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Ich preßte mir die Hand an den Mund, um nicht auszusprechen, was ich von dieser langatmigen Geschichte dachte. Aber Zachäus blickte uns triumphierend an, hob die Hände und sagte: »Jetzt paßt genau auf und prägt euch ein, was Jesus als Lehre aus dem Ganzen vortrug! Der König erwiderte den Leuten: ›Ich sage euch, einem jeden, der hat, wird noch hinzugegeben werden. Wer aber nicht hat, dem wird auch das, was er zu haben meint, genommen werden.‹ Und schließlich ließ er seine Feinde, die ihn nicht als König über sich haben wollten, herbeiführen und vor seinen Augen niedermachen.«

Ich sann, ebenso wie Simon, über diese merkwürdige Geschichte nach. Schließlich erklärte ich niedergeschlagen: »Ich weiß nicht, worauf das Gleichnis abzielt. Aber mir kommt die Entscheidung des Königs verfehlt und ungerecht vor.«

Zachäus gab zu: »Auch ich begreife die Geschichte nicht ganz; besonders seit ich von Jesu Tod erfuhr, beunruhigt sie mich. Jetzt kann ich nur glauben, daß er sich selbst mit dem vornehmen Manne meinte, den seine Mitbürger haßten und der davonging, um sich die Königswürde eines Reiches, das nicht von dieser Welt ist, verleihen zu lassen. Sicherlich wollte er andeuten, daß er eines Tages wiederkommen und von allen Menschen über die ihnen anvertrauten Gaben Rechenschaft fordern würde, um festzustellen, wie jeder von uns mit seinem Pfunde gewuchert hätte.«

Ich fragte: »Bist du sicher, daß die Geschichte dir genau so, wie er sie erzählt hat, im Gedächtnis geblieben ist?«

Zachäus erklärte: »Zumindest den Gedankengang glaube ich erfaßt zu haben. Viele andere haben das Gleichnis auch gehört und können es bestätigen. Manche sagen, er habe nicht von Pfunden, sondern von Talenten gesprochen; etliche meinen, es seien nur drei Knechte gewesen. Aber über die Moral der Geschichte sind sich alle einig, gerade weil sie so unerwartet, bestürzend und unbillig ist.«

Nach kurzer Überlegung fügte er hinzu: »Ich glaube nicht, daß Jesus überhaupt Geld gemeint hat; ihm muß es um etwas anderes gegangen sein. Er hat doch immer davor gewarnt, Besitztümer auf Erden zu sammeln, wo Motten und Rost daran zehren, und hat gesagt, es sei besser, sich in seinem Reich Schätze anzulegen.«

Plötzlich fiel Simon etwas ein, und er gab Eleasar den Auftrag: »Geh sofort in die Speicher und Vorratskammern. Nimm alles, was du dort an Woll- und Leinensachen findest, und verteile es an die Armen, die in meinem Hofe essen!« Dann starrte er wieder mit düsterer Miene vor sich hin.

Eleasar zögerte, scharrte mit dem Fuß auf dem Boden und sagte schließlich: »Mit deinem Eigentum kannst du ja nach Belieben schalten, Herr. Aber sicherlich darf ich mir doch zuerst für den eigenen Gebrauch einen neuen Mantel und ein Untergewand nehmen. Auch über Kleidungsstücke für meine Kinder und mein Weib wäre ich froh.«

Simon schob die Hände zwischen die Knie, wiegte den Oberkörper hin und her und rief: »Nur zu! Auch die anderen Bedienten sollen sich nehmen, was sie wollen! Plündert mich aus, reißt alles an euch was ich zeitlebens für mich gestapelt habe! Nehmt mir auch diesen zerlumpten Mantel von den Schultern, wenn euch damit gedient ist!«

Zachäus mahnte verwundert: »Übertreibe nicht, Simon! Man muß im Geben wie im Nehmen Maß halten. Im übrigen aber handelst du recht; denn er hat gesagt: ›Was ihr auch nur einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.‹ Dies ist sein Weg.«

Plötzlich aber sprang er erschrocken auf und rief: »Was mag wohl mit meinem Esel geschehen sein, den ich vor dem Hause ließ? Die Gasse war mit Bettlern vollgepfercht, und in dem Durcheinander könnte leicht jemand das Tier losgebunden und entwendet haben!«

Doch dann besann er sich, nahm wieder Platz und meinte: »Was liegt schließlich daran? Ich will dir in Dingen des Reiches nicht nachstehen, Simon. Wenn jemand den Esel gestohlen hat, so offenbar deshalb, weil er ihn nötiger braucht als ich, und ich gedenke nicht, ihm nachzulaufen und ihn zur Rede zu stellen. Er soll das Tier ruhig behalten.«

