Ich rüttelte sie heftig an den Schultern, richtete sie auf, hieß sie wieder Platz nehmen und sagte eindringlich: »Laß das Weinen und das wirre Gerede! Erzähle mir deutlich, was du weißt, damit wir uns gemeinsam darüber schlüssig werden können, was wir tun sollen!«
Als Maria merkte, daß ich bereit war, sie anzuhören, wischte sie sich die Tränen aus den Augen und begann ihren Bericht:
»Du hast diese reiche Frau kennengelernt, die Taubenzüchterin, die ihm gefolgt ist. Sie versteht dich und weiß, daß du eifrig den neuen Weg suchst. Aber man hat ihr streng verboten, noch einmal mit dir zusammenzukommen, weil du kein Kind Israels bist. Sie hat mir geraten, dich aufzusuchen, weil sie mich nicht mit sich nehmen konnte, während du als Römer ebenso verachtet und daher in der gleichen Lage bist wie ich. Sie sagte, der Lehrer wisse selbst am besten, wer seiner Stimme lauschen dürfe. Am Abend waren die Elf im Obergemach versammelt, und Jesus kam, durch verschlossene Türen, zu ihnen und stand in ihrer Mitte – genau so wie am ersten Abend, nachdem er das Grab verlassen hatte; davon weißt du ja schon. Er versicherte ihnen, er sei Fleisch und Blut und ließ Thomas seine Wundmale berühren. Darum glauben sie jetzt alle an seine Auferstehung. Sie haben den Frauen nicht alles erzählt, was er gesprochen hatte, machten sich aber sofort reisefertig. Schon früher hatte er ihnen ja sagen lassen, er würde ihnen nach Galiläa vorausgehen. Zu zweien und dreien verließen sie die Stadt, ohne von den Wachen gehindert zu werden. Auch die Frauen sind gegangen und andere Leute, die er geheilt hat. Simon von Kyrene hat sich ebenfalls auf den Weg gemacht. Sie alle sind überzeugt, ihn in Galiläa wiedersehen zu können.«
Ich überdachte ihren Bericht und fand ihn glaubwürdig. Weshalb sollte denn Maria eine solche Geschichte erfinden? Es leuchtete mir auch ein, daß Maria Magdalena mir unverändert wohlgesinnt sein mochte, obzwar sie wegen der Jünger mich nicht zu treffen wagte.
»Aber warum gerade nach Galiläa?« fragte ich. »Und was soll sich dort ereignen?«
Maria von Beeroth schüttelte den Kopf und sagte: »Das weiß ich nicht. Wozu brauche ich es auch zu wissen? Genügt es nicht, daß er selbst seinen Sendboten aufgetragen hat hinzugehen? Sie hatten es so eilig, daß die ersten heute in aller Frühe aufbrachen, sobald nur die Stadttore geöffnet wurden.«
Mit scheuer Gebärde berührte sie mein Knie und bat: »Mache dich auch reisefertig und laß mich als deine Dienerin mitkommen! Sonst duldet niemand meine Gesellschaft, und allein kann ich die Wanderung nach Galiläa nicht unternehmen. Zur Bezahlung von Gesinde fehlt mir das Geld, und ohne Begleitung würde ich Legionären und Räubern in die Hände fallen.«
Ich war geneigt, ihren Mitteilungen zu vertrauen; bestimmt hatte sie nicht die Absicht, mich zu täuschen. Ihr eigener schwärmerischer Eifer war der beste Beweis dafür. Aber sie gab doch nur ein Hörensagen wieder, und in diesen wirren Tagen konnten von Mund zu Mund gehende Gerüchte entstellt werden und zu Mißverständnissen führen. Es schien mir deshalb geraten, mir die Kunde aus einer zweiten Quelle bestätigen zu lassen.
