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Aristainos bemerkte lächelnd: »Offenbar bist du einem von Herodes' zungenfertigen Schleppern auf den Leim gegangen. Der Fürst hat viel Geld in die Erbauung von Tiberias gesteckt, das er zu einer möglichst modernen und griechischen Stadt machen wollte; und jetzt hofft er, Reisende und Heilungsuchende würden sich verleiten lassen, in dieser Atmosphäre duldsamer Ungezwungenheit ihre Moneten mit vollen Händen auszugeben. Willst du über Samaria reisen oder auf der Pilgerstraße östlich des Jordan?«

»Das alles wollte ich mit dir beraten«, erwiderte ich. »Ich möchte etwas Geld mitnehmen und mir einen Kreditbrief auf einen deiner Geschäftsfreunde in Tiberias ausstellen lassen. Um dir die Wahrheit zu sagen – ich habe ein nettes Mädchen als Reisebegleiterin gefunden. In Baiae habe ich die Erfahrung gemacht, daß ein junger Mann gut daran tut, alles, was er braucht, in einen Badeort mitzunehmen.«

Das Lächeln des Juden wurde nun sarkastisch. »Als Bankier habe ich nur deine Aufträge auszuführen«, meinte er. »In deine Privatangelegenheiten darf und will ich mich nicht mischen. Aber täuscht mich mein Gedächtnis, oder hast du wirklich schon genug gehört von den Lehren des gekreuzigten Nazareners?«

Ich brachte es nicht über mich, ihn anzulügen. Als er fortfuhr, mich scharf zu mustern, erklärte ich, die Worte sorgfältig wählend: »Ich habe allerdings mancherlei und sehr merkwürdige Dinge über ihn erfahren. Wenn ich Zeit finde, werde ich auch in Galiläa einige Erkundigungen in dieser Sache einziehen. Ich muß sagen, daß durch seinen Tod in eure heilige Stadt eine gespenstige Stimmung eingezogen ist. Auch ich habe seit jenem Tage viel über den Mann nachgedacht.«

Aristainos überlegte eine Zeitlang; dann warf er mir einen Seitenblick zu und bemerkte: »Dein plötzlicher Entschluß, nach Galiläa zu reisen, überrascht mich. Angeblich haben sich gestern viele Leute aus der Stadt dorthin auf den Weg gemacht. Unter dem einfachen Volk geht das Gerücht um, es würden dort Wunder geschehen. Ich weiß, du bist zu aufgeklärt, um hinter Fischern und Zimmerleuten herzuziehen; immerhin finde ich diese Gleichzeitigkeit auffallend.«

»Wir wollen aufrichtig miteinander reden«, fügte er nach einer kleinen Weile hinzu. »Ich habe Grund zur Annahme, daß unser Hoher Rat diese Galiläer, die Gefolgsleute des Gekreuzigten, ebenso satt bekommen hat wie die von ihnen und den Frauen ihrer Umgebung ausgestreuten Gerüchte. Das niedere Volk glaubt jeden Unsinn. Gerüchte zu unterdrücken ist schwer; noch schwerer aber ist es, jemanden bloß auf Grund von Gerüchten anzuklagen, weil jeder sagen würde, ohne Feuer gebe es keinen Rauch. Eine Kreuzigung genügt als warnendes Beispiel; die Mitläufer zu verfolgen, hieße der ganzen Sache zu viel Gewicht beilegen. Es ist besser, wenn der Mann in Vergessenheit gerät. Deshalb haben unsere Oberen, glaube ich, den Galiläern auf Umwegen zu verstehen gegeben, sie würden nicht länger verfolgt werden, wenn sie den Staub dieser Stadt von den Füßen schütteln. Man ist froh, sie derart nach Galiläa, das dem Herodes Antipas untersteht, abzuschieben. Er kann mit ihnen verfahren, wie er es für gut befindet; aber ich denke, sie werden zu Hause, unter ihren Landsleuten, wo jeder sie kennt, keinen Schaden anrichten. In der eigenen Heimat gilt ja der Prophet nichts. Ich setze dir das alles auseinander, damit du nicht einen falschen Eindruck von der Sache gewinnst oder dir Vorstellungen machst, die kein vernünftiger Mensch auch nur in Worte zu kleiden wert fände.«

Während ich dort in seinem prächtig ausgestatteten Zimmer saß, von festen Wänden und verschlossenen Türen umgeben, wirkten seine nüchtern-sachlichen Worte auf mich so, als würde auf Kohlenglut Sand gestreut, um sie zu ersticken.

»Wenn diese Dinge derart belanglos sind, wie du sagst, so hast du dich bemerkenswert genau über sie unterrichtet«, machte ich meinem Unmut Luft. »Auch ich will offen reden. Ich habe gehört, daß Jesus von den Toten auferstanden und seinen Jüngern erschienen ist und daß er verheißen hat, ihnen nach Galiläa vorauszugehen.«

