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»Und sein Reich ist nicht von dieser Welt«, fügte ich bei.

»Allerdings glaubten wir aus seinen Reden zu entnehmen, sein Reich würde sich bald offenbaren«, meinte Zachäus. »Ich ging nicht mit den anderen nach Jerusalem zum Passahfest, weil man im Tempel von mir als einem Sünder keine Gabe annimmt. Erst durch Leute, die nach dem Feste heimkamen, erfuhr ich, auf wie grauenhafte Art er hingemordet worden ist. Und da wußte ich nicht mehr, was ich von dem allen halten sollte. Ich fand keine Ruhe, und schließlich setzte ich mich auf meinen Esel, um nach Jerusalem zu reiten und mich über alle Einzelheiten der Ereignisse zu erkundigen. Aber auf der Straße, schon nahe bei Jerusalem, kam er hinter mir her und überholte mich.«

»Wer?« fragte Simon aufgeregt.

Zachäus wurde wieder rot, schlug die Augen nieder und rang die Hände. »Er selber war es!« flüsterte er. »Behauptet aber jetzt ja nicht, ich wäre von Sinnen! Ich war nur, weil mein Körper schwach ist, schon müde von dem Ritt; auch mein Esel trottete langsam, mit gesenktem Kopf, daher. Erst als der Mann mir zuvorkam, spürte ich, daß ein Hauch von Macht mich gestreift hatte. Und als ich genau hinblickte, erkannte ich ihn.«

»Hast du ihn wirklich in mein Haus treten sehen?« fragte Simon in scharfem Töne.

»Er kann nirgends anders verschwunden sein«, beteuerte Zachäus. »In Jericho hieß es, er sei von den Toten auferstanden; ich glaubte es nicht, weil so etwas noch nie geschehen ist. Aber als mir heute auf der Landstraße bewußt wurde, daß er es war, wagte ich nicht, ihm laut nachzurufen; und auch hier an deinem Haus wollte ich, um ihn nicht zu gefährden, es vermeiden, gleich anzuklopfen und Aufsehen zu erregen. Jetzt aber erbarme dich meiner und lasse mich zu ihm! Ich will mich vor ihn hinwerfen und ihm als dem Messias huldigen.«

Kaum hatte Eleasar das Wort ›Messias‹ gehört, stieß er einen derben Fluch aus und rief: »Nimm dieses Wort nicht mehr in den Mund! Er hat Kranke geheilt und Tote erweckt; er ist wie ein König in Jerusalem eingeritten und hat mit einer Geißel aus Stricken das Heiligtum gereinigt. Aber seine Macht reichte nicht aus, um den Hohen Rat zu sprengen, obwohl manch einer im Volk sich schon den Stock mit Eisen beschlagen hatte und wir alle nur noch auf ein Zeichen von ihm warteten, um uns hinter ihn zu stellen. Nun gut, uns ist ein Zeichen geworden, und daran glauben wir: Er wurde zwischen zwei Verbrechern gekreuzigt. Und jetzt soll mir, solange ich lebe, niemand mehr von einem Messias reden! Dem Zeichen glaube ich aus freien Stücken und lasse mich von niemandem mehr täuschen. Und meinen Rindern hinterlasse ich als Erbteil die Gewißheit, daß es keinen Messias gibt und nie einen geben wird.«

»Also hast du auch von ihm gewußt, Eleasar!« sagte Simon von Kyrene vorwurfsvoll. »Warum hast du mir nicht schon seinerzeit über ihn erzählt?«

Eleasar war inzwischen ganz außer Rand und Band gekommen und rief, ohne seine Worte abzuwägen: »Du warst der letzte, dem ich davon hätte sprechen können – du, ein begüterter Mann, und so knickerig, daß du selber alles Reisig aufliest, so daß Witwen und Waisen kein Brennholz für sich finden! In seinem Reich, wenn es zustande gekommen wäre, hätten die Geldsäcke keinen Platz gefunden; sie wären die ersten gewesen, die wir aus dem Weg geräumt hätten, und ihre Felder und Weingärten und Ölhaine wären unter das Volk verteilt worden. Zwar haben über Jesus die einen dies, die anderen jenes erzählt; aber sicherlich wären die Kinder des Lichts nach Jerusalem zurückgekehrt, um uns zu führen. Aber Johannes der Täufer wurde enthauptet und Jesus von Nazareth ans Kreuz genagelt. Die Reichen und Mächtigen und Gesetzeskundigen haben immer und überall die Propheten unseres Volkes ermordet. Und jetzt kann ich die Galle nicht länger zurückhalten; sie ist mir übergelaufen, und ich spucke sie vor dir auf den Boden, Herr. Du weißt zwar, wie man die Dinge in Kyrene macht; aber ich habe aus bitterer Erfahrung gelernt, wie man es in Jerusalem und Judäa treibt.«

Als er fertiggesprochen hatte, erwiderte Simon mit matter Stimme: »Wenn ich dich so schwer gekränkt und wenn ich wirklich Witwen und Waisen um ihr Brennholz gebracht habe, so schlage mir ins Gesicht! Ich verdiene es.«

