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Ich sagte: »Maria von Beeroth, ich erkenne dich. Aber ich wußte nicht, daß dein Gesicht so schön ist und deine Augen so glänzen. Um meinen Ruf sorge dich nicht! Ich bin im Gegenteil froh, daß du gekommen bist. Allerdings begreife ich nicht, wie du mich ausfindig gemacht hast.«

»Sprich nicht von meinem Gesicht und meinen Augen!« bat sie. »Denn sie sind mein Fluch. Aber die Stadt ist kleiner, als du meinst. Viele Leute kennen dich schon und wissen von deiner hartnäckigen Neugier in Dingen, die nicht deine Sache sind. Du hast also den Mann mit dem Wasserkrug getroffen; nur hat die Begegnung deine Erwartungen enttäuscht.«

Ich nahm an, sie sei erschienen, um eine Belohnung für ihren Rat zu fordern, und beeilte mich zu erklären: »Ja, ja, gewiß. Und ich bin da in deiner Schuld.«

Sie schüttelte heftig den Kopf und erwiderte: »Nein, nein, du schuldest mir nichts. Umgekehrt bin ich dir verpflichtet, und deshalb kam ich uneingeladen her.«

Ich blickte sie an, ohne mir erklären zu können, was sie von mir wollte. Nach ihrem Gesicht schien sie jünger zu sein, als ich geglaubt hatte; es war ein rundes, hübsches Judengesicht, dem man ihren Beruf ganz und gar nicht anmerkte.

An der Tür räusperte Karanthes sich diskret hinter der vorgehaltenen Hand, um meine Aufmerksamkeit zu erregen; neugierig wie eine Elster, war er mir natürlich nachgegangen. »Das Abendessen ist fertig«, meldete er. »Aber selbstverständlich kann das Essen warten, wenn du lieber zuerst deiner Freundin Gesellschaft leisten willst. Sage es nur, und ich bringe Wasser und reine Handtücher. Sicherlich wirst du ja aufpassen, daß sie nicht deine Habseligkeiten durchstöbert und etwas in ihren Kleidern versteckt.«

Meine Besucherin wurde rot und blickte beschämt zu Boden. Rasch stellte ich richtig: »Du irrst sehr, mein lieber Hausherr. Wir haben keineswegs solche Absichten, wie du sie vermutest. Deine Frau oder deine Tochter können ruhig das Essen bringen – oder trage es selber auf, wenn du das lieber willst! Ich bin hungrig und werde zusammen mit meinem Gast essen.«

Maria von Beeroth hob entsetzt die Hände und rief: »Nein, nein! Es ziemt sich nicht, daß ein Mann mit einer Frau speist, zumindest nicht mit einer Frau wie ich. Aber gestatte, daß ich dich beim Mahl bediene! Nachher esse ich gern, was du übrigläßt.«

Karanthes blickte sie wohlwollend an und lobte: »Ich sehe, du bist ein verständiges, gut erzogenes Mädchen. Dieser Römer ist noch nicht ganz mit den Landessitten vertraut. Meine Frau würde eher sterben wollen, als dir Essen zu reichen; und meiner unschuldigen, unerfahrenen Tochter kann ich einen so unschicklichen Anblick nicht zumuten. Ganz eine andere Sache aber ist es, wenn du mit gesenkten Augen hinuntergehst, das Essen holst, es wie eine Magd aufträgst und die Reste verzehrst.«

Zu mir gewandt, erläuterte er: »Du weißt, ich bin ziemlich vorurteilsfrei; aber alles hat seine Grenzen. Wenn deine Freundin in einer Sänfte angekommen wäre, in feines Linnen oder goldbestickte Seide gekleidet, mit Juwelenschmuck um den Hals und den Duft wohlriechender Salben versprühend, dann hätte ich es mir zur Ehre angerechnet, ihr mit eigenen Händen das Essen zu reichen; allerdings hätte ich dabei vor Besorgnis um dich geseufzt. Diese vernünftige Kleine kennt ihre Stellung und wird dir nichts Übles antun.«

Er winkte ihr, ihm zu folgen, und bald kam sie mit meinem Essen wieder. Sie hatte nach Mägdeart ihr Oberkleid geschürzt, so daß die Beine bis zu den Knien entblößt waren. Voll Eifer führte sie mich auf das Dach, goß mir Wasser über die Hände und trocknete sie mit einem reinen Handtuch. Als ich mich gesetzt hatte, hob sie von einer irdenen Schüssel den Deckel, legte einen Brotlaib vor mich hin und sagte: »Iß, Römer! Die Augen deiner Dienerin werden sich an jedem Bissen, den du zum Munde führst, erfreuen. Ach, könnte ich wirklich deine Magd sein und dir immer dienen!«

Aber ihre Augen hefteten sich auf den Brotlaib, als ich ein Stück davon abbrach, und so zog ich sie an meine Seite, hieß sie Platz nehmen, tauchte das Brot in die gewürzte Tunke und schob es ihr in den Mund, so daß sie trotz ihres Sträubens essen mußte. Erst nach dreimaliger Weigerung tauchte sie selber ein Stück Brot in die Schüssel und aß.

