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Sein starker Wein war mir unversehens zu Kopf gestiegen, und ich sagte herablassend: »Simon von Kyrene, ich verachte dich nicht, magst du auch ein Freigelassener sein. Ich bin zwar römischer Bürger und habe sogar das Recht, am Daumen einen goldenen Ring zu tragen; aber in Rhodos habe ich gelernt, man solle den Vorrechten der Geburt keine Bedeutung beimessen, sondern sich lieber durch persönliche Verdienste den Menschen gegenüber auszeichnen. Allerdings habe ich mich da nie sehr ausgezeichnet, da ich eher das Denken als das Tun pflegte. Mit der Sklaverei als Problem habe ich mich überhaupt nie befaßt; höchstens fand ich, daß Sklaven ihren Besitzern manches Kopfzerbrechen bereiten und daß ein Reicher nie Ruhe hat vor dem Gesinde, das ihn Tag und Nacht umschwärmt und einen auf Bequemlichkeit bedachten Menschen zum Sklaven seiner Sklaven macht. Aber du hast mir die Augen geöffnet für die Tatsache, daß auch ein Sklave eigentlich ein menschliches Wesen ist, in vielen Beziehungen mir ähnlich, auch wenn er auf der Stirn gebrandmarkt oder vielleicht zur Hemmung seiner bösen Anlagen verschnitten ist. Simon von Kyrene, du bist mein Nächster, und wenn ich könnte, würde ich dich so lieben wollen wie mich selbst. Das ist nämlich etwas, was der Auferstandene gefordert hat. Sicherlich bin ich gebildeter als du; aber in diesen neuen Dingen hilft mir meine Bildung nichts. Ich spüre, daß ich in eine völlig unbekannte Welt gestoßen wurde, wo ich alles von Anfang an neu lernen muß. Deshalb habe ich, sosehr wir uns an Rang und Stand unterscheiden, den aufrichtigen Wunsch, dein Freund zu sein.«

Doch meine Worte verletzten Simons Selbstgefühl, das bei Freigelassenen empfindlicher ist als bei anderen Menschen. Er stellte seinen Tonbecher so heftig auf die Armlehne seines Sessels, daß mir Wasser daraus in die Augen spritzte, und rief: »Schäme dich, Römer! Deinen Daumenring magst du meinetwegen in die Gosse werfen, und auf deine Philosophie pfeife ich. Das alles sind nur läppische Ausgeburten des Müßiggangs, so unfruchtbar wie Wüstensand. Das gleiche ist es mit deinem Interesse; du sammelst nur Geschichten, die du weitererzählen willst, um dich vor deinen Bekannten wichtig zu machen. Von dieser heuchlerischen Eitelkeit zeugen auch dein schütterer Bart und die Quasten an deinem Mantel. Du bist wie ein Schauspieler, der um jeden Preis eine neue Rolle zu erlangen sucht, weil er mit allen früheren durchgefallen ist.«

Noch vor einigen Tagen hätte ich ihm meinen Wein ins Gesicht geschüttet, hätte ihn einen erbärmlichen Freigelassenen geheißen und wäre aus dem Hause gestürzt. Aber nun zerrissen seine scharfen Worte bloß den Nebel meiner Angetrunkenheit; ich blieb still sitzen und überlegte seine Beschuldigungen. Konnte er vielleicht wirklich mit seinem vernichtenden Urteil recht haben? Sicherlich hatte mich zunächst nur gewöhnliche Neugier auf diesen Weg geführt; aber je weiter ich ihn verfolgte, desto klarer erkannte ich, daß er mir Herzenssache geworden ist und daß ich mich mit jedem Schritt innerlich ändere.

»Verzeih meine Großtuerei!« bat ich. Ich, ein römischer Bürger, ließ mich wahrhaftig dazu herbei, einen ungebildeten Freigelassenen um Verzeihung zu bitten! »Als Menschen sind wir in dieser Sache einander gleichwertig. Ich fühle mich keineswegs dir gegenüber bevorzugt. Es heißt, daß Jesus am letzten Abend niederkniete und seinen Jüngern die Füße wusch, um sie Demut zu lehren. Wenn du willst, Simon von Kyrene, bin ich bereit, meine Verstiegenheit so weit zu treiben, daß ich freiwillig vor dich hinknie und dir die Füße wasche.«

»Die Füße wasche ich mir schon selber und brauche dazu keinen Bedienten«, knurrte Simon. Dann fügte er etwas versöhnlicher hinzu: »Nimm mir meine Worte nicht übel! Seit Jesus mich angeblickt hat, bedeutet er für mich eine Frage auf Leben und Tod.«

Zum Zeichen, daß er mich als Freund betrachtete, berührte Simon mir Stirne, Schulter und Brust, und seine Berührung war nicht unangenehm.

