Adenabar wich meinem Blick aus, sah etwas beschämt drein, rieb sich die Hände zwischen den Knien und gestand: »Aufrichtig gesagt, der Festungskommandant hat tatsächlich angedeutet, es könnte nicht schaden, wenn ich dich aufsuche und aushorche, weil er keinesfalls möchte, daß ein Freund des Prokonsuls mit den Juden Scherereien bekommt. Außerdem wüßte er, wegen der in der Festung herrschenden Aufregung, anscheinend gern, was du von der ganz merkwürdigen Geheimbündelei der Juden gegen Ruhe und Ordnung erfahren hast. Natürlich kann er dich nicht bespitzeln lassen, nachdem du römischer Bürger bist und angeblich einen Empfehlungsbrief einer so hochgestellten Persönlichkeit hast, daß ich nicht einmal den Namen auszusprechen wage. Ich gedenke auch nicht weiterzugeben, was ich von dir in freundschaftlichem Gespräch gehört habe. Höchstens werde ich vielleicht erwähnen, daß du, so wie viele Leute in diesen Tagen, mit den Nerven zu tun hast. Aber wegen der Erscheinungen und Visionen – da halte ich dicht. Der Kommandant ist ein nüchterner Mensch und glaubt nicht an solche Dinge. Wenn ich ihm so etwas berichten wollte, würde ich mich nur lächerlich machen und meine Beförderung aufs Spiel setzen.«
Er wischte sich die Stirn, blickte auf die Zimmerdecke und erklärte: »Ich dachte schon, durch die Zimmerdecke sickert Wasser, weil ich eben ein paar Tropfen auf meinem Gesicht gespürt habe. Dieser verdammte galiläische Wein ist stärker, als ich meinte. Wollen wir einen Pakt schließen? Wirst du zwischen dem Nazarener und mir Versöhnung stiften, wenn er dir nochmals begegnet und dich anhören will? Als römischer Offizier kann ich ihm nicht persönlich nachlaufen, das wirst du verstehen; aber ich möchte meinen Frieden mit ihm machen.«
Plötzlich begann er sich eifrig zu kratzen, blickte umher und bemerkte erstaunt: »Hier hätte ich kein Ungeziefer vermutet. Nie wäre mir eingefallen, dir dieses Haus zu empfehlen, wenn ich gewußt hätte, daß einem in diesem Zimmer, sobald man sich nur niedersetzt, allerlei Getier über die Haut zu krabbeln anfängt.«
Als ich ihn sich kratzen sah, fing auch mir die Haut zu jucken an, und alle Körperhaare sträubten sich mir. Mich schauderte. »Hier gibt es kein Ungeziefer. Das Zimmer ist vollkommen rein«, beteuerte ich. »Ich glaube, wir bekommen Besuch.«
Adenabar sprang auf, raffte den Mantel um sich und rief: »Dann will ich dich nicht länger stören und gehe lieber meines Weges. Ausgesprochen haben wir uns, und der Wein ist auch fast gar.«
Aber er fand keine Zeit mehr davonzulaufen; denn schon hörten wir von unten die Stimme meines syrischen Hausherrn und dann Schritte auf der Treppe. Adenabar wich zur Wand zurück und streckte, wie zum Schutz, zwei Finger aus. Der Besucher war Zachäus mit dem großen Kopf, und er schleppte einen Mann mit sich, der den Mantel über Mund und Nase gezogen hatte, um sich unkenntlich zu machen.
»Friede sei mit dir, Zachäus!« begrüßte ich ihn. »Ich bin die ganze Zeit über zu Hause geblieben und habe dich sehnsüchtig erwartet.«
»Friede auch mit dir, Römer!« erwiderte Zachäus auffallend kühl. Er schien ganz vergessen zu haben, daß er mich, von Simons Wein beschwingt, umarmt und geküßt hatte. Aber der Mann in seiner Begleitung trat, als er Adenabars ansichtig wurde, einen Schritt zurück und fragte: »Wer ist das?«
Mein Hausherr hatte die beiden höflich bis zu meiner Tür geführt und sagte nun: »Das ist nur ein Zenturio aus der Festung Antonia und trotz seines Ranges ein guter Freund von mir. Vor ihm brauchst du dich nicht zu fürchten. Er versteht die Juden und wird dich nicht ärger verunreinigen als ich oder mein Haus, nachdem du es schon einmal betreten hast.«
Der Unbekannte versetzte Zachäus einen Backenstreich und schrie: »Also Verrat! Du hast mich in eine Falle gelockt! Du bist heimtückischer als Judas Ischariot!« Er wandte sich zur Flucht; aber ich packte ihn fest am Arm und hielt ihn zurück, empört darüber, daß er den Krüppel Zachäus so böswillig geschlagen hatte.
