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Nach einer Pause sagte er: »Vielleicht bin ich ein strenger Dienstherr, der beim Gesinde keine Faulheit duldet. Doch noch nie habe ich einen Olivenpflücker ausgescholten, weil er vom Baum herunterstieg und seine täglichen Gebete sprach. Ich persönlich fühle mich am wohlsten, wenn ich auf meine Felder hinausgehe, den Mantel schürze und mitten unter den Arbeitern selbst Hand anlege.« Anscheinend wollte er dem Thema, das ich angeschnitten hatte, ausweichen; denn er fuhr fort: »Das ist der Weg, den ich für mich selber gefunden habe. Als Sklave dachte ich viel über die menschliche Freiheit nach. Darum nötige ich jetzt nie anderen meine eigene Spielart von Freiheit und meine eigenen Steckenpferde auf, sondern lasse sie nach ihrem Zuschnitt leben. Vielleicht war es kindisch von mir, nach Jerusalem zu übersiedeln. Aber aus den Erzählungen meiner Eltern kannte ich Israel als das Gelobte Land; auch von dem Gott Israels haben sie mir erzählt, das heißt, soviel ihnen selbst – wir Sklaven hatten ja keine Synagoge und keine Lehrer – davon bekannt war. Weder mein Vater noch ich wurden beschnitten, wie das Gesetz es vorschreibt; derart wenig wußten wir von dem Bunde zwischen Gott und dem Volke Israel.

Vom Getreidehandel allerdings weiß ich alles, was es zu wissen gibt, und hätte bestimmt gute Geschäfte gemacht, wenn ich in Rom ansässig geworden wäre. Aber das Korn, das dorthin zur freien Verteilung verschifft wird, ist mit Blut getränkt, wie auch die vernarbten Striemen auf meinem Rücken bezeugen. Jeder sehnt sich schließlich nach dem, wovon seine Eltern erzählt haben, nach dem Gott seiner Väter und nach dem eigenen Volke. Zum Römer wäre ich nie ganz geworden, und ich sehe auch keinen Sinn darin, Reichtümer um ihrer selbst willen anzuhäufen. Für mich und meine Söhne besitze ich genug, und ich habe mein Geld klug angelegt, unter Bedacht auf alle erdenklichen Gefahren. Jetzt kenne ich keinen weiteren Wunsch, als rechtschaffen zu leben, Gott zu verehren, die Gebote ohne Schädigung anderer zu halten und mich der Dinge zu erfreuen, die mir wirklich Freude machen. So einfach ist der Weg, den ich gefunden habe.«

»Ich achte deinen Weg«, erklärte ich. »An dir ist nichts von der Protzerei und Anmaßung, durch die sich in Rom viele reich gewordene Freigelassene so unleidlich machen. Dort zahlen sie oft jede Summe, nur, um in das Haus eines Senators eingeladen zu werden oder einen Ritter mit dem Vornamen anreden zu dürfen. Ihre Lebensweise erweckt nur Spott. Daß du dein Haus, wenn es dir so gefällt, im griechischen Stil ausgestattet hast und mir deine goldenen Becher vorführst, finde ich begreiflich. Aber du bist, wie ich deinen Worten entnehme, nicht der Sklave deiner Reichtümer.«

Simon hob die Hände. »Eine solche Abhängigkeit zu vermeiden, war immer mein Bestreben«, meinte er. »Ich möchte so frei sein, wie ein Mensch es überhaupt vermag. Auch wenn ich meinen ganzen Besitz verlöre – niemand ist ja vor den Launen des Schicksals sicher –, würde ich nicht viel verlieren, weil ich genügsam bin. Das wenige zum Leben Notwendige macht mir mehr Freude als jeder Überfluß.«

»Warum hat dich dann«, fragte ich, »deine Begegnung mit dem Nazarener so verstört, daß du dich hinter verschlossenen Türen in einem verfinsterten Raum versteckst und keine Besuche empfangen willst?«

Er seufzte tief, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und wich meinem Blick aus. »Was weißt du selber über diesen Jesus?« wollte er zuerst wissen.

