiß natürlich, daß man mich auslacht, wenn ich zuerst meine Ländereien besichtige und den Arbeitern ihren Tagelohn auszahle und dann in meinem Mantel Reisig sammle und auf dem Rücken heimtrage. Verschwendung nehme ich niemandem übel; mir selber bereitet sie nicht die geringste Freude. Als Junge bin ich fast zu Tode gepeitscht worden, weil ich aus Unverstand Dung und trockene Disteln von fremdem Land aufgelesen habe, zum Heizen für meine Mutter. Deshalb macht es mir jetzt Spaß, auf eigenem Grund und Boden gutes Brennholz aufzulesen und es im eigenen Mantel ins eigene Haus zu tragen.«