Zachäus rieb sich die Wange, starrte bestürzt Adenabar und mich an und beteuerte seinem Begleiter: »Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich nie darauf verfallen, dich herzuführen. Der Römer ist hinterlistiger, als ich dachte. Schlage mich auch auf die andere Wange! Das habe ich mir redlich verdient!«
Adenabar musterte Zachäus und seinen Gefährten. Dann sagte er zu dem Unbekannten: »Mir scheint, dein Gesicht und deine schuldbewußte Miene verraten dich, Jude. Warum solltest du sonst beim Anblick eines römischen Offiziers so erschrecken? Gehörst du nicht zu den Gefolgsleuten des Judenkönigs, den wir kürzlich gekreuzigt haben? Nach deiner Redeweise scheinst du wirklich ein Galiläer zu sein.«
Zachäus trat besorgt für seinen Begleiter ein und erklärte: »Nein, nein, du irrst, Herr! Er ist Zöllner und Steuereinnehmer wie ich. Wir sind beide aufrichtige Freunde Roms, so wie alle ordnungsliebenden und friedfertigen Kinder Israels.«
Aber der Unbekannte mahnte: »Belaste dein Gewissen nicht mit neuer Sünde, Zachäus! Wir sind beide keineswegs Freunde Roms. Zöllner bin ich zwar gewesen; doch ich habe meine Verfehlungen bereut, und sie sind mir verziehen worden.«
Ich ließ seinen Arm rasch los und rieb mir die Hand, die wie Feuer brannte. »Friede sei mit dir!« rief ich. »Ich glaube zu wissen, wer du bist. Den Zenturio brauchst du nicht zu fürchten, er will dir nicht übel. Im Gegenteil, er wünscht, sich, wenn es irgend möglich ist, mit deinem Herrn auszusöhnen.«
Der Unbekannte richtete sich auf, sah mir und Adenabar gerade ins Gesicht und sagte: »Ich schäme mich nicht des Namens meines Herrn; denn wer ihn vor den Menschen verleugnet, den verleugnet auch er in seinem Reich. Ich bin Matthäus, einer von den Zwölfen, die er sich erwählte. Nicht einmal der Tod hat Macht über mich, weil der Herr mir in seinem Reich ewiges Leben geben wird. Euch Römer aber wird er in die äußerste Finsternis stoßen, wo Heulen und Zähneknirschen sind.«
Das war ein mir neuer Ton, und ich rief überrascht: »Daß er so harte Worte sprach, wußte ich nicht! Aber Friede sei mit dir und gesegnet dieser Raum, in den du deinen Fuß zu setzen geruhtest, du Sendbote des Königs! Nimm Platz! Und auch du, Zachäus! Und erzählt uns von eurem Herrn! Ich brenne vor Verlangen, mehr über ihn zu erfahren.«
Matthäus setzte sich bedachtsam, und sein Begleiter zwängte sich vor Angst zwischen seine Knie. Der Sendbote Jesu starrte den römischen Offizier feindselig an und sagte: »Offenbar habt ihr Legionäre jetzt im Abenddunkel das Haus umstellt. Nie hätte ich geglaubt, daß ein Römer sich eine solche Hinterhältigkeit ausdenken könnte.«
Adenabar war gekränkt und erwiderte in heftigem Ton: »Du hast kein Recht, Galiläer, uns Römern jede Schlechtigkeit zuzutrauen. Nicht einmal der Prokonsul selber wünschte euren Lehrer zu verurteilen; nur die Juden haben ihn dazu gezwungen, indem sie die Volksleidenschaften aufpeitschten. Ich habe nichts gegen euch und euren König. Meinetwegen könnt ihr entwischen, wohin ihr wollt, wenn es euch gelingt, den Stadtwachen ein Schnippchen zu schlagen. Der jüdische Rat mag vielleicht ein Wörtchen mit euch zu reden haben, aber nicht wir Römer.«
Offenbar schämte Matthäus sich seiner Furcht; denn als er merkte, daß er bei mir sicher war und niemand ihm nach dem Leben trachtete, wurde er auf Judenart überheblich und sagte: »Wenn ich nicht so viel von dir gehört hätte, Römer, wäre ich nicht gekommen. Ohne vom Gesetz und den Propheten eine Ahnung zu haben, behauptest du, ein Unbeschnittener, den Weg zu suchen. Du verdrehst unverständigen Frauen die Köpfe und spionierst unseren Geheimnissen nach. Ich kann nur annehmen, daß du von einem bösen Geist besessen oder ein Zauberer bist, da du sogar Johannes verleiten konntest, auf deine Fragen zu antworten: Laß uns in Frieden, geh deiner Wege und mische dich nicht in Dinge, von denen du nichts verstehen kannst! Das wollte ich dir sagen, damit du es aufgibst, dich hinter verstörte Frauen zu stecken.«