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Auf dem Markt von Joppe mietete ich also, ohne mich durch die Lockungen aller anderen Reisebequemlichkeiten beirren zu lassen, als Wandergefährten einen Esel und machte mich, zusammen mit den letzten Pilgern, auf den von der Küste her ansteigenden Weg nach Jerusalem. Mein Esel war ein gut abgerichtetes, williges Tier, so daß ich während der ganzen Reise kein einziges Mal Ungelegenheiten mit ihm hatte. Anscheinend war er so oft von Joppe nach Jerusalem und zurück getrottet, daß er jeden Brunnen und auch jedes Rastplätzchen, Dorf und Wirtshaus unterwegs kannte. Ich hätte mir keinen besseren Führer wünschen können; und mir kommt vor, daß auch er freundschaftliche Gefühle für mich zu hegen begann, weil ich ihn niemals, auch bergab nicht, ritt, sondern immer zu Fuß ging, um meinen Körper wieder zu stählen.

Von Joppe nach Jerusalem sind es für römische Truppenverbände nur knappe zwei Tagesmärsche. Zwar ist in diesem hügeligen Gelände das Gehen anstrengender als in einer Ebene; dafür jedoch wird der Weg um so abwechslungsreicher, und Judäa ist ein schönes, fruchtbares Land. In den Tälern waren die Mandelbäume schon abgeblüht; aber an allen Hügeln längs der Straße wuchsen Blumen, deren bittersüßer Duft mich die ganze Reise über begleitete. Ich war ausgeruht, ich fühlte mich verjüngt, und es machte mir Freude, meine Glieder durchzuarbeiten, ganz wie in meiner Jugend auf den Sportplätzen.

Meine Erziehung ebenso wie die Zurückhaltung, die, wie Du weißt, die Wechselfälle des Lebens mir aufzwangen, haben mich gelehrt, alle Äußerlichkeiten zu verachten. Weder durch mein Auftreten noch durch meine Kleidung wünsche ich mich von der Umgebung abzuheben. Über derlei Eitelkeiten kann ich nur lachen. Ich brauche keine Bediensteten und keine Läufer, die mein Kommen künden. Während meiner Reise habe ich, wenn hohe Herrschaften, ihre Sklaven und Tiere zur Eile antreibend, vorbeihasteten, meinen Esel bescheiden an den Straßenrand geführt. Mir bereitete die kluge Art, wie das Tier die Ohren spitzte, den Kopf drehte und mich anblickte, mehr Vergnügen, als wenn die Reichen und Mächtigen grüßend haltgemacht und mich eingeladen hätten, mich ihnen anzuschließen.

Die Juden tragen an den Zipfeln ihrer Obergewänder Quasten, und daran erkennen sie einander überall auf der Welt, auch wenn sie sich sonst so kleiden wie wir. Doch der Verkehrsweg von der Küste zur Hauptstadt, den Rom verbessert und in eine ausgezeichnete Militärstraße umgewandelt hat, ist so alt und so sehr an viele Völkerschaften gewöhnt, daß ich trotz der fehlenden Zipfelquasten niemandem auffiel. In der Nachtherberge, zu der mein Esel mich führte, bekam ich wie alle anderen Reisenden Wasser zum Tränken meines Tragtiers und zum Waschen meiner Hände und Füße. Bei dem Andrang fand das Gasthausgesinde keine Zeit, zwischen Fremden und Juden Unterschiede zu machen. Es war, als befänden sich neben den Landesbewohnern sämtliche Rassen der Erde unterwegs, um mit Frohsinn und Fröhlichkeit die Befreiung der Juden aus der ägyptischen Knechtschaft zu feiern.

Wenn ich etwas rascher gewandert wäre, hätte ich leicht am Abend des zweiten Tages Jerusalem erreichen können. Aber ich war Ausländer, unberührt von der Eile der Juden. Mit Behagen atmete ich die frische Bergluft Judäas, und die Blütenpracht auf den Hängen entzückte mein Auge. Nach dem fiebrigen Treiben in Alexandria fühlte ich mich seelisch entspannt und genoß jeden Augenblick, so daß schlichtes Brot mir besser schmeckte als irgendein Leckerbissen Ägyptens. Ja, ich hatte auf dieser Reise nicht einmal Lust, meinem Trinkwasser Wein beizumischen, weil ich meine Sinne nicht abstumpfen wollte; vielmehr ließ ich mir reines Wasser vortrefflich munden.

So schlenderte ich absichtlich langsam meines Weges und war noch ein gehöriges Stück von Jerusalem entfernt, als mich der Klang von Rohrflöten überraschte, mit denen Hirten auf einem Hügel ihre Herden für die Nacht zusammenriefen. Ich hätte ohne weiteres eine Zeitlang rasten und später bei Mondlicht weiterziehen können; aber ich hatte von dem wundervollen Anblick gehört, der den Wanderer erwartet, wenn er sich der Hauptstadt bei Tage nähert und sie jenseits eines Tales aufsteigen sieht, mit ihrem Tempel, der auf einem Hügel im Sonnenlicht glänzt, blendend marmorweiß und golden.