Ich legte Maria nahe, sich in Geduld zu fassen, und erklärte: »Wir können nicht jetzt am späten Abend einfach losziehen. Und vor allem gedenke ich nicht, mich kopfüber in ein solches Abenteuer zu stürzen. Wir wollen die Sache überschlafen. Wenn mir morgen dein Bericht von anderer Seite bestätigt wird, will ich die Reise entsprechend vorbereiten, den Weg und die Rastplätze bestimmen und uns derart ausrüsten, daß wir Galiläa so bequem und so rasch wie möglich erreichen. Dort können wir uns dann umsehen und überlegen, was wir weiter tun sollen.«
Aber Maria jammerte: »Ich habe ohnedies schon den ganzen Tag gewartet, und mein Herz ist so unruhig, daß ich in der Nacht kaum ein Auge schließen würde. Warum können wir nicht gleich, so wie wir sind, ohne Sack und Pack, aufbrechen und in den Behausungen der Stillen im Lande schlafen oder draußen im Freien, jetzt, wo die Nächte nicht mehr so kalt sind? Da käme die Reise auch viel billiger.«
Ich mußte über ihre Einfalt laut lachen und sagte: »Glaube mir, im Reisen habe ich mehr Erfahrung als du. Manchmal erweist sich dabei die billigste Art zum Schluß als die teuerste – zum Beispiel, wenn jemand krank wird oder wenn man von Landstreichern überfallen und verprügelt wird. Überlasse es mir, die Reise vorzubereiten! In Galiläa kannst dann umgekehrt du mir raten, wohin wir gehen sollen.«
Sie entgegnete: »Ich kenne nur Kapernaum am See Genezareth. Dort hat er gewohnt und gelehrt. Dorthin sollten wir uns wenden, wenn wir unterwegs nichts weiter von ihm hören.«
»Geh also in Frieden!« sagte ich. »Und komm morgen um die Mittagsstunde wieder!«
Aber Maria fürchtete anscheinend, ich würde sie im Stich lassen; denn sie erwiderte rasch, sie wüßte nicht, wohin sie gehen sollte, und bat mich, sie auf dem Dach vor meiner Tür oder in einer Ecke meines Zimmers schlafen zu lassen. Ich dachte, es könnte nicht schaden, mich gleich an ihre Gesellschaft zu gewöhnen, da ich ja mit ihr reisen und an den gleichen Orten nächtigen würde. Sie störte mich übrigens in keiner Weise, sondern lag die ganze Nacht über still in ihrer Ecke auf einer Matte, in ihren Mantel gehüllt.
In der Frühe, als die Hörner bliesen, sprach sie nach Judenart laut ihr Morgengebet. Sonst aber versuchte sie nach Kräften, sich ruhig zu verhalten und meine Morgenverrichtungen nicht zu behindern. Ich bat sie, im Zimmer zu bleiben, und ging zu meinem Hausherrn hinunter, der schon seinen Ladentisch vor der Eingangstür aufstellte.
»Karanthes«, sagte ich, »es ist Zeit geworden, daß ich Jerusalem verlasse und meine Reise fortsetze. Meine Bekannte ist noch oben im Zimmer, und ich nehme sie mit. Ich habe nicht vergessen, was du mir gestern sagtest. Kaufe ihr also neue Gewänder und kleide sie von Kopf bis Fuß ordentlich ein. Und beschaffe ihr auch entsprechenden Schmuck, damit niemand sie unterwegs verachtet oder als zu armselige Begleitung für mich ansieht! Aber vermeide übertriebenen Prunk! Ich möchte auch nicht, daß sie allzusehr auffällt.«
Mein Syrer schlug vor Staunen die Hände zusammen und rief: »Ich weiß nicht, ob du klug daran tust; das mußt du selbst am besten beurteilen können. Solche Mädchen gibt es in jeder Stadt, und du würdest dir die Reisekosten für eine Begleiterin ersparen. Abgesehen davon aber handelst du jetzt vernünftiger als mit deinen Einmischungen in die jüdische Politik, von der du nichts verstehst.« Er fragte mich gar nicht nach meinem Reiseziel, so beschäftigt war er damit nachzudenken, wie er meinen Auftrag auf eine für beide Seiten vorteilhafte Art ausführen könnte.
Ich aber ging geradewegs zu meinem Bankier Aristainos, den ich schon auf den Beinen und eifrig mit Rechenbrett und Kreditbriefen hantierend fand. Er begrüßte mich mit freudigen Ausrufen, musterte mich von oben bis unten und sagte: »Du scheinst meine Ratschläge gründlicher befolgt zu haben, als ich gedacht hätte. Dein Bart ist schon länger als der meine, und nach deinen Mantelquasten zu schließen, bist du zumindest ein Tor-Proselyt. Hast du herausbekommen, was dich interessiert hat, und bist du zufrieden?«
Ich gestand vorsichtig zu: »Ja, ich habe sogar mehr erfahren, als ich wissen wollte, und bin so befriedigt, daß ich meinen Aufenthalt in Jerusalem beenden kann. Man hat mir in den lebhaftesten Farben die Schönheiten Galiläas geschildert und viel von Herodes Antipas' neuer Stadt Tiberias am See Genezareth erzählt. Dort kann man, so heißt es, an den heißen Quellen seine Gesundheit wiederherstellen, man kann Theater und Zirkus besuchen und, ohne Anstoß zu erregen, ganz auf griechische Art leben.«
Aristainos setzte eine merkwürdige Miene auf und vermied es, mich anzusehen. Darum fügte ich rasch hinzu: »Im letzten Winter in Alexandria dürfte ich mir wohl Körper und Geist überanstrengt haben. Ich möchte gern Bäder und Massage gebrauchen und griechische Dramen hören, um nach alledem, was ich gelernt und gehört habe, wieder ins Gleichgewicht zu kommen.«