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»Soweit ich es mir klarmachen konnte«, erwiderte ich vorsichtig, »hat er sein eigenes Reich mit sich auf die Erde gebracht. Dieses Reich ist nach Jesu Auferstehung noch hienieden, und ich suche den Weg dahin. Ich hoffte, er hätte zu dir irgend etwas gesprochen, was mir einen Fingerzeig geben könnte.«

»Hätte er es nur getan!« klagte Simon von Kyrene. »Aber vielleicht fand er mich keines Wortes wert, weil ich sein Kreuz so widerwillig auf mich genommen hatte. Seit er mich angeblickt hat, schmeckt mir auch frisches Quellwasser faulig, und gutes Brot bleibt mir in der Kehle stecken. Selbst meine Söhne sind mir so fremd geworden, daß es mir kein Vergnügen mehr macht, sie zu sehen. Eigentlich sind sie mir ja wirklich entfremdet, weil ich ihnen eine bessere Bildung als die meine angedeihen lassen wollte. Aber früher habe ich mich immer daran ergötzt, wie gut sie sich benehmen und wie sachkundig sie mit ihren Lehrern Dinge nachlesen und erörtern können, von denen ich nichts weiß – und auch nichts wissen will, weil meine durch Erfahrung erworbenen Kenntnisse mir genügen. Doch in dieser Sache mit Jesus hilft mir keine Erfahrung. So vergällt ist mir alles, daß ich nichts dagegen hätte, in die Sklavenhütten zurückzukehren und mir wieder Ringe um die Fußknöchel schmieden zu lassen.«

»Hast du von den Stillen im Lande gehört, die auf ihn warten?« fragte ich schließlich.

»Weshalb sonst, glaubst du, lasse ich mir das Buch des Propheten Jesaja vorlesen?« fuhr Simon erbost auf. »In der letzten Zeit war die Nachfrage nach dieser Schrift so groß, daß ich für eine griechisch abgefaßte Rolle das Fünffache des früheren Preises bezahlen mußte. Aber ich finde auch in diesem Buch keine Hilfe. Sprich mir nicht von den Stillen im Lande! Ich weiß, daß sie einander durch Grußworte und geheime Zeichen erkennen; doch ich will in politische Dinge nicht hineingezogen werden. Ich bin Libertiner und wünsche keine andere Zugehörigkeit.«

»Aber«, wandte ich ein, »diese Leute dürften kaum politische Ziele anstreben. Wenigstens jetzt nicht mehr. Soviel ich weiß, glauben sie, daß Gott in Menschengestalt zur Welt gekommen ist, daß er auf Erden gelebt, gelitten und den Tod gefunden hat und daß er wieder auferstanden ist, um die Schriften zu erfüllen und auf rätselhafte Weise den Menschen sein Reich zu eröffnen. Noch aber weiß niemand, wie das alles zu verstehen ist.«

Simon hob die breiten Schultern und schüttelte den Rumpf, als wollte er sich einer unsichtbaren Bürde entledigen. »Dann habe ich auf diesen meinen Schultern wahrhaft Gottes Kreuz getragen«, murmelte er, voll Entsetzen in der Stimme. »Ich will das nicht leugnen, will dir nicht widersprechen. Mein Herz sagt mir, daß du die Wahrheit redest. Er hat mich zweimal angeblickt.«

Von Qual erfüllt, fuhr er fort: »Ich hatte schon früher von einem neuen Lehrer gehört, der großen Anstoß erregte. Aber nie wäre mir eingefallen, daß jener Lehrer und der blutüberströmte, dornengekrönte, zur Kreuzigung wankende Mann ein und dieselbe Person sein könnten. Erst als wir droben auf dem Hügel waren und jemand mir die Kreuzesinschrift vorlas – ich kann ja nicht lesen –, erkannte ich, daß es sich um den gleichen Jesus handelte, von dem ich gehört hatte. Das Leben hat mich zum Zweifler gemacht; so hatte ich mich auch um die Wunder, die er wirkte, nicht viel gekümmert. Aber in Jericho lebt ein Oberzolleinnehmer namens Zachäus. Dieser Zachäus kletterte, um den neuen Lehrer besser zu sehen, auf eine Sykomore; und Jesus soll ihn hinuntergerufen haben und in seinem Haus, obwohl er Zöllner ist, eingekehrt sein. Nach diesem Besuche hat Zachäus angeblich die Hälfte seines Vermögens den Armen gegeben und außerdem alles, was er den Leuten an Steuern und Zöllen unrechtmäßig abgepreßt hatte, vierfach erstattet. Nachdem er damit seine Vergehen eingestanden hatte, wurde er angeklagt, aber als unzurechnungsfähig freigesprochen und bloß seines Amtes enthoben.