»Ich bin von Alexandria hergereist, wirklich nur zum Zeitvertreib und um die heilige Stadt der Juden während ihres Passahfestes zu sehen«, antwortete ich. »Vor der Stadt angelangt, hielt ich inne und erblickte, während eben der Himmel sich verdunkelte, den Gekreuzigten. Ich sah ihn leiden und sterben. Am dritten Tage danach fand ich sein Grab leer und hörte, daß er auferstanden war. Seitdem komme ich nicht los von ihm … Du hast ihm, wie man mir erzählte, ein Stück weit das Kreuz getragen, und ich merke, daß auch du von ihm nicht loskommst. Wieso das? Hat er dir etwas Besonderes gesagt?«

Simon von Kyrene preßte die Fäuste aneinander und erwiderte: »Nein, gesagt hat er mir gar nichts. Und gerade das läßt mir keine Ruhe. Er sagte nichts, sondern blickte mich nur an.«

»Sonst weiß ich nichts von ihm«, fuhr er nach einer Weile fort. »Ich mische mich nie in Politik und halte die Gebote, wie meine Synagoge sie vorschreibt. Die beiden Schicksalsgenossen des Gekreuzigten waren Verbrecher, das sah man ihnen an. Ich ging gerade von den Feldern heim und blieb stehen, um zu schauen. Im gleichen Augenblick fiel er unter der Last seines Kreuzes nieder und konnte sich nicht mehr erheben. Ich stand da, in die Menge eingekeilt, ohne weiterzukönnen. Eine gutherzige Frau bückte sich und wischte dem Verurteilten mit ihrem eigenen Schweißtuch Blut und Schweiß vom Gesicht. Die Römer wollten ihn mit Tritten ihrer eisenbeschlagenen Schuhe weitertreiben; aber er vermochte nicht aufzustehen. Der Zenturio schaute umher und zeigte auf mich, in der selbstherrlichen Art, wie die Römer sie haben. In mir muß noch etwas vom Sklaven stecken; ich folgte dem Wink, und man lud mir das Kreuz auf den Rücken. Der Verurteilte blickte mich an und stellte sich mühsam auf die zitternden Beine. Ohne Widerrede trug ich hinter ihm her das Kreuz bis auf den Hügel. Wenn ich mich später beschwert hätte, wäre der Zenturio streng gerügt worden; aber ich wollte nicht überflüssige Unannehmlichkeiten mit den Römern heraufbeschwören. Ich stand daneben, als die Henkersknechte den Verurteilten auf den Boden legten und seine Arme mit den Knien niederdrückten. Der Legionsprofos trieb ihm die Nägel durch die Handgelenke. Da blickte der Gequälte mich wieder an, und ich wandte mich ab, rannte in die Stadt und schloß mich hier ein.«

Er rieb sich mit beiden Händen das Gesicht, schüttelte den struppigen Kopf und fuhr fort: »Du wirst das kaum verstehen. Ich habe viele Kreuzigungen mit angesehen. Ich habe es sogar wiederholt erlebt, daß einen Sklaven seine eigenen Gefährten verspotteten, wenn er ans Kreuz genagelt wurde, weil er im Zorn einen Aufseher erschlagen oder ein Getreidefeld in Brand gesteckt hatte. Mit der Zeit war mein Sinn gegen fremdes Leid verhärtet worden. Ich hätte nie gedacht, daß die Qualen eines anderen mir so stark zusetzen könnten. Aber er hat mich angeblickt! Mich schwindelte, und ich lief davon, aus Angst, die Erde würde unter meinen Füßen nachgeben.«

»Wie soll ich dir das erklären«, rief er verzweifelt, »wenn ich es selbst nicht begreife? Als er auf dem Boden lag und mich ansah, das Gesicht von Schlägen verschwollen und die Dornenkrone auf dem Kopf, da verlor alles andere jegliche Bedeutung für mich. Derart sollte niemand einen Mitmenschen anschauen! Ich verkroch mich in einen verdunkelten Raum, zog mir den Mantel über den Kopf und traute mich nicht einmal dann in den Hof hinaus, als die Erde zitterte und eine Mauer barst. Am nächsten Tage habe ich den Sabbat gebrochen und bin ein großes Stück Weges gegangen. Ich habe Jesu Jünger aufgesucht; aber sie wollten mich nicht anhören. Später hieß es, die Jünger hätten die römischen Wachsoldaten betrunken gemacht und den Leichnam ihres Herrn heimlich aus dem Grabe beiseite geschafft, um das Volk zu täuschen. Doch etwas sagt mir, daß diese Gerüchte falsch sind. Jemand, der einen so anzublicken vermag wie er, kann auch aus eigener Kraft das Grab verlassen … Und jetzt möchte ich dich bitten, mir deine Meinung darüber zu sagen, wer er war und was er wollte.«