Schließlich fand Simon sich mit dem Stand der Dinge ab, rief sein ganzes Gesinde zusammen und befahclass="underline" »Laßt diese armen Kerle vor dem Tor in meinen Hof! Aber haltet Ordnung unter ihnen und gebt acht, daß sie nichts stehlen! Backt Brot und tragt alles heraus, was es im Hause Eßbares gibt, und verteilt es, damit jeder sich sättigen kann. Mischt auch Wein für sie, aus den großen Krügen. Aber laßt nur jene herein, die bis jetzt gekommen sind, und sonst niemanden! Für mehr wäre im Hof gar kein Platz.«
Zu mir sagte er: »Ich kann nur dem Schöpfer Himmels und der Erden danken, daß meine beiden Jungen, Alexander und Rufus, zu Besuch auf meinem Landgut in Kirjath sind und dort den Sabbat über bleiben. Denn diese Unglückseligen hier könnten sonst meine Kinder mit ihren Krankheiten und ihrem Schmutz beflecken. Um mich selber sorge ich mich nicht.«
Er ging sich vergewissern, ob die Diener wirklich, wie ihnen befohlen war, alles Eßbare brachten, ohne mit Öl, Weizenmehl, Honig oder Dörrobst zu knausern, und ob sie auch die Salzfischbehälter öffneten und die scharfen Tunken ausgaben. Sobald er feststellte, daß mehr als siebzig Bettler in den Hof geschlichen waren und sich niedergesetzt hatten, wurde ihm klar, daß für soviele Menschen seine Vorräte nicht reichten, und er schickte Bediente aus, Brot und Grütze zu kaufen.
Als die Bettler in den Hof eingelassen worden waren, betrachteten sie zunächst scheu die griechischen Säulen und verhielten sich schweigend, um nicht Ärgernis zu erregen.
Nun tauchte Zachäus, der inzwischen das Haus vom Dachboden bis zum Keller durchsucht, in jeden Sack gestochert und selbst den Holzkohlenstapel durchstöbert hatte, wieder auf. Er war von Kopf bis Fuß staubig, mehlig und rußig; er keuchte heftig, wischte sich das Gesicht mit einem Schweißtuch, wodurch er noch schmutziger wurde als bisher, und sagte zu Simon in vorwurfsvollem Töne: »Du bist mir ein Schlaukopf! Auf diese Art also hast du mich an der Nase herumgeführt! Inmitten aller der Bettler hier konnte der Mann, den du versteckt hast, leicht unbemerkt aus dem Hause schlüpfen.«
Simon seufzte. »Wenn du, ein Augenzeuge von Jesu Auftreten, mir nicht traust, wer sollte dann wohl glauben, was wir sahen und zu erzählen wissen? Jesus hat sich persönlich, dir auf der Straße und uns in meinem Hause, gezeigt. Sei Gott mir gnädig! Nach allem, was mir heute widerfuhr, muß ich wirklich meinen, daß er auferstanden ist, um die Welt aus der Ruhe zu scheuchen, wie er heute mein Haus aufgestört hat. Darum berichte uns, bitte, über ihn und seine Lehren, damit wir verstehen, was er von uns verlangt!«
Nachdem er so Zachäus etwas besänftigt hatte, holte er selbst Wasser und ein neues Obergewand für ihn. Ich benetzte ihm den Kopf, und Eleasar wusch ihm die Füße.