Nun, ich kann sehr wohl begreifen, daß jemand, der die Heilkraft dazu hat, einen Lahmen durch seinen Befehl veranlassen kann, aufzustehen und zu gehen. Aber einen Reichen dahin zu bringen, daß er sein halbes Vermögen unter die Armen verteilt, das wäre ein unvergleichlich größeres Wunder! Solche Dinge geschehen einfach nicht. So etwas ist unmöglich. Sogar die Richter haben ja den Zachäus für geistesgestört erklärt. Mit dem Mann möchte ich wirklich gern einmal zusammenkommen und aus seinem eigenen Munde hören, was Jesus ihm gesagt hat und wie es herging, daß er derart von Sinnen kam.«

Mag auch vielleicht mein angeborener römischer Hausverstand zu nichts anderem nütze gewesen sein, so hat er mich doch, ungeachtet all meiner Schulung in der griechischen Philosophie, zu einem praktisch denkenden Menschen gemacht. »Du hast recht«, erklärte ich deshalb. »Wir wollen uns gleich nach Jericho aufmachen und diesen Zachäus besuchen. Vielleicht hat Jesus ihn etwas gelehrt, was mehr wert ist als alle Güter dieser Erde. Ein solches Geheimnis verlohnt wohl eine Reise. Du selber hast ja erzählt, daß Jesus dich bloß anzublicken brauchte, und alles andere verlor seine Bedeutung für dich.«

Aber Simon wandte ein: »Nach Jericho ist es, auch wenn wir uns beeilen, eine gute Tagereise von hier. Heute ist Rüsttag, und auch sonst möchte ich nicht gerade jetzt von Jerusalem weggehen. Falls Jesus wirklich auferstanden ist, dann ist sein Reich, von dem du so begeistert redest, hier uns am nächsten. Das versteht sich von selbst.«

Ich wußte, daß er recht hatte. Nicht einmal Jesu eigene Sendboten wollten ja Jerusalem verlassen, sondern harrten hier der Dinge, die da kommen sollten.

Ich sagte: »Du und ich, wir haben eines miteinander gemein: wir sind beide Außenseiter, die nur durch Zufall Zeugen der Ereignisse wurden. Allerdings glaube ich nicht mehr an bloße Zufälle; mir ahnt, daß wir mit Vorbedacht auf die Suche nach einem neuen Wege geführt wurden. Jedenfalls sitzt uns beiden ein Stachel im Herzen, und wir werden so lange keine Ruhe finden, bis wir in diesen Dingen klarsehen.«

Simon von Kyrene erwiderte erbittert: »Ich hatte in meinem Leben schon Klarheit und einen Weg gefunden. Und jetzt ist es auf einmal wieder aus mit allem, und ich zapple wie ein Fisch im Netz. Mich hat es nie nach einem ewigen Leben verlangt, wie die Pharisäer es sich durch peinlichste, buchstäblichste Gesetzeserfüllung zu gewinnen hoffen. Allzu oft habe ich Sklaven den letzten Atemzug tun sehen, als daß ich an ein jenseitiges Leben glauben könnte. Ich halte es da mehr mit den Sadduzäern, die solche Erwartungen ablehnen. In unserer Synagoge erörtert man diese Frage nicht; unsere Lehrer haben zu Füßen der alexandrinischen Weisen gesessen.

An Hexerei, an schwarze ebenso wie an weiße Magie, glaube ich ein wenig, weil ich solche Dinge wiederholt mit eigenen Augen sah und deshalb daran glauben muß. Nachdem ich erfahren habe, wie voll Grausamkeit und Herzlosigkeit die Welt ist, schaffe ich mir Seelenfrieden, indem ich Almosen gebe und in vernünftigen Grenzen das Gesetz halte. Aber daß man durch gute Werke allein sich das ewige Leben erkaufen könnte, daran glaube ich nicht. Ein Betrüger mag seine Almosen unter lautem Posaunenschall verteilen, Gott betrügt er nicht. Ich glaube überhaupt nicht an ein Leben nach dem Tode – nicht einmal in der Form eines Schattendaseins, wie die Griechen und Römer es sich vorstellen, und ebensowenig in der Form, daß man etwa als Hahn wiedergeboren wird, wie man mir in Kyrene einreden wollte; dabei habe ich dort selber mit angesehen, daß entlaufene Sklaven von Hunden gehetzt und zerrissen wurden und daß man solche Hunde mit Sklavenfleisch gefüttert hat.«

Er versank in seine Erinnerungen und setzte dann fort: »Von überallher, sogar aus Rom, sind Leute auf die großen Latifundien in Afrika gekommen, um zu studieren, wie wirtschaftlich und zweckmäßig menschliche Arbeitskraft eingesetzt werden kann, wie billig Sklavenkost ist und wie man für Nachwuchs sorgt, indem man kräftige Sklaven mit gesunden Frauen paart. Aber warum sitze ich da und vergegenwärtige mir alte Zeiten? Früher verhalf es mir dazu, mich meiner Freiheit zu freuen; doch auch diese Wirkung bleibt mir jetzt versagt.«