Aristainos zupfte an einer Naht seines Obergewands, als fühlte er sich versucht, seine Kleider zu zerreißen. Aber er gewann rasch seine Selbstbeherrschung wieder, schnitt eine Grimasse und sagte: »Es war eine bodenlose Leichtfertigkeit, diese durchtriebenen Jünger seinen Leichnam während des Erdbebens aus der Gruft stehlen zu lassen. Jetzt können sie den Leuten jedes Märchen auftischen. Natürlich fällt es ihnen nicht schwer, ihren heimlichen Anhängern eine solche Geschichte einzureden und damit ihre Flucht aus Jerusalem als frommes Beginnen hinzustellen. Ich könnte dich vielleicht begreifen, wenn du ein von den heiligen Schriften berückter und vor lauter Messiaserwartung versauerter Jude wärest. Aber du bist Römer und Philosoph. Ein Toter steigt nicht aus dem Grabe. So etwas ist nie geschehen und wird auch nie geschehen.«

»Warum bist du dann so aufgeregt und außer dir, du Meister der kühlen Überlegung?« fragte ich. »Ich finde es ja verständlich, daß du an deinem Haus, Geld und Geschäft hängst und dein Äußerstes zur Erhaltung des Bestehenden tun mußt. Ich dagegen kann frei kommen und gehen und sogar Dinge ins Auge fassen, an die du nicht zu denken wagst. Ich verlasse jetzt die Stadt zu einer Badekur in Tiberias, und es soll dich nicht bekümmern, ob ich vielleicht insgeheim hoffe, dabei etwas zu hören oder gar zu sehen, was bisher nie geschehen ist.«

Wenn ich seinen kurzen Bart, seine gepflegte Haut an Gesicht und Händen und seine griechische Lockenfrisur betrachtete, erfaßte mich Abscheu vor ihm und seiner Ein-Stellung zur Welt. Ich mußte an die Schwestern des Lazarus denken und an Maria Magdalena; selbst Maria von Beeroth schien durch ihre sehnsüchtigen Hoffnungen meinem Herzen näher zu stehen als dieser von Geld und Gut beherrschte Mann. Er hatte keine Hoffnung; darum redete er auch anderen so rücksichtslos jede Hoffnung aus.

Er mußte meine Gedanken erraten haben; denn plötzlich änderte er seine Haltung, hob die Hände und sagte: »Verzeih! Natürlich weißt du selbst am besten, was du tust. Ich sehe, daß du im Herzen ein Dichter bist und deshalb dazu neigst, über Dinge nachzugrübeln, die ein Geschäftsmann aus seinen Gedankengängen einfach verbannt. Und du wirst dich ja wohl nie von Schwindlern hereinlegen lassen oder an unhaltbare Märchen glauben … Wie willst du also reisen? Ich kann dir einen erfahrenen Karawanenführer anbieten, mit Kamelen oder Eseln; ferner ein ausgezeichnetes Zelt mit voller Einrichtung, so daß du von Herbergen unabhängig bist und dir ihren Schmutz, ihr Ungeziefer und ihre zweifelhafte Gesellschaft ersparen kannst. Am vernünftigsten wäre es, zwei syrische Legionäre zu deiner Bewachung anzustellen; dann brauchst du weder bei Tag noch bei Nacht etwas zu fürchten. Das alles kostet natürlich Geld; aber du kannst es dir ja leisten.«

Ich hatte selbst an eine solche Lösung gedacht und mich deshalb an Aristainos gewandt. Ich verstand auch seine Beflissenheit; denn die Ausrüstung einer solchen Expedition mußte ihm beträchtlichen Gewinn abwerfen. Aber dann würde einer seiner Vertrauensleute jeden meiner Schritte, jedes meiner Worte überwachen und ihm nachher alles berichten. Er wieder würde, zu seinem eigenen Vorteil, den Behörden jede von ihnen gewünschte Auskunft weitergeben. Deshalb zögerte ich unschlüssig. »Eigentlich möchte ich am liebsten auf eigene Faust reisen«, erklärte ich. »Ich bin kein einziges Mal dazugekommen, das hiesige Gymnasion zu besuchen, und hoffe, die Reisestrapazen werden die Schlaffheit aus meinen Gliedern vertreiben. Allerdings muß ich auch darauf Bedacht nehmen, daß meine Begleiterin die einer Frau unentbehrlichen Bequemlichkeiten genießt.«

»Ganz richtig!« stimmte er eifrig bei. »Schon kleine Unbilden können eine junge Frau reizbar und launisch machen. Auch würdest du bestimmt nicht gern ihre weiße Haut von roten Bissen bedeckt sehen. Gestatte, daß ich für sie, während du dir die Sache überlegst, ein kleines Geschenk hole.«

Er verließ das Zimmer und kam mit einem schönen griechischen Handspiegel zurück, dessen Rückseite mit einer kunstvoll eingeritzten Gruppe geschmückt war: ein Satyr, der eine sich sträubende Nymphe umarmt. Es war ein schön polierter, wertvoller Spiegel, und ich wollte dem Bankier nicht durch Annahme dieses Geschenkes verpflichtet sein. Aber er drückte es mir in die Hand und sagte: »Sei unbesorgt! Es ist kein Zauberspiegel. Er wird deiner Freundin nur dazu verhelfen, dir genehme Gedanken zu hegen, wenn sie zuerst auf ihr eigenes Abbild schaut und dann auf den brünstigen Satyr. Angeblich gibt es ja Spiegel, die dem Hineinschauenden den Tod bringen. Als vernünftiger Mensch kann ich das kaum glauben; doch Vorsicht erweist sich immer als klug. Deshalb hoffe ich vom Herzen, daß du auf deiner Reise nicht unglücklicherweise einen Blick in einen solchen Spiegel werfen wirst, in dem man Dinge sehen mag, die der Mensch nicht schauen sollte.«