Simon wiegte sich weiter schwer atmend vor und zurück. Dann aber begann er zu lächeln und sagte: »Das alles kommt mich hart an. Wenn ich höre, wie diese frechen Bettler schmatzend fressen und sich gegenseitig die besten Bissen streitig machen, ist mir, als würde mir Stück für Stück das eigene Fleisch mit Zangen von den Knochen gerissen. Ich bin überzeugt, daß die Kerle in ihrer Gier Brot und Salzfisch fallen lassen und zertrampeln. Aber darein muß ich mich wohl schicken, nachdem anscheinend Jesus selber den Dingen diesen Lauf gegeben hat.«

»Glaubst du denn wirklich«, fragte ich erstaunt, »daß er nach seinem Verschwinden aus deinem Hause, um dich auf die Probe zu stellen, einem Bettler mit der Kunde, du gäbest ein Fest, erschienen ist?«

»Ich weiß schon selber, was ich zu glauben habe«, knurrte Simon wütend. »Aber wenn er mich narrt, dann narre ich ihn wieder; und wir wollen sehen, wer von uns beiden zuletzt lacht.«

Er ging in den Hof, und ich folgte ihm. Dort sahen wir die Bettler manierlich auf dem Boden kauern und das Essen friedfertig miteinander teilen. Sie zankten überhaupt nicht; im Gegenteil, sie boten einander die besten Stücke an, als wären sie tatsächlich Gäste bei einem Bankett. Den Blinden und allen denen, die an die Schüsseln nicht heran konnten, reichte man die Speisen.

Unterdessen brachte Eleasar ganze Armvoll Wollüberwürfe und Leinenkleider und legte sie zwischen die Säulen. Von der Glut der Holzkohlenfeuer stieg Bratenduft auf, und die Bedienten buken, so rasch sie konnten, Gerstenfladen und Weizenbrötchen und Kümmelkuchen. Aber die Torhüterin weinte laut, und der griechische Schulmeister war aufs Dach geflohen und weigerte sich hinunterzukommen.

Die frohe Laune und Ordnung unter den Bettlern ärgerte Simon derart, daß er brüllte: »Freßt und sauft nur, bis ihr platzt! Und was übrigbleibt, nehmt mit! Aber wißt, daß ich, Simon von Kyrene, euch kein einziges Krümchen von dem allen vorsetze. Bei diesem Festmahl heißt der Gastgeber Jesus von Nazareth, den euer Hoher Rat gekreuzigt hat. Mag er euer Essen segnen, auf daß es euch zum Leben und nicht zum Tode gereiche! Ich selber bringe es nicht über mich, den Segen zu sprechen, weil mir bittere Galle aufsteigt und den Mund zusammenzieht.«

Die Bettler dachten, er scherze, und blickten ihn freundlich an; ein paar versuchten zu lachen. Das schürte erst recht Simons Zorn, und er schrie noch lauter: »Jesus von Nazareth, der Sohn Gottes, lädt euch zu allen diesen guten Dingen ein; denn er ist von den Toten auferstanden, und sein Reich bleibt bei uns, solange er in unserer Mitte weilt und nach Belieben kommt und geht – auch durch versperrte Türen.«

Jetzt erschraken die Bettler und blinzelten einander zu. Die beherztesten von ihnen aber lachten laut, und einer rief: »Gesegnet seist du, Simon von Kyrene, unter allen Männern Israels! Aber warum setzt du uns nur sauren Wein vor, wenn du dich, nach deinen Reden zu schließen, mit deinen vornehmen Gästen an süßem Weine gütlich getan hast?«

Vor Wut keuchend, rief Simon den Dienern zu: »Öffnet für sie auch die kleinen Weinkrüge und bereitet ihnen in dem größten Mischkessel einen Trunk, damit sie glauben, daß Jesus von Nazareth, der Sohn Gottes, auch nach seinem Tode noch Wunder wirkt!«

Die Diener taten, wie er befohlen hatte. Aber um zu retten, was noch zu retten war, begannen sie, mit den Bettlern um die Wette zu trinken, und auch Eleasar trank. Inzwischen holte Simon ein Tongefäß mit kostbarer Nardensalbe, brach dem Behälter den Hals ab und schrie: »Dieser Schmutz und Eitergestank und die Fliegen auf euren Augen und Schwären ekeln mich an. Ich kenne den Geruch nur zu gut. Ich fühle mich wieder in ein finsteres Sklavenverlies zurückversetzt, mit einer Kette am Bein. Bestreicht euch mit dieser Salbe Kopf und Gesicht! Sie hat einen starken Duft, um den euch Fürsten beneiden würden.«