Aber Eleasar schlug ihn nicht. Im Gegenteil, er bereute seine gehässigen Worte, ließ den Kopf hängen und murmelte: »Nein, nein. Ich habe unrecht geredet. Du bist ein guter Herr – der beste, den man in unseren Tagen weit und breit finden kann. Du sorgst ja sogar für die Witwen und Waisen, und du zählst nie zu genau und zu kleinlich deine Garben und deine Olivenkörbe nach. Viele Menschen fristen ihr Dasein ausschließlich mit den Brosamen, die von deinem Tisch fallen. Die Sache ist nur die, daß ich tief verbittert und zu Tode betrübt bin wegen dieses Jesus von Nazareth. Er hat seine Macht bewiesen und so vieles verheißen; und dann hat er uns mit leeren Händen zurückgelassen.«

»Sie sind keineswegs leer«, warf ich ein. »Er hat doch etwas vollbracht, größer und unerhörter als alles, was bisher auf Erden geschah.«

Ich zeigte auf die Fußspuren, die schon so verblaßt waren, daß man sie im Sonnenlicht gerade noch verschwommen erkennen konnte. Und Simon erzählte nun den anderen, was uns widerfahren war und welche Erscheinung wir gehabt hatten. Schließlich schlug er vor: »Zachäus, nachdem du mir noch immer nicht glauben willst und argwöhnst, ich hielte den Gekreuzigten hier verborgen, so geh und nimm Eleasar mit dir; durchsuche alle Räume und Winkel in meinem Haus, schaue in die Keller und Vorratskammern und auf das Dach, laß kein Fleckchen ungeprüft und zerstreue in dir auch den letzten Zweifel daran, daß der Auferstandene auf die gleiche Art, wie er das Haus betreten hat, wieder daraus verschwunden ist. Dann komm zurück, und wir wollen weiter über die Sache reden und uns schlüssig werden, was wir tun sollen.«

Der argwöhnische Ausdruck in Zachäus' Augen zeigte, daß er Simon von Kyrene wirklich immer noch nicht ganz traute. Aber er ging auf den Vorschlag ein und sagte: »Nicht umsonst hat man mich zum Oberzolleinnehmer ernannt. Hätte ich nur jetzt eine Zöllnerstange zur Hand! Damit würde ich bestimmt alle geheimen Schlupfwinkel in deinem Haus abstochern können. Wenn ich, der Zöllner Zachäus, den Mann nicht finden sollte, so bringt das auch niemand anderer zuwege, und dann würde ich halb und halb zugeben, daß der uns Erschienene nicht mehr hier ist.«

Ungeduldig stellte Simon seinem Besucher anheim, sich so viele Eisenstangen geben zu lassen, wie er brauchte. Von Eleasar gefolgt, stelzte Zachäus mit dem ruckartigen Gang des körperlich Verunstalteten in die inneren Gemächer und machte sich an eine gründliche Durchsuchung des Hauses. Wir, Simon und ich, saßen lange schweigend da, in tiefer Beklommenheit.

Schließlich sagte ich: »Kaum hatten wir von Zachäus gesprochen, ist er gekommen. Das mag ein Zeichen für uns sein.«

Simon fand nicht Zeit zur Antwort, denn im selben Augenblick hörten wir von der Straße her lautes Schreien und Lärmen. Wiederum knarrte das Tor, und die Magd stritt sich mit einer Menge Leute herum. Dann kam sie ganz außer sich zu Simon und sagte stöhnend: »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Was geht denn in deinem Hause vor? Draußen steht eine Schar Bettler, furchtbar aufgeregt. Angeblich haben sie gehört, du, Simon von Kyrene, würdest heute an alle Armen und Krüppel von Jerusalem Speise und Trank verteilen.«

Simon schlug die Hände über den Kopf zusammen und rief: »Wache ich oder träume ich? Heute ist doch kein Fest hier im Hause!« Zu mir gewandt sagte er vorwurfsvolclass="underline" »Mir scheint, du bist ein ganz böser Zauberer! Das hast alles du angezettelt, und ich kann überhaupt keinen klaren Gedanken mehr fassen.«

Er eilte zum Tor, und ich ging ihm nach. Als er geöffnet hatte, sahen wir, daß die schmale Gasse gedrängt voll war mit Verstümmelten, Bresthaften und Besessenen; mit ausgemergelten, verwelkten Frauen und mit Kindern, die aus fliegenumschwärmten Augen starren und abgemagerte Hände ausstreckten. Alle riefen Worte des Preises und Lobes und segneten den Hausherrn im Namen des Gottes Israels. Vergebens suchte Simon herauszubekommen, woher das unsinnige Gerücht von einem bei ihm stattfindenden Bankett stammte; keiner der Bettler konnte eine klare Antwort auf diese Frage geben. An beiden Enden der Gasse sah man immer neue Jammergestalten auf das Haus zuhinken oder zukriechen, so rasch sie nur konnten.