»Vielleicht bist du gerade im richtigen Augenblick zu mir geführt worden«, meinte er. »Der griechische Erzieher meiner Jungen hat mir, ständig gähnend, die Schriften vorgelesen; und ich selbst begriff von ihrem Sinn nicht mehr als er. Ich dachte eben daran, das Haus zu verlassen und einen tüchtigen Schriftgelehrten aufzusuchen, der mir die Weissagungen ausdeuten könnte. Wahrscheinlich hätte der Mann jedes Wort gespalten und jede Einzelheit zuerst buchstäblich und dann sinnbildlich erklärt und schließlich diese Schrift mit anderen Schriften verglichen, und ich wäre vor so viel Frömmelei toll geworden. Seit Jesus mich angeblickt hat, ist mir nämlich klar, daß seine Lehre nicht Bücherwissen ist, sondern Lebensweisheit.«

Plötzlich blickte Simon um sich und fragte: »Was ist da jetzt geschehen? Auf einmal spüre ich eine große Erleichterung und bin frei von Furcht.«

Es war, als glitte eine über der Dachöffnung des Atriums hängende Wolke davon; denn ganz plötzlich wurde alles leuchtend. Im gleichen Augenblick trat ein hochgewachsener Mann ein und schritt, in seinen Mantel gehüllt, durch den Raum auf die anstoßenden Gemächer zu, als hätte er uns überhaupt nicht bemerkt. Simon von Kyrene rief ihm nach: »Bist du es, Eleasar? Ist draußen auf den Feldern etwas passiert?«

Simon stand auf und sagte zu mir: »Das ist mein Verwalter Eleasar. Er sucht mich. Wahrscheinlich hat sich jemand den Arm gebrochen, oder ein Esel ist in den Brunnen gefallen, und man braucht meinen Rat.«

Er folgte dem Mann in die inneren Gemächer, während ich sitzen blieb und nachgrübelte, wo ich diesen Menschen, der mir irgendwie bekannt vorkam, schon gesehen haben könnte. Ich mußte lachen, als ich darauf kam, daß er mich stark an meinen verehrten Lehrer in Rhodos erinnerte. Es schien mir, als habe er genau wie dieser Lehrer eine beginnende Glatze gehabt; und wäre er auf griechische Art gekleidet gewesen, so hätte er ihm völlig geglichen. Aber ich wußte, daß mein Lehrer seit Jahren tot war; und mir wurde traurig zumute, als ich daran dachte, wie rege und aufgeschlossen für alles Gute ich damals noch gewesen war.

Nach einer Weile kam Simon zurück und sagte ärgerlich: »Ich weiß nicht, wo Eleasar hingeraten sein kann. Vielleicht ist er durch den Hof wieder hinausgegangen, als er mich in meinem Zimmer nicht fand.« Er schlug mit dem Hammer auf die Metallscheibe und befahl dem eintretenden Diener: »Rufe mir Eleasar her! Er ist eben hier durch diesen Raum gegangen, hat mich aber nicht bemerkt, weil ich im Schatten saß.«

Der Diener sagte erstaunt: »Ich habe Eleasar heute den ganzen Tag nicht gesehen.« Doch er ging ihn suchen. Bald aber erschien er wieder und meldete: »Nein, nein, du mußt dich geirrt haben. Eleasar ist nicht hier, und das Tor ist geschlossen.«

Simon verließ mich wieder, um sich selbst zu vergewissern. Ich hörte ihn zornig mit der Magd sprechen, von Zimmer zu Zimmer gehen und Gegenstände beiseite schieben. Es dauerte lange, bis er zurückkehrte und murmelte: »Es ist tatsächlich niemand hier. Die Magd schwört, seit deinem Kommen das Tor nicht geöffnet zu haben, und niemand im Haus hat Eleasar gesehen.«

Belustigt erklärte ich: »Also, ich hätte den Mann fast für meinen verstorbenen Lehrer aus Rhodos gehalten. Gut, daß er auf dem Steinboden Spuren hinterließ! Sonst hätten wir sicherlich beide an eine Geistererscheinung geglaubt.«

Ich zeigte auf die Abdrücke nackter Füße auf den glatten Fliesen. Simon bückte sich und sagte dann wie geistesabwesend: »Eleasar scheint sich den Fuß verletzt zu haben.«

Er berührte einen Abdruck, und seine Fingerspitze war blutrot. Ich fiel auf die Knie und starrte die Spuren an. Ein kalter Schauder überlief mich vom Kopf bis zu den Füßen. Ich hob den Blick zu Simon und stammelte: »Jetzt verstehe ich, warum seine Jünger ihn nicht sofort erkannten.«

Aber Simon begriff nicht. Wütend polterte er: »Wahrlich schlecht bewacht ist mein Haus, wenn bei geschlossenem Tor jeder nach Belieben aus und ein gehen kann!«

»Hast du ihn wirklich nicht erkannt?« fragte ich.

Simon beharrte dickköpfig auf seiner Meinung: »Das war Eleasar, mein Verwalter.«