Auf diese Weise wollte auch ich die heilige Stadt der Juden zum erstenmal sehen. Deshalb verließ ich, zum Erstaunen meines Esels, die Straße und redete einen Hirten an, der mit seiner enggescharten Schafherde zu einer Höhle im Berghang schritt. Er sprach die ländliche Mundart, verstand aber mein Aramäisch und versicherte mir, in dieser belebten Gegend gebe es keine Wölfe. Er habe nicht einmal einen Hund zum Schutz der Herde gegen Raubtiere, schlafe aber vor dem Eingang zur Höhle, aus Sicherheitsgründen, für den Fall, daß Schakale sich anschleichen sollten. Sein Mundvorrat bestand aus rußigem Gerstenbrot und kugelförmig geknetetem Ziegenkäse; darum war er höchst erfreut, als ich für ihn ein Stück Weizenbrot abbrach und es ihm zusammen mit einer Honigwabe und einer Handvoll getrockneter Preßfeigen anbot.

Fleisch nahm er, da er sah, daß ich nicht Jude war, keines von mir; sonst jedoch zeigte er sich frei von jeder Scheu. Wir setzten uns vor den Höhleneingang und aßen miteinander, während mein Esel eifrig die Dornsträucher an der Böschung abknabberte. Dann wurde die ganze Welt für eine Weile so purpurrot wie ein mit Küchenschellen bewachsener Hang; die Dunkelheit brach herein, und am Himmel entbrannten die Sterne. Gleichzeitig kühlte die Luft sich ab, und ich spürte, wie aus der Höhle die gesammelte Wärme der Schafe strömte. Es roch sehr stark nach Wolle und Talg. Aber ich fand den Geruch nicht unangenehm; vielmehr gab er mir ein Gefühl der Geborgenheit, wie ein Hauch von Kindheit und Heimat. Zu meiner Verwunderung traten mir plötzlich Tränen in die Augen. Sie galten nicht Dir, Tullia. Ich sagte mir, es seien Tränen der Müdigkeit, weil die Fußreise meinen geschwächten Körper ermüdet habe. In Wirklichkeit weinte ich aber wohl über mich selbst, über alles, was hinter mir lag und unwiederbringlich vergangen war, aber auch über alles, was noch vor mir liegt. In dieser Stunde hätte ich mich furchtlos zu Boden geneigt und aus dem Quell des Vergessens getrunken.

Ich schlief auf dem Boden vor der Höhle, mit dem Sternhimmel als Dach über mir, wie der ärmste Pilger. So tief war mein Schlaf, daß bei meinem Erwachen der Hirt schon seine Schafe auf die Weide geführt hatte. Ich konnte mich keines einzigen beängstigenden Traums entsinnen, und doch dünkte mich alles rings umher, Luft und Erde, anders als am Abend zuvor. Der Hang fiel gegen Westen ab und lag noch im Schatten, während auf die gegenüberliegende Talseite schon die Sonne schien. Ich fühlte mich wie gerädert, schlaff und lustlos; und der Esel stand neben mir und hielt mit trauriger Miene den Kopf gesenkt. Es war mir ein Rätsel, wie sich mein Stimmungsumschwung vollzogen haben mochte; denn so verweichlicht war ich denn doch nicht, daß zwei Tage Fußmarsch und ein Nachtlager auf hartem Boden mich derart erschöpft haben sollten. Ich vermutete, daß eine Wetteränderung bevorstand; für solche Einflüsse bin ich seit jeher ebenso empfänglich wie für Träume und Vorzeichen.

Ich war so niedergeschlagen, daß ich nicht einmal Lust hatte, etwas zu essen. Mir kam vor, ich würde keinen Bissen hinunterbringen. Ich nahm ein paar Schlucke Wein aus dem Lederschlauch, spürte aber kaum eine belebende Wirkung und fürchtete schon, ich hätte verunreinigtes Wasser getrunken und mir eine Krankheit zugezogen.

Drüben auf der Straße sah ich andere Reisende die nächste Steigung erklimmen; doch es dauerte ziemlich lange, ehe ich mein Widerstreben überwinden, den Esel beladen und selbst zur Straße zurückkehren konnte. Mit großer Anstrengung mühte ich mich die Höhe hinauf; als ich aber endlich oben war, erkannte ich die Ursache meiner Benommenheit. Ein sengend heißer, trockener Wind blies mir ins Gesicht, jener hartnäckige Wüstenwind, der, sobald er sich einmal erhoben hat, Tag um Tag anhält und den Menschen derart zusetzt, daß alle Kopfweh bekommen und die Frauen sich übergeben müssen; jener Wind, der durch die Ritzen der Häuser pfeift und nachts an den Fensterläden rüttelt.