Als wir fertig waren, schmiegte sie den Kopf an meinen Arm, küßte mir die Hand und sagte: »Du bist so, wie man dich mir beschrieben hat und wie ich mir dich nach der nächtlichen Begegnung am alten Tor vorstellte. Du behandelst eine Frau als gleichgestellt, während sie bei uns oft weniger gilt als ein Esel oder ein Zugtier. Wenn hier ein Mädchen geboren wird, zerreißt der Vater seine Kleider, würdigt das Kind keines Blickes und spricht nicht ein einziges freundliches Wort zu seiner Frau.«

Sie starrte vor sich hin und fuhr fort: »Besonders auf dem Lande führt die Frau ein jämmerliches Dasein. Ein hübsches Mädchen wird an irgendeinen alten Mann verheiratet, der mehr Felder und Weinberge hat als andere. Mich hat die eigene Eitelkeit ins Verderben geführt, als ich mein Spiegelbild im Wasserkrug sah; in meiner Dummheit bin ich dem ersten Fremden, der mir bunte Bänder und Perlen schenkte und falsche Schwüre ins Ohr flüsterte, hinaus auf die Felder gefolgt. Meine Geschichte ist so kurz und einfach, daß ich dir nichts weiter zu erzählen brauche, weil du das übrige wohl erraten kannst. In einem anderen Lande wäre es mir, solange ich noch jung war, nicht schlechter ergangen als sonst den Frauen im gleichen Falle. Hier bin ich ausgestoßen und verflucht, fühle mich aber weiterhin als Tochter Israels, und meine Sünde nagt derart an mir, daß ich alles dafür gäbe, um wieder geläutert zu werden. Doch der Gott Israels ist ein Gott der Vergeltung, und in seihen Augen ist eine unreine Frau gleich einem Hunde oder einem Leichnam.«

Ich tröstete sie: »Maria von Beeroth, du bist sicherlich nicht sündiger als viele andere Frauen, die gezwungen sind, auf deine Art in dieser Welt zu leben.«

Sie blickte mich aus ihren dunklen Augen an, schüttelte leicht den Kopf und entgegnete: »Du verstehst nicht, was ich meine. Was nützt mir der Gedanke, daß viele noch sündiger sind als ich, wenn ich mich selbst kenne und eine quälende Angst gleich Würmern an mir frißt? Es hat jemanden gegeben, der mir hätte helfen können. Er hat nicht einmal eine Ehebrecherin verdammt, sondern war barmherzig und hat sie vor der Steinigung gerettet. Er hat alle Kinder, auch die Mädchen, gesegnet, und an ihm war keine Sünde. Aber ich habe ihm nie zu nahen gewagt; ich sah ihn bloß von weitem. Übrigens hätten seine Gefolgsleute mich höchstwahrscheinlich von ihm ferngehalten. Durch seine Kraft hat er viele geheilt, deren Körper krank waren, und bestimmt hätte er auch mir sein Mitleid nicht versagt; denn meine Seele ist krank, und ich schäme mich meiner und meines Lebens.«

»Ich weiß, wen du meinst«, bemerkte ich.

Maria von Beeroth nickte. »Ja, ja. Aber die Frommen und Weisen und Sündlosen haben ihn gekreuzigt. Dann ist er von den Toten auferstanden und hat sich seinen Jüngern gezeigt. Das klingt zwar unglaublich, doch ich habe es aus verläßlicher Quelle gehört. Auch du, so sagte man mir, weißt davon, obwohl du hier nur ein gemiedener Fremdling bist. Deshalb bin ich zu dir gekommen.«

Plötzlich brach sie in Tränen aus, warf sich vor mir nieder, umschlang meine Knie und rief: »Ich flehe dich an, nimm mich mit dir; wir wollen nach Galiläa gehen und ihn suchen! Alle, die nur konnten, haben heute die Stadt verlassen und wandern nordwärts. Auch Frauen. Gestern nacht ist er seinen Jüngern wieder erschienen und hat ihnen verheißen, er gehe ihnen nach Galiläa voraus,' dort würden sie ihn sehen. Vielleicht kann auch ich ihn dort finden, wenn du mich mitnehmen willst.«