Als er sah, wie eifrig wir alle drei ihn umsorgten, nur, um von ihm Worte des ewigen Lebens zu hören, wurde er versöhnlicher und erklärte gelassen: »Geheimnisse hat er mir keine anvertraut, wenn ihr vielleicht derlei vermutet. Was er in meinem Hause redete, konnten alle mit anhören. Als er nach Jericho kam, heilte er einen Blinden, der an ihn als den Sohn Davids glaubte. Zu mir aber sprach er: ›Des Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren war.‹ Er sagte auch, in seinem Reich sei mehr Freude über einen Sünder, der sich bekehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die der Bekehrung nicht bedürfen.«
Da unterbrach ihn Simon von Kyrene: »Das finde ich aber unbillig. Ein Untergebener, der sein Bestes gibt, wird wohl kaum zufrieden sein, wenn sein Herr an ihm vorbeigeht und ihn keines Wortes würdigt. Wie kann ein Sünder Gott wohlgefälliger sein als ein guter Mensch?«
Doch Zachäus hob mißbilligend die Hand und fuhr fort: »Mich hat er, obwohl ich ein sündiger, verachteter Mann war, mit dem Namen angeredet und ist bei mir eingekehrt. Und während ich bis dahin, wegen meines Wasserkopfes und meiner Verwachsenheit verbittert, nie Gutes, immer nur Böses von den Menschen dachte, fielen, als Jesus mich rief, alle Fesseln der Gehässigkeit, an denen ich das ganze Leben lang zu schleppen hatte, von meiner Seele ab. Wenn er, der König Israels und der Sohn Davids, mir gütig begegnen und meine Sünden verzeihen konnte, so war ich nicht mehr auf die Wohlmeinung und Gunst der Menschen angewiesen. Darüber fühlte ich mich so erleichtert, daß ich aus bloßer Freude mein halbes Vermögen unter die Armen verteilte. Doch das könnt ihr wahrscheinlich alle miteinander nicht verstehen.«
Simon gab zu: »Nein, das ist kaum zu begreifen. Aber wahrscheinlich hast du so viele Ungerechtigkeiten und Frevel angehäuft, daß du den Tag deiner Entlarvung nahen sahst. Deshalb bist du in dich gegangen und hast deine Übeltaten nach Möglichkeit gutgemacht, um dir wenigstens einen Teil deines Vermögens zu sichern.«
Aber Zachäus erwiderte frohen Mutes: »Deine Worte kränken mich gar nicht. Im Gegenteil, ich bewundere deinen Scharfsinn. Auch ich habe gelernt, den Beweggründen und Handlungen der Menschen zu mißtrauen. Nur ich allein weiß, was sich durch Jesu Gegenwart in meinem Innern zutrug. Aber während er mein Gast war, hat er eine rätselhafte Geschichte erzählt, die ich auch jetzt noch nicht ganz verstehe. Es handelte sich um einen vornehmen Mann, der in ein fernes Land ziehen wollte, um dort die Königswürde für sich zu erwerben und dann wieder heimzukehren. Vor seiner Abreise rief er zehn seiner Knechte zu sich, gab jedem ein Pfund und forderte sie auf, während seiner Abwesenheit mit dem Gelde für ihn Geschäfte zu machen. Seine Mitbürger jedoch haßten ihn und schickten hinter seinem Rücken in jenes ferne Land eine Gesandtschaft mit der Erklärung, sie wollten ihn nicht zum Herrscher haben. Aber er wurde dennoch König, und als er zurückkam, rief er die zehn Knechte zu sich und forderte sie auf, ihm über ihre Geschäfte Rechenschaft zu geben. Der erste berichtete ihm stolz, sein Pfund habe zehn Pfund eingebracht. Der König sprach zu ihm: ›Recht so, du guter Knecht! Weil du in Geringem treu gewesen bist, sollst du Herr sein über zehn Städte.‹«
Ich war so enttäuscht, daß ich mich nicht enthalten konnte, ihn zu unterbrechen und zu fragen: »Sprach er tatsächlich von nichts anderem als von Geld? Ich hatte mir von dir Worte des ewigen Lebens erhofft.«
Zachäus erwiderte entschuldigend: »Ich war nur Zöllner. Wahrscheinlich dachte Jesus, ein Gleichnis, das sich um Geld dreht, würde ich am besten verstehen.«
Simon fügte zur weiteren Erläuterung bei: »Wir Juden begreifen Dinge, die irgendwie mit Geld zusammenhängen, am besten – besser als du, ein in griechischer Philosophie geschulter Römer. Zehn Pfund ist ein recht ansehnlicher Betrag, auch wenn es wahrscheinlich nur Silber und nicht Gold war. Übrigens hängt viel davon ab, wie lange der neue König abwesend war. In kurzer Zeit könnte niemand auf ehrbare Art mit einem Pfund zehn weitere verdienen; dazu würde neben Glück auch eine gewisse Verschlagenheit gehören.«
Zachäus fragte: »Soll ich weitererzählen oder nicht?« Dann fuhr er fort: »Ein anderer Knecht hatte aus einem Pfund fünf herausgewirtschaftet und erhielt die Herrschaft über fünf Städte. Der letzte aber hatte das ihm übergebene Pfund aus Angst, er könnte es beim Handel verlieren, in ein Tuch geknotet; nun stellte er das Geld dem Herrn zurück und sagte zu seiner Rechtfertigung: ›Herr, ich fürchtete mich vor dir, weil du ein strenger Mann bist; du hebst ab, was du nicht angelegt hast, und erntest, was du nicht gesät hast.‹ Darauf erwiderte der König: ›Aus deinem Munde will ich dich richten, du böser Knecht. Du wußtest also, daß ich ein strenger Mann bin, der abhebt, was er nicht angelegt, und erntet, was er nicht gesät hat. Warum hast du dann mein Geld nicht wenigstens auf eine Bank gegeben, daß ich hätte kommen und es mit Zins abheben können?‹ Und er befahl den Umstehenden, diesem Knecht das eine Pfund abzunehmen und es jenem zu geben, der die zehn Pfund hatte. Aber die anderen wandten ein: ›Herr, der hat ja schon zehn Pfund!‹«